Von Lukas Vogelsang — Das Referendum zum neuen Mediengesetz ist also definitiv, und damit wird das Schweizer Volk am 13. Februar 2022 gemeinsam an der Urne darüber abstimmen. Von den rund 109 948 eingereichten Unterschriften sind 64 443 gültig – nötig waren 50 000 gültige Unterschriften. Die Negativ-Differenz zeigt die emotionale Beteiligung. Ich möchte mich in aller Form von dem Referendumskomitee «Staatsmedien Nein» distanziert wissen – und trotzdem NEIN stimmen. Im ersten Teil zum Mediengesetz in der November-Ausgabe habe ich meine Meinung schon mal erklärt. In diesem Artikel geht es darum, wie man es besser machen muss und auch warum:
Es geht um Geld. Die Argumentation, dass die Pressefreiheit gefährdet sei, ist in jeder Hinsicht einfach falsch, das kann man nicht genug deutlich sagen. Die Ironie ist ja, dass die Befürworter von «Staatsmedien Nein» fast deckungsgleich mit den Corona-MassnahmengegnerInnen sind, die etwas von beschränkten Freiheitsrechten rufen und auf den Strassen vom Demonstrationsrecht Gebrauch machen. Ich warne vor einer Annahme dieses Mediengesetzes, nur weil man nicht mit den GegnerInnen auf der gleichen Seite stehen möchte. Eine freie Meinung kann auch parteilos mit dem gleichen Ergebnis enden. Alles andere wäre dann effektiv ein Demokratieproblem, welches fatale Folgen hätte – da kann die Pressefreiheit nichts mehr daran ändern, auch in Zukunft nicht.
Nochmals kurz: Wenn Sie Lust haben, können Sie in der Schweiz einen Pressebetrieb aufbauen. Niemand wird Sie daran hindern, niemand stoppen. Da gibt es nur ein kleines Problem: das Geld. Je nachdem, wie Sie diesen Medienbetrieb aufbauen, über welche Kanäle Sie eine breite Öffentlichkeit erreichen möchten, entstehen unterschiedlich hohe Kosten. Eigentlich fast gratis können Sie eine Internetplattform aufbauen. Diese Infrastruktur steht allen offen – so wurden viele Blogs und Meinungsseiten gebaut, die schon seit Jahren im Netz funktionieren. Selbst InfluencerInnen bedienen sich daran. Bei einer Zeitung müssen Sie das Papier bedrucken – da entstehen Fremdkosten. Das Erstellen des Layouts können Sie gratis möglich machen – dafür genügt, je nach ästhetischem Anspruch, ein Textverarbeitungsprogramm. Der Druckerei liefern Sie eine PDF-Datei mit minimalen Vorgaben, das ist alles. Natürlich können Sie eine aufwendige Produktion, farbig, mit Bildern, in einer PDF-Datei übermitteln … So oder so erhalten Sie im Anschluss eine Papierauflage und müssen den Vertrieb dafür organisieren. Papier ist schwer. Per Post wird der Versand, wenn Sie die Bedingungen erfüllen, vom Bund subventioniert, Sie zahlen also weniger, zahlen aber immer noch. Das ist einem Versand-Mengenrabatt ähnlich – niemand hat dabei einen Einfluss auf den Inhalt, und viel Geld ist das nicht – ausser Sie sind relevant und haben eine immense Abo-Leserschaft. Dann verdienen Sie aber noch gut. So einen Vertrieb baut man nicht von heute auf morgen auf – diese Dominanz haben heute nur noch wenige Medienbetriebe. Beim Radio oder Fernsehen wird es etwas komplizierter: Um diese Kanäle nutzen zu können, sind hohe Investitionen nötig. Technik, die nicht im Computer-Laden gekauft werden kann. Es braucht Vertriebspartner und die Hilfe vom Staat, der diese Vertriebskanäle mitsubventionieren muss, da es kaum möglich ist, im ganzen Land ein Kabelnetz in alle Haushalte zu legen. Die terrestrische Übertragung von Signalen ist heute wegen der qualitativen Einbusse mehr oder weniger eingestellt worden. Das heisst, wir haben jetzt DAB+ für die Radios – aber da ist eben die Menge der Programme ebenso etwas eingeschränkt (Sendefrequenzen werden in Lizenz verteilt) und diese müssen selektioniert werden – und hierzu ist auch ein Antennennetz im Land nötig, was wiederum zur Staatsinfrastruktur gehört.
Wenn Sie über Internet etwas machen wollen, redet Ihnen kaum jemand rein – sofern Sie die rechtlichen und moralischen Werte nicht überschreiten. Gleichzeitig sind Sie vom ersten Moment an global erreichbar, haben keine publizistischen Grenzen zu überwinden, keine Vertriebskosten – nur: Niemand wird wissen, dass Sie unter den Millionen Websites existieren.
Das grosse Problem eines Medienbetriebs aber ist: Relevanz. Eine Stimme in der Wüste ist eine Stimme in der Wüste – wenn Sie niemand hört, dann bewirken Sie nichts. Sie erhalten keine Abos, keine Werbung, können mit den Inhalten kein Geld verdienen, weil einfach niemand zahlt. Relevanz ist, wenn viele von Ihrem Werk was mitbekommen. Wenn Ihre Artikel diskutiert werden, wenn man lesen oder hören will, was Sie produziert haben. Sehr schnell wird man dabei zu einer Referenz für Fragen. Man abonniert Sie, folgt Ihnen an Referaten, will Ihre Meinung hören, weil man Ihnen vertraut. Das kann in jede beliebige Richtung gehen, wie wir in der Pandemie festgestellt haben – trotzdem ist das die logische und gesellschaftliche Kausalität. Beim Thema Fake News stehen wir dabei vor neuen Herausforderungen – die Relevanz aber ist in der Funktion gleich geblieben. Das erklärt vieles.
Inhalte werden von Menschen generiert. Im Normalfall kosten diese MitarbeiterInnen Geld. Natürlich können diese ehrenamtlich und freiwillig arbeiten – damit wären die Kosten wieder günstig gehalten. Darum sind viele kleinere Medienunternehmen als Vereine aufgestellt. Bei Grossunternehmen wird gerne auf Freischaffende gesetzt – die kosten dann «eine Pauschale», sprich: Du arbeitest für diesen Lohn oder lässt es sein, jemand sonst wird das machen. So hat sich die Entgeltungsspirale nach unten gedreht. Zum Teil verdient man als freie Journalistin weniger als ein Putzangestellter zweiter Klasse.
Was JournalistInnen immer wieder vergessen, wenn sie aus der Not neue Medienunternehmen selbst aus dem Boden stampfen: die Administration und den Vertrieb. Das sind zwei Posten, die hohe Kosten verursachen und kaum Geld abwerfen. Das Marketing ist hier drin – ein Posten, der lustigerweise ausgerechnet die Online-Medien sehr stark betrifft, weil diese physisch keine Sichtbarkeit erzielen. Ein Online-Medium wird immer nur von einer Person gleichzeitig konsumiert – nicht wie bei Zeitungen von mehreren LeserInnen (zum Beispiel im Kaffeehaus). Mit anderen Worten: Für ein Online-Medium müssen wir alle LeserInnen einzeln anwerben und binden – und selbst die AbonnentInnen müssen wir daran erinnern, dass wir neuen Inhalt publiziert haben, weil das im virtuellen Alltag vergessen geht. Online-Medien haben zwar günstige Erstellungskosten, aber viel höhere Marketingaufwendungen und viel mehr Ablenkungskonkurrenz. Und genau daran scheitern diese Betriebe oft früher oder später.
Will heissen: Ein Drittel der Kosten sollte über die AbonnentInnen gedeckt sein, zwei Drittel wären über Werbeeinnahmen oder fixe Beiträge zu decken. So war das früher und so funktionieren die Mediensysteme auch heute noch. Bei den terrestrischen Medien subventioniert der Staat mit, weil diese die Infrastruktur kaum selbst berappen können. Zudem werden diese Subventionen und Sendelizenzen an Bedingungen geknüpft: Die Inhalte müssen einen gewissen Prozentsatz an neutralen politischen und intellektuellen Formaten aufweisen, um bei der gesellschaftlichen Meinungsbildung und generell bei der Bildung mitzuwirken. Die Logik dahinter ist einfach, und wir sehen sie heute bei vielen Privatkanälen: Der Unterhaltungs-Bullshit sollte nicht durch Steuergelder bezahlt werden. Tutti-Frutti-Programme kann man mit WerbepartnerInnen finanzieren – sie bieten aber nicht wirklich einen Dienst am geistigen Wachstum einer Gesellschaft. Privatsender finanzieren sich mit einem solchen Mischprogramm auch «intelligente» Sendungen – was zum Teil deren Erfolg erklärt. Nur: Gewisse Formate sind schlicht selten durch Werbung förderbar – zum Beispiel Nachrichtensendungen.
So weit, so gut. Wir sind immer noch beim Geld. Das neue Mediengesetz will die Werbeeinnahmen-Ausfälle der Verlage auffangen, und sogar die AbonnentInnen-Ausfälle werden mit den Ideen der neuen Subventionen getragen. Die indirekte Presseförderung, also jene, die die Postversände günstiger macht, hat keinen Einfluss auf irgendeinen Inhalt. Keine einzige Journalistin, kein einziger Journalist wird bei einer Erhöhung einer solchen Subvention mehr Lohn erhalten – auch keine Garantie, dass die Arbeitsstelle in Zukunft gesichert sein wird. Bei den Online-Medien ist es trügerisch gleich: Wenn diese Geld vom Staat erhalten, so garantiert das keinen einzigen Lohn – ausser jene der Administration, Verwaltung, der Programmierer, und selbst die Leute vom Marketing werden gesichertes Geld erhalten – nicht die JournalistInnen. Warum? Weil es die Logik des Geldes so will: Jene, die arbeiten, erhalten immer weniger als jene, die den Auftrag geben. Und um es noch deutlicher zu sagen: Das Geld wird nicht ausreichen, um zum Schluss noch die JournalistInnen gesichert anstellen zu können. Das Geld vom Staat ist nicht eine 100-%-Finanzierung, sondern nur eine Teilfinanzierung.
Deswegen wird das neue Mediengesetz das Gegenteil von dem bewirken, was gewünscht wäre: Es wird nach einigen Jahren weniger Medien geben, weil die kleinen Betriebe nicht gefördert werden und die grossen Konzerne die hohen Millionenbeiträge abgrasen können und alles dominieren. Ich habe es schon erwähnt: Für uns als Magazin macht die indirekte Presseförderung ungefähr die Hälfte eines gedruckten Heftes aus – pro Jahr! Bei Tamedia sind es 6 bis 10 Millionen Franken an Einsparungen im Jahr. Aber die kleinen Betriebe schreiben die Inhalte – die grossen Konzerne verwerten mit Mantelmedien die gleichen Inhalte mehrfach, im Print und auch auf den Online-Portalen – wofür sie mehrfach subventioniert werden! Ergo: Die Kleinen werden sich nicht finanzieren können in Zukunft, die Konzerne erhalten das Geld, produzieren den Einheitsbrei, und die «vielfältige Presselandschaft» ist dahin. Prost Demokratie.
Es gäbe Instrumente, um ein neues Mediengesetz so zu verankern, dass es zu einer besseren Presselandschaft führen und die Lösung bringen würde, die das Schweizer Volk sich vorstellt:
Der Schwerpunkt des neuen Mediengesetzes darf nicht die Verlage fokussieren, sondern sollte die Anstellungen und den Vertrieb stärken. Es ist korrekt, dass wir eine indirekte Presseförderung haben in der Schweiz. Das versteht man insofern besser, als man weiss, dass es eine betriebliche Trennung zwischen Redaktion und Verlag gibt. Hier wird offensichtlich: Das Mediengesetz fördert nur eine Instanz: die Verlage. Also jene, die mehrheitlich für das Desaster zuständig sind. Eine Subventionskultur muss diese beiden Instanzen verbinden – ohne eben inhaltliche Vorgaben zu machen. Und das ist möglich und wäre intelligent.
Lustigerweise heisst es in der Botschaft zum neuen Mediengesetz im Zusammenhang mit digitalen Medienangeboten: «Die Unterstützung von Journalistenstellen wurde mit der Medienbranche diskutiert und von dieser aus Gründen der Unabhängigkeit der Redaktion abgelehnt. Auch nur der Anschein staatlicher Einflussnahme sei zu verhindern.» Es scheint niemand auf die Idee gekommen zu sein, dass Anstellungsbedingungen bei den Verlagen liegen und nicht bei den Redaktionen – da wäre eine gute Steuerungsgrundlage. Das gilt für Print- wie auch für Online-Medien.
1. Es ist unverständlich, dass die Gewerkschaften jetzt nicht auf den Medien-GAV (Gesamtarbeitsvertrag) setzen und eine Subventionsbedingung daran knüpfen. Der Clou: Wenn wir die Staatsförderung mit einer Lohnbedingung verbinden, gibt es noch immer keine inhaltliche Einflussnahme, aber wir garantieren, dass die JournalistInnen das Geld erhalten, also das, was wir unter dem Begriff Medienschaffen oder eben Mediengesetz fördern wollen: meinungsbildende Inhalte. Sonst ist uns die Finanzierung von Medien ziemlich egal. Damit würden wir diese beiden Rechtspersönlichkeiten (Verlag und JournalistInnen) zur Einheit verpflichten, dazu, gemeinsam zu operieren. Die Verlage erhielten Geld – aber müssten dafür sorgen, dass die Anstellungsbedingungen nachhaltig gestaltet sind. Dazu müsste unbedingt auch ein GAV für Freischaffende definiert werden – sonst würden JournalistInnen wieder ausgenutzt werden, ohne feste Anstellungen und zu makabren Pauschal-Ansätzen.
Online-Medien wäre so genötigt, das Geld vom Staat für Inhalte einzusetzen und nicht nur die Administration und das Marketing zu sichern. Das bedingt für die ganze Branche neue Businesspläne, neue Innovationen, neue Zusammenschlüsse und weniger Eigenbrötlereien. So würden Verlage eine neue Dynamik in der Geldbeschaffung erzielen müssen – Innovationsförderung nennt man das, die sogar belohnt würde.
So würde auch verhindert, dass die Verlage sich bei Stiftungen, Gönnern und Sponsoren die Inhalte bezahlen lassen. Diese Tendenz läuft bereits und hat zur Folge, dass die Verlage immer mehr Geld kassieren, aber den Inhalt nicht mehr selbst bezahlen. Das neue Mediengesetz schiebt dieser Tendenz keinen Riegel vor – im Gegenteil.
2. Die Inhaltsrechte von Artikeln werden heute von den Verlagen gekauft, mit der Abgeltung einer Vertragsarbeit bei freien Mitarbeite-rInnen. Das heisst, der Verlag erhält bei Auftrag automatisch das Recht (das muss man beim Auftrag unterzeichnen!), alles frei verwerten zu können – ohne dass die AutorInnen noch finanzielle Ansprüche geltend machen können. So kann ein Artikel nur einem Verlag angeboten werden, und danach hat man die Rechte an der Geschichte verloren – kann also selbst keine Zweitverwertung mehr machen und verliert damit Geld. Das hat insofern Relevanz, als ProLitteris zum Beispiel, also die Urheberrechtsverwaltung für AutorInnen, Abgeltungen nicht mehr den AutorInnen zahlt, sondern dem Verlag, der nichts geschrieben hat und nur noch daran verdient. Diese Gelder waren für freie JournalistInnen immer wichtig, und dabei geht es um Tausende von Franken pro Jahr. Das zahlt schon mal einen Teil der Ferien oder die Zahnarztrechnung … und wirkt sich auch auf die Pensionskassenauszahlungen aus!
Staatsubventionierten Betrieben müsste diese Praxis verboten werden. Wenn wir schon ein Mediengesetz machen, so sollten wir den Fokus auf den Schutz der Inhalte und von deren UrheberInnen richten, also auf die journalistischen MitarbeiterInnen setzen und sie schützen. Es macht keinen Sinn, einen Berufsstand mit Ausbildungen zu fördern und gleichzeitig dessen zukünftige finanzielle Entwicklung zu beschneiden. Welcher Trottel lässt sich auf so was noch ein?
3. Ausbildungsförderung: Das ist gut – aber nicht, wenn die Medienbetriebe ihre Redaktionen mit PraktikantInnen füllen und damit wieder Geld sparen – womöglich noch finanziert durch den Staat. Nochmals, die Qualität des Journalismus können wir nicht fördern, wenn wir nicht Dossierkenntnisse, Rechercheinhalte, redaktionelle Reflexion und Dialoge fördern. Ein Blick in die Journalistenwelt zeigt: In vielen Redaktionen sind die fixen Teams so klein geworden, dass durch einen Stellenwechsel das Know-how zur Hälfte verschwindet.
4. Das Mediengesetz, über das wir abstimmen werden, ist ein Verlagsgesetz, welches die Position der Verlage fördert, nicht aber die Inhalte der Medien. Und damit wird kein Problem gelöst, das wir eigentlich mit den Millionen Steuerfranken lösen möchten. Oder man kann das auch so sehen: Diejenigen, die beim Shoppen viel Geld ausgegeben und dabei vergessen haben, dass auch noch Lebensmittel hätten gekauft werden sollen, werden jetzt belohnt mit mehr Geld zum Shoppen – egal was. Soll mir mal jemand beweisen, dass danach mehr (regionale) Lebensmittel gekauft werden …
Die SRG hat im neuen Mediengesetz eine spezielle Stellung inne. Diese werde ich vielleicht später mal gesondert behandeln.
Am 13. Februar 2022 müssen wir ein klares NEIN in die Urne legen. Dieses NEIN bedeutet ein JA für die Medieninhalte, für den Journalismus, für eine gesunde Demokratie und eine nachhaltige Presselandschaft. Ein NEIN muss der Anfang einer neuen Diskussion werden. Und spätestens bei der GAV-Diskussion wird die Gruppe «Staatsmedien Nein» nicht mehr mitmachen – aber genau da müssen wir hin. Ohne GAV wird später niemand mehr über so was diskutieren wollen, wenn schon der Staat bezahlt – dann besteht keine Notwendigkeit mehr.
Wenn wir diese Chance verspielen, ist eigentlich garantiert, dass sich die Medienlandschaft negativ verändern wird. Es wird kein paralleles Mediengesetz geben, niemand wird sich nach dieser Abstimmung noch für den Journalismus einsetzen können. Eine Gesetzesänderung wird Jahre dauern – und bis da wird es für den Berufsstand zu spät sein.
Insofern hoffe ich – nur: Interessiert das noch irgendjemand?