Von Lukas Vogelsang — In den letzten neun Jahren wurde ensuite vor allem durch polemische Einwürfe von mir als Chefredaktor bekannt. Wie ein Pausenclown positionierte ich mich inmitten vom kulturellen Gefüge zwischen öffentlicher Kulturförderung, Institutionen, KünsterInnen und dem Publikum. Ich behaupte mal, dass diese gezielten Aktionen erfolgreich waren: Wir sind noch da. Und sicher: Ich habe mich vielem ausgesetzt und provoziert – nicht zu jedermanns Freude. Allerdings kennen mich lange nicht alle KritikerInnen persönlich – sondern nur vom Hörensagenschreiben. So erzähle ich hier zum letzten Mal die Anekdote über eine Kritikerin, die mit mir online in einem Forum gestritten hatte, und wenig später an einer Veranstaltung gegenüber mir über «den Vogelsang» herzog – ohne zu wissen, dass ich das war. Wir hatten einen lustigen Abend und uns gemeinsam über den «Vogelsang» lustig gemacht. Soviel zu meinen KritikerInnen.
Diese Clown-Nummer ist ganz gut und bringt oft viele wichtige Informationen ans Tageslicht. Als JournalistIn darf man sich nicht instrumentalisieren lassen – so die Devise der Presse. Den KulturjournalistInnen ergeht es ähnlich wie den KollegInnen der Wirtschaftsredaktionen: Alle wollen uns auf Ihre Seite ziehen – wenn wir nicht mitmachen, werden diese Kräfte gegen uns wirken. Bei den Wirtschaftsredaktionen sieht man das einfach beim Verlauf der Anzeigeverkäufe. Allerdings: Schreibt eine Redaktion negativ über eine Firma, die sich an der Börse profilieren will, so hat das weit grössere Auswirkungen als nur einen kleinen PR-Schaden. Da verändert ein Satz plötzlich den Verlauf von Millionen und Arbeitsplätze kommen ins Wanken. Ein verantwortungsvolles und heikles Terrain. Gleiches bei uns: Wenn wir in der Kulturredaktion schreiben würden, was wir wirklich wissen, wäre das gesellschaftlich ebenso ungesund.
Kultur gehört zum guten Ton, Kultur steht über der Politik, Kultur ist gesellschaftlich gesehen ein Sonderzug, der vor der Politik fährt. Entscheidungen werden durch das kulturelle Verständnis gefällt, erst danach kommt das Konzept der Politik. Deswegen ist «Kulturelles» die Königsdisziplin im gesellschaftlichen Gefüge, auch wenn sie sich vor der Politik immer wieder behaupten muss: PolitikerInnen lassen sich nicht so einfach degradieren. Nicht nur in Frankreich ist es Tradition, dass sich grosse PolitikerInnen ein kulturelles Denkmal setzen. Und so manch öffentliches Kultursekretariat hinterlässt eine Handschrift und noch öfter eine kulturelle Baustelle.
Die Krux an der Sache ist aber, dass die Politik und die Behörden oft selber keine Kulturschaffenden, sondern VerwalterInnen sein müssen. Und so müssen sie sich alles erkaufen: Den Status, die Kunst, die Gunst. Unter solchen Umständen fördert die Kulturförderung nicht im Dienste der Kultur: Sie fördert vor allem Statussymbole. Doch andersrum funktioniert es auch nicht: Wenn Kulturschaffende in Gremien sitzen, werden sehr rasch die eigenen Vorteile beackert. Das wird zum Vitamin B‑Spiel. Die Stadt Zürich löste das Problem einfach: Sie hat die Kultur gesamthaft eingekauft und ist selber Herrscherin über fast alle Institutionen und alles Schaffen. So behält man den Status in den eigenen Händen, kontrolliert und unterdrückt jegliche abweichende Meinungsbildung. Sogar in die Rote Fabrik geht man heute mit Dresscode.
Warum ich das erzähle? Ganz einfach: Jetzt stellen Sie sich diesen Clown vor, der jene Statussymbole einfach umstellt, trotzt und ein bisschen Verwirrung reinbringt, andere Geschichten erzählt, als die Politik oder die KulturfürstInnen hören wollen. Eigentlich müsste das ja der allgemeinen Erheiterung dienen, doch für einige Menschen muss sowas unangenehm sein. So unangenehm, dass die Stadt Bern zum Beispiel pro Jahr 140’000 Franken Kulturgeld aus Steuern ausgibt, um ein Kulturmagazin wie ensuite zu verhindern – und das damit begründet, dass man uns kein Kulturfördergeld für, zum Beispiel, Kulturvermittlung geben kann. Der Stadtpräsident spricht dann auch – so die Überlieferung aus der Abteilung Kulturelles – von Konkurrenz, und im gleichen Atemzug von Sparen.
Deswegen, der Chef empfiehlt: Geniessen sie Kultur, aber mit Vorsicht. Die Neben-
wirkungen können verheerend sein.
Cartoon: www.fauser.ch
ensuite, April 2011