Von Lukas Vogelsang — In der Dezemberausgabe vom italienischen «Rolling Stones» wurde Silvio Berlusconi zum Rockstar des Jahres gewählt. Der 73-jährige hat vor allem mit seinem Lebensstil überzeugt, wahrscheinlich auch wegen seiner Absicht (die wird hartnäckig seit Jahren aufrecht erhalten), eine eigene Musik-CD mit Liebesliedern herauszugeben. So abwegig ist allerdings der Rockstar-Berlusconi gar nicht, denn er hatte in jungen Jahren auf Kreuzfahrtschiffen als Pianist und Sänger sein Geld für sein Jurastudium verdient. Jetzt ist der millionenschwere Berlusconi endlich zu den coolen Männern aufgestiegen – mit Betonung auf «Mann». Sein Geplänkel mit der Achtzehnjährigen und den vielen weiteren halbnackten und nackten Frauen können wir getrost als pubertierendes Vorspiel eines Minderjährigen in die Vergessenheit verbannen. Zudem ist er ja mehr oder weniger wieder solo – und damit ein wunderbares Fanopfer für alle möglichen Stalker. Nach dem letzten Wurfanschlag (er hat damit sogar G. W. Bush getrumpft, der kriegte nur einen Schuh zugeworfen …), kann er sogar seiner esoterischen Ader freien Lauf lassen: «Liebe siegt immer über Neid und Hass» – so heisst bereits der Titelsong des versprochenen neuen Albums, welches zusammen mit Mike Shiva eingespielt wurde. Berlusconi ist Rockstar mit Lack und Leder, und seine bestellte «Harley» wird demnächst von einer Telenovela–Lady mit weitem Ausschnitt in seinen Palast geliefert.
Natürlich ist der Witz auf der Titelseite vom «Rolling Stones» offensichtlich erkennbar. Ich habe mich allerdings gefragt, ob der Angriffslustige Berlusconi das Magazin nicht gleich verklagen wollte. Wir haben den Vizedirektor vom «Rolling Stone», Fabio De Luca, gefragt (Übersetztung Luca D’Allesandro):
Wie waren die Reaktionen von Seiten der Politiker (Berlusconi-Anhänger und Oppositionspolitiker)?
In Wirklichkeit gab es von Seiten der Politiker keine offizielle Reaktion. Gross hingegen war die Reaktion der politisch positionierten Presse. Die Tageszeitungen, welche am nächsten zum Premierminister stehen (es sind dies Libero und Il Giornale) haben beide, bevor das Dezemberheft überhaupt an den Zeitungsständen erhältlich war, das Cover auf der Titelseite abgedruckt … mit der Ausführung, faktisch, dass das Cover und der Titel «Rockstar dell anno» (Rockstar des Jahres) eine Zelebration der politischen Statur Berlusconi sei, ohne dabei auch nur annähernd die ironische Absicht der ganzen Aktion zu erwähnen. Als Reaktion haben wir auch einen sehr harten Artikel der am meisten links stehenden Tageszeitung «Il Manifesto» einstecken müssen. Diese hat uns «cavalcare ambiguamente il berlusconismo» vorgeworfen (zweideutig den Berlusconismo zu reiten). In den Folgetagen erschien dann das Heft, die Leute konnten es kaufen und lesen, worauf sich die Situation zwangsläufig normalisiert hat.
Welche Reaktionen gab es seitens der Leser-Innen?
Anfänglich waren die Reaktionen sehr extrem. Und – merkwürdigerweise – haben uns Leser, die generisch dem linken politischen Lager zugeordnet werden können, die ironische und groteske Absicht zur Nominierung zum Rockstar des Jahres verdreht. Sie warfen uns «celebrare un personaggio discutibile» vor (eine Person zu zelebrieren, die man in Frage stellen sollte). Jedoch gilt hier zu erwähnen, dass es die meisten Reaktionen vor der eigentlichen Veröffentlichung des Heftes gab, als Folge der beiden Frontaufhänger von «Libero» und »Il Giornale» und den Nachrichten, die davon Kenntnis genommen hatten und die Meldung verbreiteten. Jetzt, gut einen Monat nach der Veröffentlichung der Dezemberausgabe, und nachdem wir haufenweise positives Feedback von Seiten der Leser erhalten haben, auch Feedbacks aus diversen politischen Lagern, ist es möglich, alles unter einer differenzierteren Optik zu sehen.
Hat sich für Sie vom «Rolling Stones» seit der Publikation des Artikels irgendetwas geändert?
Nichts aus praktischer Sicht: Wir fahren mit unserer täglichen Arbeit fort, wie immer. Vielleicht haben wir eine kleine Lektion gelernt, was das Funktionieren der Medien betrifft im Hinblick auf Provokationen und der schieren Unmöglichkeit, hier in Italien transversal zu operieren, wenn Politik dazwischen steht. Das Gefühl bleibt, dass auch die «Sex Pistols» oder «KLF» – würden sie heute neu auf die Welt kommen – in Italien, vom so genannten «teatrino della politica» (Kleintheater der Politik) und der verschiedenen Positionen zerfleischt würden.
Cartoon: www.fauser.ch
ensuite, Januar 2010