Von Hannes Liechti — In der Serie «Musik für…» wird jeweils eine Persönlichkeit aus dem Berner Kulturleben mit einer ausgewählten Playlist konfrontiert. Diesen Monat trifft es den Berner Stadtpräsidenten Alexander Tschäppät.
Mani Matter
«Dynamit» ab dem Album «Ir Ysebahn» (Zytglogge, 1973)
Das ist natürlich Mani. Solange sein Tod nun bereits zurückliegt, es gibt heute in der deutschsprachigen Schweiz wahrscheinlich kein Kind, welches Mani Matters Lieder nicht kennt. Ich wage zu behaupten, das hat noch kein anderer Schweizer Künstler geschafft. Die Berner Musikszene hätte ohne dieses «Urgestein» nicht jene Bedeutung, die sie heute geniesst. Und wenn man in Paris Stefan Eichers «Hemmige»-Version hört und dazu einige hundert Franzosen mitsingen, ohne den Text zu verstehen, dann ist das schon etwas Besonderes. Darüber hinaus sind seine Lieder inhaltlich nach wie vor höchst aktuell.
Wo liegt die Aktualität in «Dynamit», einem der wenigen Lieder von Mani Matter mit direktem Bern-Bezug? Denken Sie sich im Bezug auf das Bundeshaus jeweils auch «es länge fürs ds spränge es paar Seck Dynamit»?
Ich glaube, es geht heute weniger um Dynamit, als um Worte, die teilweise noch weit grösseren Schaden anrichten können. Ich denke da gerade an den Ton der Debatte um die Ausländerfrage. Minarett- und Ausschaffungsinitiative, um nur zwei Stichworte zu nennen. Der Sprengstoff in solchen Worten ist vermutlich weitaus gefährlicher als jener, der effektiv explodieren kann. Insofern ist «Dynamit» hochaktuell.
Patent Ochsner
«W. Nuss vo Bümpliz» ab dem Album «Stella Nera» (BMG Ariola, 1997)
Dieses Lied ist für mich eine Art Berner Hymne. Alle kennen es, jeder kann mitsingen. Der Text ist mit Bern verbunden und schon das Wortspiel des Titels ist genial. Gerade beim Konzert auf dem Bundesplatz vom letzten Sommer war die «W. Nuss» besonders eindrücklich. Das Berner Symphonieorchester ging dabei fast ein wenig verloren. Und Bümpliz ist, das hat schon Büne Huber erkannt, das In-Quartier der Zukunft, die Lorraine von Morgen. D’ W. Nuss vo Bümpliz, das isch Bärn!
Boys on Pills
«Das isch Bärn» ab dem Album «Supersonisch» (Bazmeg, 2008)
Für den Berner Rapper Baze ist Bern unter anderem eine Mischung aus langweiliger Beamtenstadt und bodenständiger Stammtischkultur. Man versuche, sich weltoffen zu geben, schaffe offene Plätze, die oft leer seien, diagnostiziert er in «Das isch Bärn» weiter.
Bern ist eine der fortschrittlichsten Städte der Schweiz, betrachtet man die Abstimmungsresultate. Hier sind wir also äusserst offen. Das Problem ist, dass der Berner nicht so wirkt. Er ist eher zurückhaltend und streng mit sich selbst. Ich weiss nicht, ob Baze die leeren Plätze wirklich wörtlich versteht. Aber auch hier ist Bern meiner Meinung nach einzigartig, was belebte Plätze und reichhaltige Strassenbeizkultur anbelangt.
Was ist Bern für Sie?
Wenn ich in Paris an einem Sonntagabend das Kultur-Programm betrachte und mit jenem von Bern vergleiche, dann ist es offensichtlich, dass die Stadt Bern für ihre geringe Grösse unglaublich reichhaltig ist. Wir leben in einer äusserst komfortablen kulturellen Situation! Es gibt ja sogar mehrere Kulturmagazine. Das ist für mich Bern. Manchmal bin ich mir aber nicht ganz sicher, ob das Angebot nicht schon fast zu gross ist?
Müslüm
«Erich, warum bisch du nid ehrlich?» ab dem Sampler «Reitschule beatet mehr» (Endorphin Entertainment, 2010)
Reithalle, eine Erfolgsgeschichte! Einer der kulturell wichtigsten und prägendsten Orte der Stadt. Langsam aber sicher könnte Herr Hess den Volkswillen nun akzeptieren. Das Problem von diesem Song liegt für mich darin, dass er sich zu stark auf die Person Erich Hess ausrichtet. Diese Personifizierung von Sachthemen ist eine Tendenz, die vor allem die Medien immer stärker vorantreiben, egal um welche politische Position es gerade geht.
Wie sehen Sie denn das Verhältnis von Musik und Politik?
Dass man mit Musik politisch prägende Botschaften vermitteln kann, glaube ich kaum. Es gibt meiner Meinung nach auch nicht viele Musiker, denen dies tatsächlich gelingt. Wolf Biermann war vielleicht so einer. Die Tatsache, dass es nur sehr wenige politische Texte gibt, zeigt mir, dass die Musik das falsche Instrument dafür ist. Der Text ist ja oft nur schwer verständlich. Ich würde beispielsweise nie einen Wahlkampf mit einem speziell dafür aufgenommenen Song eines Rocksängers bestreiten.
Reverend Beat Man & The Un-Believers
«Come Back Lord» ab dem Album «Get on Your Knees» (Voodoo Rhythm, 2001)
Das ist Reverend Beat Man, der mit seinem Label Voodoo Rhythm sehr stark international ausgerichtet ist. Auch das ist Bern.
Ich muss ehrlich gestehen, ich habe Voodoo Rhythm bis zum SUISA-Konflikt von 2009 nicht wahrgenommen. Es ist auch eine Musiksparte, die mir nicht geläufig ist. Ich glaube, ich darf von mir behaupten, Bern relativ gut zu kennen. Ich bin hier aufgewachsen und habe immer hier gelebt. Plötzlich musste ich aber mit Erstaunen feststellen, dass dieser Reverend Beat Man ein wichtiger Exponent einer, wenngleich auch sehr kleinen Sparte ist. Das zeigt doch einmal mehr, dass wir offenbar doch nicht in so einem kleinen Provinzstädtchen wohnen, wo sich jeder kennt.
Welchen Stellenwert nimmt die Populär- und Alternativkultur in der Stadtbernischen Kulturpolitik ein?
Unsere Budgets sind momentan vor allem von den grossen Häusern geprägt. Hier sind keine weiteren Abstriche mehr möglich. Trotzdem würde ich mir wünschen, in Zukunft vermehrt die freie Kultur unterstützen zu können. Gerade diese Songs zeigen ja, dass hier enorm wichtige und kreative Projekte entstehen. Das wirklich Neue kommt meistens aus der freien Szene, die leider weitgehend ohne Subventionen auskommen muss.
Foto: zVg.
ensuite, Februar 2011