Von Bettina Hersberger — «Wer Tee trinkt, geht auf Reisen», heisst es. Tatsächlich kann man den Tee auf einer langen Reise durch die Jahrtausende begleiten, angefangen in der Jungsteinzeit Chinas. Zahlreiche Legenden ranken sich um die Entdeckung des Tees und seine Verbreitung. Lange Zeit wurde er ausschliesslich als Medizin verwendet. Erst rund 200 v. Chr. avancierte er zum Genussmittel. Weitere tausend Jahre vergingen, bis er den Weg nach Japan fand. Japanische Mönche zogen nach China aus, den Zen-Buddhismus zu studieren und lernten Teerituale als festen Bestandteil religiöser Praktiken kennen. Tee beruhigte den Körper und erfrischte den Geist bei der Meditation. Mit der Verbreitung der Religion wurde auch der Tee zunehmend populär. Im 15. Jahrhundert war die Teekultur in Japan so weit entwickelt, dass um das Teetrinken eine ganze Zeremonie entstanden war, die Religion und Lebenskunst miteinander verband.
Mitte des 16. Jahrhunderts brachten Karawanen den Tee von China über die Seidenstrasse nach Russland. Bis sich eine russische Teekultur entwickelte, verstrichen einige Jahrzehnte. Der Karawanentee war bekannt für seine aussergewöhnliche Qualität, weil er nicht den unerwünschten «Schiffsgeschmack» trug wie der ursprünglich über den Seeweg eingeführte Tee.
Nicht etwa die Engländer waren es, die den Tee in Europa einführten. Holländische Seefahrer brachten ihn Ende des 16. Jahrhunderts aus China mit und gaben ihm seinen europäischen Namen. Noch bevor die Engländer den ersten Schluck tranken, wurden vornehme Teesalons in Frankreich eröffnet. Kaum zu glauben, dass die Engländer zu dieser Zeit passionierte Kaffeetrinker waren. Was sie Mitte des 17. Jahrhunderts zum Teeismus konvertieren liess, bleibt ein Geheimnis. Der Teekonsum der Engländer wuchs rasant. Die aus China importierten Teemengen deckten den Bedarf bald nicht mehr. So zogen die Briten nach Indien, um selbst Tee anzubauen. In Nordostindien entstand eines der bedeutendsten Teeanbaugebiete überhaupt: Darjeeling – wo einst riesige Urwaldgebiete den Teeplantagen weichen mussten. Es dauerte nicht lange, bis die Briten ihre Teeplantagen nach Ceylon und Indonesien ausbreiteten.
Wohl kein anderes Kraut kann so viele Geschichten erzählen wie der Tee. Tee ist ein zentrales Element religiöser und philosophischer Lehren, die rituelle Teezubereitung Ausdruck einer Geisteshaltung. Tee ist Medizin und Lifestyle. Der Taoismus sieht im Tee gar den Trank der Unsterblichkeit.
Der Tee der Kindertage wird bei so manchem einen etwas schalen Nachgeschmack hinterlassen haben. Abgestandener Pfefferminztee aus der Thermoskanne bei Schulwanderungen, Lindenblütentee im Fieberrausch, Kamillentee gegen Bauchschmerzen. Schöner dagegen die Erinnerung, wie Grossmutter aus einer Handvoll Goldmelissenblüten einen veilchenblauen Tee zauberte und ein Stückchen Kandiszucker hinzugab, das so schön knackte und den Tee mit jedem Schluck süsser werden liess.
Gut Tee will Weile haben, denn er ist eine kleine Welt für sich. Lässt man sich auf sie ein, so steckt in jeder Tasse Tee ein kleines Abenteuer, ein Stück Geschichte, ein ungeahnter Schatz, ein sinnliches Erlebnis. Dann hat die Entdeckungsreise erst begonnen.
Quelle: «TEE» von Tilmann Schempp, Thorbecke Verlag, 2006.
Foto: Hubert Neidhart
ensuite, Januar 2009