Von Lukas Vogelsang — zum Film appassionata: Es gibt kaum etwas Faszinierenderes, als einer Vollblutmusikerin oder einem Vollblutmusiker zuzusehen und zuzuhören, wenn sie über ihre Musik, ihr Leben sprechen. Alena Cherny lebt seit 15 Jahren in Wetzikon. Sie ist Pianistin, und dieser Film erklärt, was das heisst. Was das wirklich ist.
Der Dokumentarfilm über Alena Cherny hat eine Rahmengeschichte: Die Pianistin erzählte im November 2009 nach einer Veranstaltung dem Filmer Christian Labhart von ihrer Filmidee. Sie wolle der Musikschule ihres Heimatdorfes in der Ukraine einen neuen Flügel schenken, da habe alles angefangen. Als 6jähriges Wunderkind machte sie in dieser Musikschule ihre ersten Schritte. Sie hatte Leukämie und wollte leben. Und jetzt? Was ist aus dieser Frau geworden? Das Porträt ist zu einem ganz grossen Weltenspiel geworden – aber nicht so, wie wir uns das vorstellen.
Wer sich jetzt eine klassische Musikdokumentation vorstellt, liegt falsch. Auch geht es nicht um Krankheiten, Schicksalsschläge oder Anschuldigungen. Hier geht es um Kommunismus und Sozialismus, Tschernobyl, Hoffnungen, um Leben und Tod und eine Heimat, in die man nicht zurückkehren kann. Es geht um Intensität, Ehrlichkeit, Verzweiflung, Kulturen, Ukraine, eine unverschämte Lebensfreude und –energie, Vergangenheit und Erinnerungen. Eigentlich geht es sehr wenig um die Musik, in der Form von Tönen jedenfalls. Es geht vielmehr darum, wie der Klang in einem Menschen entstehen kann, wie er sich formt, wie er seine Wege sucht und zum Schluss zum Leben erweckt wird. Und das hält dieser Film fest.
«Appassionata» nimmt uns auf eine Reise unserer eigenen Emotionen mit. Der Film geht tief unter die Haut. Es gibt Szenen, da weinen wir als Zuschauer bitterlich – vielleicht weil wir glücklich sind, vielleicht weil wir uns erinnern. Und es gibt Szenen, da können wir uns vor Lachen kaum halten. Wir lernen Menschen kennen, denen wir nie begegnet wären – aber die wir so gerne selber jetzt kennenlernen möchten. Und im gleichen Augenblick graut uns vor dieser Realität. In diesem Film entdecken wir das Leben, während wir durch Tschernobyl-Sperrgebiet fahren.
Christian Labhart ist ein grossartiges Meisterwerk gelungen – in jeder Hinsicht. Drehbuch, Schnitt, Technik, Spannung, Emotionen – alles hält er mit perfekten, unglaublichen Bildern, Erzählungen, Ton und vor allem mit einer fantastisch ehrlichen Alena Cherny fest. Für die Tiefe, für diesen überwältigenden Klang erhalten Christian Labhart und Alena Cherny ganz grossen Applaus.
Foto: zVg.
ensuite, März 2013