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Menschen & Medien: «Fasch e Familie 2»

Von Lukas Vogel­sang — Probe­a­bos sind eine gute Sache. Für einige Monate Ein­blick in eine andere Redak­tion zu erhal­ten löst die eige­nen Verkramp­fun­gen, die man sich sel­ber so aneignet. Der geistige Hor­i­zont wird immer klein­er, wenn man nur einen Punkt anstar­rt. Das Spiegel­bild der Real­ität find­en wir in unserem Hirn wieder. Deswe­gen: Ein Probe­abo ärg­ert Jour­nal­istIn­nen immer ein wenig, weil sie dann erken­nen müssen, was ihnen nicht in den Sinn gekom­men ist. Aber das ist dur­chaus ein befruch­t­en­der Prozess, etwas sin­nvoller investiertes Geld als für Haschisch – dies nicht neg­a­tiv zu ver­ste­hen.

Allerd­ings geht es um eine Hor­i­zon­ter­weiterung und nicht um das Abschreiben von The­men. Das scheinen einige Kol­legin­nen nicht zu ver­ste­hen. So habe ich für ein paar Monate ein Probe­abo von «Die Zeit» genossen. Eine fan­tastis­che und über­grosse Zeitung, von der ich wöchentlich erschla­gen wurde. Einige Wochen später lese ich in Bern­er Tagesme­di­en, und siehe da: Es scheint mir vieles ver­traut. Da wer­den in den Feuil­letons Dinge erzählt, dich ich schon kenne. Erst zwei­fle ich an meinen geisti­gen Fähigkeit­en, habe etwas später das Gefühl, Übersinnlich­es zu spüren, und spiele Lot­to. Alles falsch. Ich hat­te die Geschicht­en in der Tat schon vorher mal gele­sen, und die Lot­tozahlen waren weit daneben.

Ich habe mir die Mühe nicht genom­men her­auszufind­en, wer wem abschreibt: Die SDA bei «Die Zeit» oder ein­fach die Redak­tio­nen direkt bei den Kol­le­gen. Aber nach unge­fähr dem vierten Artikel kam ich zur Überzeu­gung, dass ein einziges Abo von «Die Zeit» wohl ziem­lich viele Schweiz­er Feuil­letons erset­zt. Und da war mein Prob­lem wieder: Wo ist die Hor­i­zon­ter­weiterung? Ist es wom­öglich so, dass «Die Zeit» ihre Inputs in amerikanis­chen Zeitun­gen auf­spürt, und ein­fach the­men­mäs­sig kopiert? Und die Amerikaner­In­nen schauen dann in asi­atis­chen Mag­a­zi­nen? Wiederkäuer!

Das Tage­sprob­lem: Es gibt heute um 10.00 Uhr eine Pressekon­ferenz, um 16:00 Uhr muss der Text im Kas­ten sein, damit in der Mor­ge­naus­gabe das The­ma gross mit Bild und Grafik auf der Titel­seite klebt. Mit­tagspause ist auch noch, und eine Sitzung zu einem The­ma für näch­ste Woche muss noch abge­hal­ten wer­den. Gebt Gas, Jungs und Mädels, das muss der Tagesknüller sein. Wir wollen die Sto­ry. Noch Fra­gen? Wir haben nur eine Per­son für diesen Auf­trag. Schnapp dir ein­fach eine Kam­era, das Presse­dossier, und beginne am besten mit Schreiben, bevor jemand redet. Die Reden wer­den eh in schriftlich­er Form abgegeben – du musst nicht mal richtig zuhören. Ausar­beit­en und auss­chmück­en kannst du den Text wenn du zurück bist. Emo­tio­nen sind gefragt und das, was alle bewegt!

So über­trieben ist das nicht. Das «was alle bewegt» ist totale Wiederkauware. In der Schweiz bringt die SDA ja genug Mate­r­i­al, welch­es innert Stun­den auf fast allen News­portal­en hochgestossen wird. Wie Pfer­de­fleisch, welch­es durch den Fleis­chwolf zum Hack­fleisch ver­dreht wird. Die The­men­vielfalt in den Schweiz­er Medi­en ist lang­weilig. Die paar High­t­lights machen noch keine freie Medi­en­welt. Das sich sel­ber hoch­preisende Inter­net­magazin «Journal‑B» bringt Foto­streck­en als Alter­na­tive und Quartier­strassen­berichte. Die grossen Aus­nah­men sind Wochen­zeitun­gen und Monats­magazine. Da haben die Jour­nal­istIn­nen noch Zeit, zwei Fra­gen mehr zu einem The­ma zu stellen. Das sind die ele­mentaren Momente, und die kön­nen ein­er Geschichte eine ganz andere Wen­dung geben. Warum, warum nur, konzen­tri­eren sich die Ver­leger heute nur noch auf tech­nis­che und formelle Struk­turen und lassen jegliche jour­nal­is­tis­che Arbeitsabläufe ein­fach auss­er Acht? Heute redet man von «Con­tent» und meint irgend­was auf Zeitungspa­pi­er Gedruck­tes, irgend­was auf einem ipad oder iphone, irgend­was auf den Smart­phones. WAS DENN? Und nein, wiedergekaute Kurz­nachricht­en wollen wir nicht. Das ist lang­weilig.

Also, ent­lasst diese Wiederkäuer­jour­nal­ist-Innen wieder in die Frei­heit! Frei­heit den gefan­genen Schreiber­lin­gen! Lasst sie laufen und Geschicht­en find­en. Gebt der Demokratie wieder eine Chance und schnüf­felt, wie euch die Nase gewach­sen ist. Fragt euer Bauchge­fühl und recher­chiert gute Geschicht­en. Nehmt euch Zeit für Fra­gen und fragt nach. Aber vor allem: Denkt nach und seid keine Wiederkäuer!

Car­toon: www​.fauser​.ch
ensuite, März 2013