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Migrationsdebatte einmal anders

Von Julia Richter — In ihrem Buch «Schlafgänger» zeigt Dorothee Elmiger einen Weg auf, sich jen­seits plaka­tiv­er Argu­mente mit dem The­ma Migra­tion auseinan­derzuset­zen.
Das «Ja» zur Zuwan­derungsini­tia­tive am 9. Feb­ru­ar zeigte erneut, wie eng die Angst vor Frem­den und Frem­dem mit einem Gefühl des schle­ichen­den Wertev­er­lusts gekop­pelt ist. Gren­zen sollen beste­hen und die Zuwan­derung begren­zt bleiben, damit die nationale Iden­tität nicht ver­loren geht.

Dass die öffentliche Diskus­sion über Migra­tions­fra­gen Nährbo­den für Pop­ulis­mus bildet zeigen die Blochers, Mörge­lis und Köp­pels immer wieder aufs Neue. Dass es neben den erhitzten Gemütern, die sich in den Polit­sendun­gen des Schweiz­er Fernse­hens tum­meln, auch eine lit­er­arische Art gibt, mit der Zuwan­derungs­the­matik umzuge­hen, zeigt Dorothee Elmiger mit ihrem neuen Buch.

In «Schlafgänger» befasst sich die 28-jährige Appen­zel­lerin mit der Bedeu­tung von Gren­zen, mit den Möglichkeit­en und Unmöglichkeit­en der Ein­wan­derung und den damit ver­bun­de­nen Ungerechtigkeit­en. Dabei macht sie deut­lich, was son­st häu­fig hin­ter Migra­tionssta­tis­tiken verblasst: dass es sich bei der Masse aus Zuwan­der­ern eigentlich um Men­schen han­delt. Um Indi­viduen, die Cola trinken, Zeitung lesen und sich im Bruchrech­nen üben.

Das Buch ist eine Ansamm­lung von Assozi­a­tio­nen, das die richti­gen Fra­gen stellt, dabei aber weit davon ent­fer­nt ist, Antworten zu liefern. Soll­ten Staat­en das Recht haben, die Zuwan­derung nach eigen­em Gut­dünken zu beschränken? Was bedeutet es, wenn gewalt­sam über den Kör­p­er ein­er Per­son ver­fügt wird, wie es etwa bei ein­er Auss­chaf­fung der Fall ist? Und was tun, wenn Bürg­er darüber sin­nieren, eine Bürg­er­wehr zu grün­den, weil sie sich von Asyl­suchen­den bedro­ht fühlen?

«Schlafgänger» ist kein Roman im eigentlichen Sinne. Vielmehr han­delt es sich um eine Zusam­men­stel­lung frag­men­tarisch­er Dia- und Monologe. Ver­schiedene Per­so­n­en sind an einem unbes­timmten Ort zu ein­er mehr oder min­der munteren Gespräch­srunde ver­sam­melt und lassen dabei ihren Gedanken freien Lauf. Da sind zum Beispiel der Logis­tik­er, der sich im Seefracht-Import pro­fes­sionell mit Gren­zen auseinan­der­set­zt, der Stu­dent aus Glen­dale, der die Gespräch­srunde immer wieder mit Zitat­en aufmis­cht («der Men­sch ist selb­st ein krummes Holz, rief der Stu­dent»), oder die Schrift­stel­lerin, die ganz plöt­zlich von der Wirkungslosigkeit ihres Berufes überzeugt ist.

Wie auch schon bei ihrem Erstlingswerk «Ein­ladung an die Waghal­si­gen» zeigt Elmiger eine grosse Lust am exper­i­mentellen Schreiben – und weiss dabei vir­tu­os mit Sprache umzuge­hen. Den­noch ist «Schlafgänger» nicht ein­fach zugänglich, es gibt wed­er eine Hand­lung noch einen roten Faden. Zudem entste­ht der Ein­druck, dass die Autorin ihren Per­so­n­en die Resul­tate ihrer Recherche willkür­lich zuteilt – Elmiger hat für ihr Buch über Jahre hin­weg Zitate aus Radio, Fernse­hen und Zeitun­gen gesam­melt. So bleiben die Pro­tag­o­nis­ten blass und es spielt eigentlich keine Rolle, welche Per­son was sagt.

Den­noch schafft es Elmiger, eine kon­tro­vers disku­tierte Real­ität kun­stvoll mit facetten­re­ich­er Poe­sie zu verknüpfen. Etwa indem sie ver­schiedene Schlagzeilen und Zitate in die Gespräche ein­flechtet («wenn Asy­lanten sich hier im Quarti­er aufhal­ten, dann könne man bei der Secu­ri­tas anrufen, dann wer­den die abge­holt» oder «African Mir­ror TV is close­ly fol­low­ing up what is going on about this our broth­er who died while wait­ing to be deport­ed»). Mit ihrem Buch leis­tet sie so einen lit­er­arischen Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs, der sich jen­seits der ver­härteten Fron­ten der poli­tis­chen Migra­tions­de­bat­te bewegt.

Dorothee Elmiger: Schlafgänger, Roman. Dumont, Köln 2014. 142 Seit­en

Foto: zVg.
ensuite, Mai 2014

Artikel online veröffentlicht: 9. Mai 2019