Von Dr. Regula Stämpfli — Unsere Essayistin liest ein Buch über deutsche Familiengerichte und erkennt darin einen Ausdruck des codierten Frauenhasses.
Nach der Lektüre von Christina Mundlos’ «Mütter klagen an» war ich völlig fertig mit der Welt. Alle Gleichstellungsfortschritte für Frauen im Familien- und Scheidungsrecht, die die Gigantinnen vor uns über Jahrhunderte erkämpft hatten, sind irgendwie verschwunden. Retro ist Mode – und zwar im übelsten patriarchalen Sinn.
Am Werk sind Kräfte, die eine Kombination von neuen Sprechakttheorien, sozialen Medien, fehlender Urteilskraft und zutiefst misogynen Strukturen entlarven. Christina Mundlos behandelt weder Twitter noch Transaktivismus noch die geplante Selbst-ID in Deutschland: Dennoch ist ihr Buch quasi der Praxisbericht der algorithmisch getriebenen Anti-Frau-Kultur. Die Praxis der Familiengerichte entlarvt den riesigen Graben zwischen herrschenden postfeministischen Mediendiskursen und den erschütternden Frauenrealitäten – übrigens in allen Schichten.
Ein Beispiel: «Familienstartzeitgesetz» heisst das Monstrum und bedeutet eigentlich «Vaterschaftsurlaub». Daraus machte die ARD-Tagesschau, ohne Scherz, einen «exklusiven» Bericht und konstruierte einen Politgolem von «entbindenden» und «gebärenden Personen». Auf Nachfrage, weshalb es keine «Mütter» mehr gebe, antworteten die Journalistinnen, sie wollten keine diskriminierenden Begriffe verwenden.
Wer sich Mutter nennt, ist also eine transphobe TERF. Die neuen «Kindersoldaten» (Kurt Imhof) mit totalitären Ambitionen trieben auch auf ZDF ihr Unwesen. Bei den frauenfeindlichsten Steinzeit-Islamisten, den Taliban, meinte die «Heute»-Redaktion den Einmarsch der Mörder mit folgender Schlagzeile begleiten zu müssen (17. August 2021): «Die IslamistInnen ziehen in immer mehr afghanische Städte ein.» Auch bei der Hamas stehen fiktionale Informationen, die von «Kommandeurinnen und Kommandeuren» erzählen, honestly? In der Hamas?
Dieser Wirklichkeitsverlust ist nicht einfach ein «Gender-Problem», sondern entspringt dem Textbuch totalitärer Systeme nach Hannah Arendt. Sie hält fest, dass Ideologen die Wirklichkeit nicht anders interpretieren wollen, sondern das Ziel sei, die Wirklichkeit so ausser Kraft zu setzen, dass Lügen Normalität werden.
Vor diesem Hintergrund las ich Christina Mundlos’ Buch nochmals – ich hatte es schon einmal für «Die Podcastin» kurz erwähnt. An deutschen Familiengerichten ist die Wirklichkeits- und Wahrheitsverlustmaschine offensichtlich voll am Laufen.
Das Buch «Mütter klagen an. Institutionelle Gewalt gegen Frauen und Kinder im Familiengericht» von Christina Mundlos beschreibt die entsetzliche Realität von Müttern und ihren Kindern, die sich von ihrem gewalttätigen Ehemann, Partner, Freund und Vater trennen wollen. Frauen können sich heutzutage einfacher scheiden lassen als vor Jahrzehnten, doch sie zahlen dabei oft den Preis der Verarmung, der Ausbeutung und oft sogar mit dem Verlust der eigenen Kinder.
Ein Beispiel: Theoretisch ist der Missbrauch an Kindern in Deutschland, der Schweiz und Österreich ein schwerer Straftatbestand. Praktisch ist der Missbrauch von Kindern durch den Vater in der neuen Eherechts- und Scheidungspraxis geschützt. Mundlos bringt dazu zahlreiche Fälle aus der Praxis. Das Kind erzählt der Mama, dass der Papa es «da unten» angefasst habe. Die Mutter wendet sich sofort an das Jugendamt, macht eine Meldung bei der Polizei und zieht aus der gemeinsamen Wohnung aus. Und dann setzt die Täter-Opfer-Umkehr ein. Polizei und Jugendamt verfolgen nicht den Vater und suchen nicht nach Beweisen zu dessen krimineller Vorgeschichte und Neigung, sie suchen nicht nach Bildern auf dem Computer, sondern sie verdächtigen die Mutter der üblen Nachrede. Erinnern Sie sich an den Fall Florian Teichtmeister in Wien? Der beliebte Schauspieler wurde ein Jahr vor Bekanntwerden seines Falls – die Staatsanwaltschaft hatte mehrere Tausend kinderpornografische Bilder auf seinem Computer gefunden – von der Staatsanwaltschaft geprüft: Medienberichten zufolge wusste «tout Wien» davon. Das Burgtheater und die Filmemacherin von «Corsage», die Teichtmeister prominent besetzt hatten, befragten ihren Kollegen Florian, um was es denn da um Himmels willen gehe. Dieser, ganz der geniale Schauspieler, versicherte laut Aussagen von Burgtheater und Filmemacherin glaubhaft, dass es sich um eine ganz gewöhnliche Vendetta seiner ehemaligen Lebenspartnerin handle. Damit war der fürchterliche Verdacht eines fürchterlichen Verbrechens, einer entsetzlichen Neigung, eines zutiefst unmenschlichen Verlangens vom Tisch. Es ist ja so einfach, Frauen Bösartigkeit zu unterstellen.
Die Behörden glauben aus struktureller, medialer und kultureller Misogynie den Frauen kaum. Die Väter, Partner und Freunde, gerade wenn sie Kinderpornografen und Kindervergewaltiger sind und im akademischen Milieu verhaftet, sind extrem clever in ihren Täuschungsstrategien. Missbrauch wird innerfamiliär selten von Jugendämtern oder Polizei bestätigt, da das Kind ja meist «den Vater liebt», als ob dies ein Grund für dessen Unschuld wäre. Kinder lieben ihre Eltern immer: Sie sind seit Geburt auf Gedeih und Verderben auf diese angewiesen.
Die Mutter also, die ihr Kind vor dem Vater, Partner, Freund schützen will, wird plötzlich zur verdächtigen Täterin. Alles, was sie gegen den Partner sagt, wird gegen sie gewendet. Beantragt sie aus Sorge um das Kindeswohl alleiniges Sorgerecht, wird ihr gesagt, dass der Missbrauch nicht eindeutig festgestellt werden konnte. Sie solle doch den Vater nicht durch einen derart gravierenden Vorwurf schädigen. Ist der Zweifel an der Mutter einmal in der Welt, erhält der missbrauchende Vater freien Umgang mit dem Kind: nun auch noch völlig legal und ohne Dabeisein der schützenden Mutter. «Selbst in Fällen, in denen es ärztliche Gutachten oder rechtsmedizinische Untersuchungen gab und Gewalt nachgewiesen wurde, steht der Beschluss eines Gerichts über dem Kindswohl: Weigert sich ein Kind, zum Missbrauchselternteil zu gehen, wird es mit Polizei zu diesem platziert.» «Leider ist sogar bei Polizei, Jugendamt und im Familiengericht der Glaube weit verbreitet, dass Mütter in Trennungsphasen oder Umgangsprozessen regelmässig sexuellen Missbrauch des Kindes erfinden würden – mit dem Ziel, das Gerichtsverfahren für sich zu entscheiden. Dabei belegen Studien, dass die überwiegende Mehrheit aller Anschuldigungen wahr ist.»
Christina Mundlos führt die offiziellen Zahlen auf: 1,3 Prozent von Müttern, die absichtlich falsche Beschuldigungen vor Gericht vorbringen, stehen 88,7 Prozent Mütter gegenüber, die die Wahrheit sagen. «In der medialen Wahrnehmung geht es immer mal wieder um die Frage, ob an sexuellem Missbrauch durch den Vater dieser allein schuld sei. Ob nicht auch die Mutter, die in der Beziehung verblieben ist, eine Mitschuld trägt.» Mundlos erklärt, dass solche theoretischen Debatten kein einziges Kind vor dem pädokriminellen und/oder gewalttätigen Vater schützen, im Gegenteil: dass solche Debatten wiederum die Mütter in den Fokus der Verbrechen gegen Kinder und gegen Frauen stellen. «Bei mir melden sich Mütter mit gewalttätigen Partnern, die Angst davor haben, sich zu trennen, weil sie befürchten, das Kind dann beim Vater allein lassen zu müssen und nicht mehr alles beobachten zu können. Diese Angst ist berechtigt.» Schockierend ist das Ungleichgewicht, wem vor Gericht geglaubt wird: «Den Aussagen von Vätern und ihren Angehörigen wurde in allen 362 Fällen, die in einer Studie untersucht wurden, ohne jegliche Prüfung der Akten geglaubt. Die Angaben der Mütter wurden in 126 Fällen, und damit ebenfalls ausnahmslos, ohne Prüfung als Falschaussagen deklariert. Dies ist ein Skandal, der seinesgleichen sucht. Die Vorannahme, Väter wären nie gewalttätig und Mütter würden immer lügen, führt natürlich dazu, dass nie gewalttätige Väter gefunden werden und keiner Mutter je geglaubt wird.» Ein krasser Fall ist der eines Lehrers, der angab, seine Tochter gebissen zu haben, aber aus rein pädagogischen Gründen, weil er ihr beibringen wollte, wie sich das anfühlt. Das Gericht sah selbst in diesem Fall keinen Anlass, der Mutter die Gewalttätigkeit des Vaters gegen die gemeinsame Tochter abzunehmen. Hier ist der Zusammenhang zwischen populären von Codes getriebenen Vorurteilen gegenüber Frauen und Müttern im Besonderen und der geltenden deutschen Rechtspraxis, die mütterfeindliche Thesen von den Vater-Lobbys eins zu eins in ihren Lehrbüchern integriert hat, erkennbar.
Christina Mundlos’ Buch zeigt die schockierende Wirklichkeit auf, gibt Tipps und beharrt auf juristischen Verbesserungen des geltenden Ehe- und Scheidungsrechtes inklusive natürlich des Kindswohls – im Schlusskapitel ganz konkret und brillant ein umfangreicher Leitfaden. Eine unbedingte Leseempfehlung und ein Aufruf, die schweizerische Gerichtspraxis doch in einem ähnlichen Werk zu untersuchen.
Christina Mundlos. Mütter klagen an. Institutionelle Gewalt gegen Frauen und Kinder im Familiengericht. Mit einem Vorwort von Karoline Herfurth & Sonja Howard. Büchner 2023.