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Mit der Fingerspitze gegen die Faust

Von Till Hill­brecht - Ein Übel schafft es, sich der­art fest in eine Gesellschaft einzuhock­en, dass man es kaum mehr weg­bringt. Das Übel set­zt sich an, set­zt zu, sitzt fest und wird, irgend­wann, nor­mal. Ein­mal alltäglich gewor­den, mag die Gesellschaft es nicht mehr wahr haben und lässt das Bekämpfen sein. Und so wird das Übel erst richtig gefährlich: Es ver­schwindet zwar aus den Gedanken, nicht aber aus der Gesellschaft.

Suchen und Find­en. Ich ste­he auf, bedanke mich und gehe zu meinem Fahrrad. Diesem son­ni­gen Herb­stag fehlt nichts, wir haben unser Gespräch kurz­er­hand auf die Ter­rasse des Restau­rants ver­legt, um dem vielle­icht let­zten wirk­lich war­men Nach­mit­tag des Jahres das Som­mergemüt abzuknöpfen und es für einen bevorste­hen­den tris­ten, reg­ner­ischen Novem­bertag zu sparen. Einzig der Grund des Tre­f­fens ist in der Wurzel ein Trüber und nun, nach dem Gespräch, haben sich zumin­d­est in meinem Kopf ein paar dun­kle Wolken bre­it gemacht — Gedanken über unsere Gesellschaft und reich­lich Zweifel an ihr sind die Ursache. Sie haben mir die geheime Adresse nicht ver­rat­en, ich habe auch kein Inter­esse, sie zu erfahren. Aber Stephanie und Yas­min vom Frauen­haus haben mir von den harten Schick­salen jen­er Frauen erzählt, welche die Adresse erfahren dür­fen, um an diesem Ort Zuflucht zu find­en. Bei­de arbeit­en dort — Stephanie Har­tung als Lei­t­erin, Yas­min Nüschel­er-Gutiér­rez als Bera­terin. Und wenn diese zwei Frauen zu meinem Erstaunen mit ein­er gewis­sen — oder pro­fes­sionellen — Leichtigkeit von Gewalt und Bedro­hung erzählen, dann nicht, weil es sie nicht berührt. Son­dern weil es ihr All­t­ag ist, Opfern männlich­er Gewalt zu helfen. Dabei dreht es sich neb­st physis­ch­er oft­mals auch um psy­chis­che Gewalt: Dro­hung, Nöti­gung, Erniedri­gung und vor allem geistige Tor­tur treibt Frauen in einen Teufel­skreis, aus dem der Weg hin­aus, sprich hinein ins Frauen­haus kaum mach­bar scheint: Wenn du gehst, bring ich dich um / wirst du dein Kind nie wieder sehen / mache ich dein Leben zur Hölle / glaub ja nicht, ich werde dich nicht find­en… Stephanie und Yas­min zählen auf. So wagen viele Frauen und Kinder den Schritt ins Frauen­haus gar nicht erst zu unternehmen. Dort ver­sucht das Bera­terin­nen­team die Opfer aus der Gewalt­spi­rale zu ziehen. Die meist trau­rige und schwierige Vorgeschichte macht diese Auf­gabe jedoch zu einem sehr kom­plex­en, sub­tilen Unter­fan­gen, das viel Fin­ger­spitzenge­fühl ver­langt.

Denn viele Frauen ste­hen in ein­er so enor­men Abhängigkeit, dass ein rund ein Drit­tel bald wieder zu ihrem Peiniger zurück­kehrt, bald wieder Leid erfährt und zuweilen auch bald wieder am Frauen­haus anklopft. Trotz­dem — Stephanie sieht ihr Tun nicht als Sisyphosar­beit. Wer den Weg ins Frauen­haus schafft, hat bere­its einen wichti­gen Schritt gemacht.

The­o­rie und Prax­is. Ich sitze an unserem Tisch, nippe an meinem Glas Wass­er. Es ist mir nicht ganz wohl in mein­er Haut. Stephanie und Yas­min erzählen mir ganz offen über ihre Arbeit im Frauen­haus, obwohl sich mit der unbekan­nten Adresse doch eigentlich die schützende Hand der Anonymität über die Insti­tu­tion legt. Ich frage mich, was wohl die Kell­ner­in oder der Mann am Tisch neben mir denken, ich weiss sie hören die Schilderun­gen mit einem Ohr mit. Ob sie wohl auch so wenig über ein Prob­lem wis­sen, von dem mehr Men­schen betrof­fen sind, als die meis­ten denken? Dieser Punkt stellt eine kom­plexe Auf­gabe an die Leitung des Frauen­haus­es: Den müh­seli­gen Gang zwis­chen Geheimhal­tung und Öffentlichkeit­sar­beit zu meis­tern. Die Gesellschaft best­möglich über eine Insti­tu­tion zu informieren, von der nie­mand wis­sen darf, wo sie ist. Den Frauen Angst nehmen, ihnen näher brin­gen, was sie nicht sehen dür­fen. Ent­tabuisieren, Schweigen brechen. Unter­stützen.

Das Frauen­haus Bern ist eine anerkan­nte Opfer­hil­festelle und finanziert sich über Kan­tons­beiträge, Lan­deskirchen, Kost­geldein­nah­men und Spenden. Der Auf­trag der Häuser indes ist mit drei Schüs­sel­be­grif­f­en klar definiert: Schutz, Beratung und Unterkun­ft für Frauen und Kinder, die Opfer häus­lich­er Gewalt wur­den. Diese Auf­gabe begin­nt damit, Hil­fe­suchen­den einen ersten Moment der Sicher­heit und Ruhe zu schenken, dann Grund­lage des Fall­es zu analysieren und schlussendlich mit weit­er­führen­den Fach­stellen zu ver­net­zen: ÄrztIn­nen, Sozialar­bei­t­erIn­nen, Psy­chologIn­nen, Polizei. Das Frauen­haus sieht sich als sta­tionäre Ein­rich­tung für gewalt­be­trof­fene Frauen und Kinder, als Beratungs- nicht aber Ther­a­pi­estelle. Doch so klar dieser Auf­trag auf dem Papi­er ste­ht, so schwierig ist er in der Prax­is umzuset­zen und ihn auch einzuhal­ten. Die prekären Vorgeschicht­en der Betrof­fe­nen loten die Gren­zen des Beratungsauf­trages oft­mals aus. Hinzu kom­men Fak­toren, die ein stan­dar­d­isiertes Abwick­eln der Fälle vorneweg auss­chliessen: Kul­tur- und Sprach­bar­ri­eren, religiöse Hin­ter­gründe, kon­tinuier­liche Gewal­tan­dro­hung, zunehmende Elternge­walt gegenüber jun­gen Frauen. So kann ein Aufen­thalt bis zu sechs Monat­en dauern und endet in einzel­nen Fällen sog­ar mit Namen- und Ortswech­sel. Im Worst Case liegen Perück­en bere­it.

Nicht ger­ade mit Perücke und Schminke, aber mit ein­er hand­voll ander­er Ani­ma­tio­nen ist der einzige Mann im Hause engagiert. Seine Tätigkeit nen­nt sich «Kinderan­i­ma­tor», das junge Klien­tel ken­nt ihn allerd­ings unter dem Namen «Kin­der­mann». Im Gefüge des Frauen­haus­es ist dem Kin­der­mann diejenige Rolle zugeteilt, welche die unterge­bracht­en Kinder vielle­icht nur vom Hören­sagen ken­nen: Die Per­son des Guten Mannes. Diese untern­immt mit den Kids kleine Aus­flüge, geht in den Tier­park oder auf die Schlittschuh­bahn. Es klingt sim­pel, aber die Wichtigkeit dieser Fig­ur ist für ein Kind nicht zu unter­schätzen. Der Kin­der­mann soll ihm den Ein­druck schenken, dass ein Mann auch nett, lieb und ver­trauenswürdig sein kann. Kann.

Die Kun­st des Loslassens. Gegen das Klis­chee, häus­liche Gewalt sei vor­wiegend ein Migran­tinnen­prob­lem, wehrt sich Yas­min vehe­ment. Die betrof­fe­nen Frauen kom­men aus allen Schicht­en, durch­schnit­tlich sind sie 32 Jahre alt. Doch die ver­schiede­nen kul­turellen Fun­da­mente ver­lan­gen auch ein dif­feren­ziertes Umge­hen mit den Frauen und Kindern. Die Bera­terin­nen bewe­gen sich während dem Kon­takt mit Hil­fe­suchen­den auf dem schmalen Grat zwis­chen Ein­füh­lung und Abgren­zung. Yas­min will keine Wand zwis­chen der Frau und ihrer Per­son bilden, im Gegen­teil: Betrof­fen­heit soll entste­hen. Den­noch darf die Option, Abschal­ten zu kön­nen, nicht ver­loren gehen. Man reflek­tiert im Team Erleb­nisse, tauscht aus, was son­st auf­grund der Schweigepflicht nie­mand hören darf. Psy­chohy­giene nen­nen sich diese Mass­nah­men: Die innere Bal­ance find­en, den Kopf frei hal­ten. Abschal­ten. Trotz­dem — die Erleb­nisse begleit­en Yas­min oft­mals über die Schwelle des Frauen­haus­es hin­aus.

Wir wollen auch mal. Der Beginn des Gespräch­es ist kein Ein­fach­er bei so einem ern­sten The­ma. Stephanie hat kurz­er­hand Yas­min mitgenom­men, sie ken­nt den Frauen­hausall­t­ag als Bera­terin aus erster Hand. Reden wir erst über das 25. Jubiläum, denke ich, ein dankbar­er Ein­stieg in ein ern­stes The­ma. Lock­er anfan­gen. Ich halte den far­bigen Fly­er des Geburt­stag-Events im Pro­gr in der Hand. Er zeigt eine junge Frau hin­ter bun­ten Strichen. Sie aber, die Frau, ist schwarz gek­lei­det, ihre Augen ver­steck­en sich hin­ter ein­er dun­klen Son­nen­brille. Die Grafik legt die Karten der Kri­tik­er auf den Tisch: Eine ern­ste Sache will ein fröh­lich­es Fest feiern. Ein Wider­spruch? Eigentlich schon. Eigentlich aber auch über­haupt nicht. Das Frauen­haus, 1980 als Pro­jekt der neuen Frauen­be­we­gung ent­standen, hat Grund genug sich selb­st feiern zu dür­fen: Wer sich ein Viertel­jahrhun­dert gegen Gewalt einge­set­zt hat und dies auch nur aus dem Ver­steck­ten, darf den Schritt in die Öffentlichkeit tun. «Wir wollen ganz ein­fach auch mal feiern», meinen Yas­min und Stephanie. Und das lock­er, ohne Dro­hfin­ger. Es soll kein schw­er­er Anlass wer­den, man will nie­man­den belehren. Die Men­schen sollen die Insti­tu­tion ken­nen­ler­nen, aber auch ein­fach die Freude der Frauen­häus­lerin­nen teilen, es bere­its so lange geschafft zu haben. 25 Jahre Frauen­haus, am 25. Novem­ber 2005 im Pro­gr. Und als ob die Zahlen 2 und 5 nicht schon Mys­teri­um genug wären, ist an diesem Tag gle­ich auch noch der inter­na­tionale Tag der Gewalt gegen Frauen. Ein Zeichen set­zen. Oder feiern, dass man in diesen 25 Jahren schon so manch­es Zeichen geset­zt hat. Nur, dass kaum jemand davon etwas weiss.

Ich mache mich auf zum Gespräch mit Stephanie, wir haben in einem Restau­rant abgemacht. Als Fach­stel­len­lei­t­erin des Frauen­haus­es sieht sie einem grossen Anlass ent­ge­gen. Das Frauen­haus feiert Geburt­stag und ich soll mit ihr darüber sprechen und was schreiben — über diese Ein­rich­tung, aber was genau? Ich weiss nicht recht, recher­chiere ein wenig im Inter­net, aber man find­et kaum was. Habe gar nicht gewusst, dass die eine geheime Adresse haben.

Car­toon: www.fauser.ch
ensuite, Novem­ber 2005

 

Artikel online veröffentlicht: 19. Juli 2017