Von Antje Luz - Marisa dos Reis Nunes, kurz Mariza, 34, ist wie Fussballtrainer Mourinho eine der wenigen Persönlichkeiten Portugals, die auch im Ausland bekannt sind. Die weltweit erfolgreichste Fado-Sängerin hat seit ihrem Débutalbum 2001 mit ihrer eigenen Interpretation des Fado auf sich aufmerksam gemacht und wurde vielfach dafür prämiert. Die ebenso grazile wie graziöse Fado-Künstlerin veröffentlichte im September ihr viertes Album «Terra», das für einen Grammy nominiert ist. Im Oktober beginnt die UNICEF-Botschafterin ihre Konzert-Tournee durch die deutschsprachigen Länder.
Die beninisch-französische Sängerin Angelique Kidjo sagt von sich, sie sei Sängerin geworden, weil ihre Mutter während der Schwangerschaft so viel gesungen hätte. Wie war das bei Ihnen?
Ah ja, ich denke nicht, dass meine Mum viel gesungen hat. Und ich wurde mit sechs Monaten geboren, sie hätte also auch gar nicht so viel Zeit dafür gehabt… (lacht).
Sie wurden in Moçambique als Kind eines portugiesischen Vaters und einer mosambikanischen Mutter geboren. Mit drei Jahren kamen Sie nach Lissabon, wo Sie mit fünf Jahren in der Taverne Ihrer Eltern in Mouraria, einem Stadtteil Lissabons, zu singen begannen. Welche Rolle spielten Ihre Eltern dabei, dass Sie Sängerin wurden?
Meine Mum zeigte mir afrikanische Musiktypen und wir haben viele afrikanische Schriftsteller gelesen, sie öffnete meinen Verstand dafür. Mein Vater war wirklich sehr portugiesisch und hörte immer viel Fado. Und ich glaube deswegen bin ich Fado-Sängerin geworden. Aber sie waren gewissermassen nicht diejenigen, die mich zum Singen brachten. Ich glaube an Schicksal – übrigens bedeutet das Wort Fado Schicksal – und also glaube ich, dass es das Schicksal war.
Als Sie begonnen hatten zu singen, konnten Sie noch nicht lesen und Ihr Vater malte für Sie Cartoons anstatt des Textes. Und der Beginn, Musik zu machen, war der Beginn einer Karriere. Wie ist es weitergegangen?
Ja, das stimmt. Ich habe als Kind sehr viel Fado gesungen, aber ich war sehr schüchtern dabei. Die Menschen sagten mir, ich singe anders und das war ein Schock für mich. Ich hatte das Gefühl, ich mache etwas falsch, dann hörte ich mit Fado-Singen auf und hörte nur noch zu. Ich habe dann Jazz gesungen, Bossa Nova, Blues, einige portugiesische Musik, aber keinen Fado. Ich ging zu den Fadohäusern, um ihn anzuhören und ich war sehr neidisch dabei, weil ich in der Stimmung war, zu singen, aber zu schüchtern, um es zu tun, weil ich das Gefühl hatte, ich bin nicht gut genug. Eines Tages sagte mir jemand, ich wüsste nicht, wie man Fado singt. Das hat mich angestossen und da habe ich gesagt, ich zeige dir, dass ich weiss, wie man singt. Und plötzlich passierte all das.
Was ist Fado und wie unterscheidet er sich von anderen Musikstilen?
Fado entsteht in der Seele. Er entsteht durch Leiden. Er entsteht durch Liebe. Das ist die Magie.
Im traditionellen Fado tragen die Sängerinnen schwarz, haben schwarzes Haar, bewegen sich kaum. Mit Ihrer Persönlichkeit und Ihrer Art, zu singen, brechen Sie diese Klischees auf. Wie sehen Sie das?
Wenn ich in einem Fadohaus bin, dann kenne ich genauestens die Traditionen und weiss, wie ich mich verhalten muss. Ich selbst trage nicht ganz schwarz, weil ich manchmal nicht in der Stimmung dazu bin. Ich habe kein schwarzes Haar, weil es mir nicht gefällt. Und ich bewege mich, weil ich den Rhythmus der Musik fühle. Ich versuche nicht, Klischees aufzubrechen oder etwas zu erneuern, ich bin einfach nur ich selbst. Sie müssen wissen, ich halte mich selbst nicht für eine Fado-Sängerin. Ich sehe mich als portugiesische Sängerin, die inmitten von Fado aufgewachsen ist, alles an mir ist Fado. Und mehr und mehr mache ich meinen eigenen Fado aus meinem eigenen Blickwinkel. Die Wurzeln sind natürlich dort, aber mehr und mehr füge ich das hinzu, was ich über Musik und über die Welt fühle.
Ihre neue CD «Terra» ist anders als die anderen: sie ist mehr als Fado, sie ist eine Mischung aus Fado, Flamenco, Folk, Jazz, Bossa Nova…
Es ist kein Jazz, es ist kein Flamenco, kein Bossa Nova. Es ist, als wäre man mit den Füssen in Portugal und reise dabei um die Welt. Man nimmt ein bisschen von allem und gibt es in den Fado hinein. Ich versuche nicht, irgendetwas zu ändern, ich zeige nur meinen Blickwinkel, was ich denke, was Fado sein kann. Manchmal geben die Menschen den Dingen gerne Namen, das ist Bossa Nova, das ist Jazz, das ist Flamenco, aber sie vergessen, dass wir über Musik sprechen. Über eine Musik, die natürlich ihre Wurzeln in einer gewissen Kultur hat, aber es ist Musik. Und sie sollte gut gemacht sein, mit guten Produzenten, Dichtern, Musikern – und das ist, was ich zu tun versuche.
Wie war Ihre Herangehensweise an «Terra»?
Ich hatte die Idee des Namens, Terra, der Erde als Planet meint, denn meine Musik ist sehr zugehörig zur Erde. Und ich habe also angefangen, zu recherchieren, sieben Monate lang. Ich bin sieben Jahre auf Tourneen gewesen, wo ich viel gelernt habe und ich habe mir für jedes Jahr Tournee einen Monat gegeben. Wenn Sie damals in meinem Haus gewesen wären, hätten Sie ungefähr hundert Bücher in meinem Wohnzimmer gesehen, ich schlief nur vier oder fünf Stunden täglich und sonst recherchierte ich über Gedichte. Dann sprach ich direkt mit den Autoren, die speziell für mich schreiben und komponieren – ich gab ihnen diese alten Gedichte und sie komponierten für mich die Musik dazu. Ich hatte alles in meinem Kopf, aber ich hatte keinen Produzenten.
Was geschah dann?
Und ich hatte eine Menge Namen wie Jaques Morelenbaum, Dominic Miller und andere, aber Javier Limón war derjenige, bei dem ich am meisten Vorbehalte hatte. Und dann war ich in Spanien und wir trafen uns und begannen, miteinander zu sprechen und er war in völligem Einklang mit mir und ich dachte: Wow! Es war dann einfach fantastisch, mit ihm zu arbeiten. Ich bin eine sehr aufrichtige Person und ich hatte die ganze Zeit gesagt, nein, das will ich nicht, ich mag das nicht, ich will lieber das… und das Ergebnis ist diese CD «Terra». Javier ist ein wunderbarer Mensch und ich hoffe, wieder mit ihm zu arbeiten. Wir sind beide für einen Grammy für diese CD nominiert und das heisst, wir sind beide glücklich.
Was ist das Geheimnis von Fado oder was hat er fantastisches an sich, vor allem wenn er vor Ausländern gesungen wird, die die Sprache nicht verstehen?
Musik hat keine Grenzen. Und wir sprechen hier über Musik, die Grenzen überschreitet und ihre Seele berührt, mit der Melodie, der Stille, dem Ton der Stimme… Alles führt sie in eine andere Welt, und auch wenn sie kein Portugiesisch sprechen, verstehen sie, dass sie ein Mensch sind.
Sie gaben bereits Konzerte in Deutschland und touren jetzt durch die deutschsprachigen Länder. Welche sind Ihrer Meinung nach Unter schiede oder Gemeinsamkeiten zwischen Portugiesen und Deutschen?
Es gibt keine Unterschiede. Sie sind nicht anders als Portugiesen. Sie haben wegen ihrer Kultur nur eine andere Art, Musik zu verstehen. Ich hatte niemals ein schlechtes Konzert in Deutschland. Sie sind ein fantastisches Publikum, sie verstehen sehr gut, dass Musik keine Grenzen hat. Als ich das erste Mal in Deutschland war, fürchtete ich mich, weil ich nicht wusste, ob es so ist, wie viele sagen, dass sie «kalte» Menschen sind. Aber von Anfang an haben sie mich bestens verstanden und darum komme ich zurück.
Sie haben in Lissabon ein Konzert gegeben, während dem Sie weinten. Was bedeutet es Ihnen, wenn Ihr Publikum weint?
Sie sind in Verbindung mit mir. Fado ist eine Musik, die auf den Gefühlen des Lebens basiert, auf den Narben, die man in der Seele hat. Und wenn ich singe, dann öffne ich diese Narben, das tut weh und gut zugleich. Ich nenne das gerne meine Pandora-Büchse und auf der Bühne öffne ich die Pandora-Büchse und gebe alles, was ich habe, ihnen. Ich bin nackt vor ihnen, ich zeige ihnen, was ich durchgemacht habe, meine Lieben, meine Gefühle, meine unerfüllten Lieben, wie es ist, eine Frau zu sein… alles. Und manchmal weine ich dabei. Und wenn das Publikum weint, dann weil sie mit mir in Verbindung sind. Wir sind auf einer ähnlichen Stufe, es gibt keine Sängerin und kein Publikum, sondern wir sind einfach Menschen, die etwas fühlen.
Welches Gefühl schenkt Fado Ihnen?
Das Gefühl, sehr klein zu sein.
Sprechen wir von Portugal: Wie würden Sie die Portugiesen von heute beschreiben?
Portugal war einmal sehr gross. Wir waren eines der Länder, das viele andere Länder und Dinge entdeckt hat. Jahrhunderte später hatten wir ein Regime und dieses Regime liess uns vielen Dingen gegenüber ängstlich werden. Wir lernen wieder, zu leben, frei zu sein. Die junge Generation jetzt versucht, alles, was in der Vergangenheit geschehen ist, zu verstehen, weil man nur Schritte nach vorn machen kann, wenn man die eigene Vergangenheit versteht. Und es ist eine so wunderbare junge Generation! Leider bin ich kein Teil davon, ich wäre das so gerne und bin sehr stolz auf sie, sie werden Portugal zu einem grossen Land machen, ganz sicher.
Was hat Fado mit dem modernen Portugal gemeinsam?
Fado ist ein Erbe, das von Generation zu Generation weitergeben wird. Wir haben keine Fado-Schulen, wir lernen Fado auf den Strassen. Aber man fragt nicht, wie singt man das, man macht es einfach. Man hört zu und lernt. So habe auch ich gelernt. Ich kann nur über den Fado sprechen, den ich gemacht habe, weil er auf diesem neuen Portugal basiert und auf meinen sieben Jahren Tourneen. Ich habe noch immer die Wurzeln, aber gleichzeitig denke ich, ich lebe in einem neuen Portugal, in einem neuen Jahrhundert, mit einer neuen Generation und ich möchte sie auf meine Seite ziehen, ich möchte ihnen zeigen, das ist keine alte Sache, sondern etwas Modisches, das ist eine sehr reiche Musik, die die Macht hat, Sprachgrenzen zu überwinden und Menschen verstehen zu lassen, dass wir sehr reich sind als kulturelle Menschen.
Sie repräsentieren die portugiesische Sprache und Kultur im Ausland. Wie fühlen Sie sich in Ihrer Rolle als Botschafterin?
Ich sehe mich nicht so. Ich denke, die Botschafter Portugals sind die portugiesischen Menschen, die ausserhalb Portugals leben. Sie sind diejenigen, die Portugal repräsentieren, im Guten oder im Schlechten, das ist egal. Sie sind diejenigen, die die Traditionen erhalten, die Portugal hochhalten. Ich bin nur die Transporteurin einer Kultur, nichts weiter.
Eine Dienerin?
Ja, in gewisser Weise. Ich diene meinem Volk. Aber ich bin keine Botschafterin.
Im Portugiesischen gibt es den Ausdruck «Das ist mein Fado», der sinnbildlich für das Leben, eben für das Schicksal einer Person, steht. Welches ist Ihr Fado?
Hm, mein Schicksal, mein Fado – ich weiss nicht, ich bin noch sehr jung. Ich weiss nicht, wer ich in zwei Jahren sein oder was ich dann machen werde. Ich lebe jeden Tag für sich. Heute bin ich hier mit Ihnen, wir sprechen, morgen werde ich ein weiteres Konzert geben. Ich verbringe fast alle meine Tage singend, aber ich weiss nicht, vielleicht sage ich eines Tages, es ist genug und möchte andere Dinge ausprobieren. Vielleicht eine Schauspielerin sein, vielleicht hinter der Bühne arbeiten und anderen Sängern helfen… Ich weiss nur, ich liebe singen, das ist das Allerschönste für mich.
Was ist, Ihrer Erfahrung nach, schön und was ist schwierig daran, als Sängerin zu leben? Und warum tun Sie es trotzdem?
Ich liebe, was ich mache. Ich kann mir nicht vorstellen, etwas anderes zu tun. Ich singe, seit ich ein Kind war. Ich habe nie gedacht, CDs aufzunehmen, Tourneen zu gestalten, in all den wunderschönen Theatern aufzutreten, so viele Menschen zu treffen, so viel zu lernen, als Person zu wachsen und als Sängerin. Aber ich habe kein Privatleben, weil es äusserst schwierig ist. Ich habe keine Kinder und bin nicht verheiratet. Aber schwierig ist es wegen etwas anderem: Sie wissen niemals, warum sich Menschen ihnen nähern. Sie wissen nicht, ob sie sie als Mensch kennenlernen und verstehen wollen oder weil Sie die Sängerin sind. Und das ist das grosse Problem. Aber ich lebe dieses Leben trotzdem, weil… ich es liebe. Es ist mein Leben.
Es ist Ihr Fado.
Ja, das ist mein Fado. (lacht)
Was gibt Ihnen Kraft?
Gott. An meine Musik glauben. Die Schönheit, die ich sehe, wenn Menschen meiner Musik zuhören und daran zu glauben, dass ich etwas sehr Gutes für mein Volk und für mein Land mache.
Sie haben in Ihrer Laufbahn sehr viel erreicht. Welche Momente haben Ihnen wertvolle Erfahrungen bereitet?
Alle waren wichtig. Von Anfang an. Zum Beispiel die Tourneen, bei denen ich sehr viel gelernt habe: Über andere Kulturen, andere Musiker, Rhythmen, Menschen. Ich beurteile Menschen nicht mehr, anfangs habe ich das gemacht, weil ich nicht darauf vorbereitet war, eine andere Kultur zu verstehen. Heute bin ich es und ich verurteile niemanden, ich versuche nur, zu verstehen warum. Und ich versuche, involviert zu sein und aufgeschlossen. Oder UNICEF-Botschafterin zu sein: Kindern zu helfen, Geld zusammenzubringen, um Schulen zu bauen… — sehr vieles. Diese Hilfe macht mich glücklich.
Welche Träume würden Sie gerne erfüllen?
Ich weiss es nicht. Ich weiss es wirklich nicht. Wie gesagt, ich lebe einen Tag nach dem anderen. Ich weiss, wo ich morgen singen werde. Aber mehr weiss ich nicht. Leider. Ich würde das sehr gerne, aber ich bin sehr realistisch und weiss nicht, wie man träumt. Ich warte nur ab, was das Leben mir geben wird. Ich habe nie um etwas gebeten und das Leben hat mir sehr viel gegeben. Ich bin sehr glücklich und ich werde eines Tages noch glücklicher sein, weil ich alles das erlebt habe, ich habe bewundernswerte Menschen getroffen, lebe ein wunderbares Leben und ich habe eine Menge Dinge, die ich im Leben tun kann. Also vielleicht ist das der Traum: Singen.
Sind Sie auch im Privatleben eine Fadista – oder eher Hip-Hopperin?
Ich liebe Hip-Hop, aber ich werde immer zu Fado gehören.
Und haben Sie jemals gedacht, einen Fado auf Deutsch zu singen?
Niemals! Fado nur auf Portugiesisch.
Bild: © Carlos Mateus de Lima
ensuite, Dezember 2008