Von Lukas Vogelsang - Sicher, bevor man von einer Krise reden kann, muss man sich darüber bewusst sein, was für eine Krise vorhanden ist, und man muss wissen, ob man sich aktuell darin befindet. Glauben sie mir: Von aussen ist das einfacher zu beurteilen, als wenn man drin steckt. Oftmals reden die Medien von einer Krise und die Betroffenen sind sich ihrer noch nicht bewusst. Entsprechend fehlt die Kommunikation, oder besser: Das Überraschungsmoment lässt die Beteiligten auf die Krise reagieren, nicht agieren. Der erste unübersehbare Fehler und das Alarmsignal ist das Dementi. Auf die ersten Fragen reagiert die betroffene Stelle ablehnend, abwimmelnd, unschuldig, und unterstreicht die Haltlosigkeit der Fragen, der Vorwürfe, Behauptungen oder Theorien. Wir wollen in einer ersten Reaktion alles unter den Tisch wischen, verharmlosen, unbedeutend machen, ignorieren und nicht zuletzt unsere Macht hervorheben, uns über die Sache stellen. «Wir haben alles im Griff!» – Wer das laut sagt, hat bereits eine Krise im Haus, ist angreifbar und versucht etwas zu verbergen.
«Heikel ist keine Information – heikel wird eine Information erst dann, wenn man sie nicht kommuniziert!» (Simon Kopp, Luzern)
Ich bin erstaunt, dass in den meisten Krisen-Fällen, dem Kommunikationszeitalter zum Trotz, die Hypersensibilisierung durch «social media» und diplomierte KommunikatorInnenschwemme ungeachtet, die Verantwortlichen Presse-SprecherInnen oft erst mal falsch reagieren. Wir erinnern uns an Insider-Hildebrand, Militär-Maurer, Mühleberg-Atom-BKW, Blochers, Sex-Strauss-Kahn – es ist ein weltweites Phänomen, insofern wird alles gleich wieder entschärft. Aber zu denken gibt es mir schon.
Aufgefallen ist mir vor allem, das wir in politischen Kreisen blind für Krisen sind. Während die SVP die goldene Kommunikationsregel lehrbuchmässig anzuwenden glaubt, schläft der linken Seite das Krisenbewusstsein ein. Die Krise ist in der Tat ein eher intellektuelles Problem und ich wage zu behaupten, dass vor allem AkademikerInnen darunter leiden: Kommunikation muss man führen. Wer darin gut ist, führt auch die Presse an der Nase rum – die meisten JournalistInnen sind sich den Mechanismen der Krisenkommunikation nicht bewusst. Das sollten sich vor allem auch WirtschaftsjournalistInnen notieren.
Man darf sich nie «zu gut» sein, auf eine Frage eine verständliche und ehrliche Antwort zu geben. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Uni-Betrieb, die zelebrierte komplexe Sprachlehre und die Umgangskommunikation das Kommunikationsniveau – etwas weltfremd – entstellen.
Politische Debatten sind ja immer eine gros-se Krise, deswegen ist die Krisenkommunikation hier ein Dauerthema. Während die SVP poltert «Wir sind dagegen!», holen intellektuelle PolitikerInnen erst den Appell an den gesunden Menschenverstand, malen im Anschluss ein paar virtuelle Bilder einer bessern Welt, um dann schüchtern «Ich fände es besser …» entgegenzuhalten. So geht das natürlich nicht.
Schlimmer wird es aber, wenn nach einem Krisen-Dementi die Heerscharen von Journalist-Innen anfangen zu recherchieren und die Gegenbeweise finden und sammeln. In den kurzen Sekunden vor dem Dementi entscheidet sich, ob sie, die Presse, ihr Freund oder Feind wird. Sie haben es in der Hand. Sie führen die Kommunikation – wenn sie sich dessen bewusst sind.
In der Kulturwirtschaft, in der Kunst, ist das Wort Krisenkommunikation nicht vorhanden. Die öffentliche Kulturförderung steht schon lange im Gegenwind und rudert hilflos in der Presse herum. Oftmals hilft nur der oder die nächste machthöhere Beamtete aus der Situation und verteilt Maulkörbe. In Bern sind dabei das Amt für Kultur und die Abteilung Kulturelles die Platzhirsche: Die verantwortlichen LeiterInnen haben sich wohl selber ein Presseverbot gegeben und sind aus der Öffentlichkeit verschwunden – mit dem Vorwand, man hätte Besseres zu tun, oder nichts zu sagen. Unterdessen weiss jeder und jede, dass interne Untersuchungen laufen und diese Abteilungen schwere Krisen durchlaufen. Aber nach aussen haben sie «alles im Griff».
Foto: zVg.
ensuite, April 2012