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Menschen & Medien: Verwirrte Regenmacher

Von Lukas Vogel­sang — Die Welt wird dig­i­tal – oder auch nicht. Die Medi­enun­ternehmen ver­suchen unen­twegt, den LeserIn­nen das dig­i­tale Zeital­ter schmack­haft zu machen. Jed­er muss ein Smart­phone haben – obwohl kein Men­sch wirk­lich ein Smart­phone brauchen kann. Diese Geräte sind noch in einem Selb­stfind­ung­sprozess, und solange man damit nicht wirk­lich schreiben kann oder immer noch 5 Minuten wartet, bis eine Web­seite auf dem Brief­marken­bild­schirm aufge­baut wird, wirkt jegliche Notwendigkeit­süberzeu­gung wie der Rit­u­al­tanz eines selb­ster­nan­nten Regen­mach­ers auf dem Bun­de­splatz. Auch die iPad-o-mania ist ein­fach lächer­lich: Bildli anschauen ist wohl die meist­genutzte Anwen­dung – also wie früher das klas­sis­che Fotoal­bum. Ein Gäh­nen geht durch die Runde. Damit E‑mails schreiben ist unprak­tisch, weil die Tas­tatur sehr gewöh­nungs­bedürftig ist, die Bild­schirm­tas­tatur schlicht jegliche 10-Fin­ger-Tip­perIn­nen über­fordert – das Zweifin­ger-Tip­pen habe ich schon lange ver­lernt. Vor allem aber das Inter­net­sur­fen ist ein Witz: Fast jede Wer­bung auf den Web­seit­en wird mit Flash-App­lika­tio­nen pub­liziert – und somit nicht sicht­bar auf den pro­moteten Smart­phones und iPads. Aus­gerech­net! Wirtschaftkreise haben den iPad bere­its ver­wor­fen: Zu unpro­duk­tiv. Der iPad ist nur von den Medi­enun­ternehmen heiss um- und bewor­ben, kön­nte er doch ein neues papier­los­es Zeitungs­jahrhun­dert ein­läuten. Ohne Wer­beein­nah­men?

Alle haben iPads. Alle? Ich kenne genau eine Per­son, die mir davon erzählt hat. Von den Konkur­ren­zpro­duk­ten ganz zu schweigen, da kenne ich keine BesitzerIn­nen. Wer kön­nte mir also die Vorzüge zeigen oder mich überzeu­gen? Die Medi­en?

Vor eini­gen Wochen ging die Mel­dung um die Welt, dass für einen Grossteil der Amerikaner­In­nen das Inter­net-Handy das wichtig­ste Gerät für den Zugang zum Inter­net gewor­den ist. Jed­er vierte Smart­phone-Benutzer nutze für Online-Aktiv­itäten das Mobil­gerät. Wers glaubt wird selig: Kaum eine Web­seite ist mobile auf­bere­it­et, und wer schon mal ein Restau­rant ohne Namen «mobile» gesucht hat, der weiss, dass man zu Fuss schneller am Ziel angekom­men ist und bere­its bestellt hat, wenn endlich ein brauch­bares Resul­tat sicht­bar wird. Der Hype um die dig­i­tale Welt ist in der Medi­en­welt unge­brochen. Allerd­ings sind ger­ade viele Jour­nis gar nicht auf der Höhe bezüglich der Tech­nik. So kenne ich viele mein­er Kol­legIn­nen, die beim Wort Smart­phone den «brauch-ich-nicht»-Blick auf­set­zen, und auch keine Ahnung haben, was man damit tun kön­nte – mal abge­se­hen vom Bildli machen und jedem erdenk-lichen Tis­chnach­barn im Restau­rant zeigen, natür­lich nicht ohne aus­führliche Erk­lärung, dass man dafür nur eine App braucht, etc…

Diese Fest­stel­lung, dass die Smart­phones dem PC den Rang ablaufen sollen, beweist ein­drück­lich, was die dig­i­tale Welt nicht ist: Nutzbar und Intel­li­gent. Wir star­ren auf die kleinen Bild­schirme, geben uns wichtig. Was aber sehen denn die vie­len Men­schen in den Brief­marken­bild­schir­men? Wahrschein­lich nicht sehr viel, deswe­gen star­ren auch alle so blöd.

Schlaue PR-Fir­men haben sich dann sog­ar erdreis­tet, das Ende der klas­sis­chen E‑mail herzubeschwören: Sozial­net­zw­erke wie Face­book wür­den diese Funk­tion in Zukun­ft übernehmen. Super. Ger­ade Face­book, welche alle Dat­en abgrasen und als «ihren Besitz» deklar­i­eren, und noch Jahre später wieder aus der Mot­tenkiste holen – ich werde mich hüten, auch nur ein PIP über einen solchen Mail-Dienst zu senden. Lieber lass ich mich von wirk­lichen Cyberkrim­inellen auss­pi­onieren.

Gross­es «Hal­lo» haben dann HP (Hewlett-Packard) Ende August her­vorgerufen, als sie mit­teil­ten, dass sie sich vom Smartphone‑, Tablet‑, und sog­ar PC-Markt ver­ab­schieden wollen. HP ist der welt­grösste Com­put­er­her­steller. Wenn das kein Zeichen ist, dass die dig­i­tale Welt auf ein­er anderen Ebene als der iWelt stat­tfind­et, kann ich nicht helfen. Vielle­icht merken es auch die Medi­enun­ternehmen – noch bevor es eine «Merk-Dir’s»-App gibt.

Car­toon: www​.fauser​.ch
ensuite, Sep­tem­ber 2011

Artikel online veröffentlicht: 14. Februar 2019