Von Hannes Liechti — In der Serie «Musik für» werden jeweils eine oder mehrere Persönlichkeiten aus dem Berner Kulturleben mit einer ausgewählten Playlist konfrontiert. Diesen Monat trifft es Nina Gutknecht alias Lily Yellow.
Manch einem wird Nina Gutknecht als Sängerin der inzwischen aufgelösten Berner Funk-Band Gundi bekannt sein. Doch damit ist nun Schluss: Inmitten einer globalen Retromanie legt die Bernerin in diesen Tagen mit «Yes I Say No» ein überraschend erfrischendes und zeitgenössisches Debut-Album vor. Vom konformistischen Radio-Hit bis zum experimentellen Elektropop mit World-Music-Anleihen ist alles dabei. In der Playlist wagen wir einen Blick aufs internationale Parkett der Pop-Sternchen.
Adele
«Someone Like You»
ab dem Album «21» (XL, 2011)
Diesen Song habe ich über eine Gesangsschülerin von mir kennen gelernt. Überhaupt kenne ich die aktuellen Hits oft von meinen Schülerinnen, die diese Songs in die Stunde mitbringen. Meistens gefallen sie mir nicht wirklich. Diesmal dachte ich mir aber: Wow, was für ein toller Song! Adele ist eine derjenigen Sängerinnen, die wirklich etwas drauf haben. Ihre Stimme gefällt mir extrem gut…
Adele fährt mit dem Album «21» momentan einen Rekord nach dem anderen ein: das meistverkaufte Album des 21. Jahrhunderts in England, das meist heruntergeladene Album aller Zeiten in Deutschland, usw. Geht es mit den Hörgewohnheiten des Publikums bergauf?
Tatsächlich, das könnte man fast so sagen! Ich möchte mir aber nicht anmassen, zu beurteilen, was gute und was schlechte Musik ist. Musik ist letztlich Geschmackssache und so soll es auch bleiben.
Lana Del Rey
«Video Games»
ab dem Album «Born To Die» (Stranger, 2012)
Das habe ich schon einmal am Radio gehört, wer ist das? Die Trommeln und Geigen erinnern mich ein wenig an Filmmusik.
Das ist gar nicht weit daneben: Bekannt wurde Lana Del Rey durch selber geschnittene Videos, wie jenes zu diesem Song, das innerhalb eines Monats auf You-Tube über eine Million Mal aufgerufen wurde.
Was mir auffällt: Der Song ist extrem gut produziert. Immer wieder tauchen winzige Effekte auf, eine Spur Elektronik ist auch dabei. Es wäre vermutlich fast interessanter zu wissen, wer den Song produziert hat. Obwohl ich ihre Stimme auch spannend finde: Sie klingt ein bisschen «angepisst».
Ihren Plattenvertrag bekam die Amerikanerin bei Universal Deutschland, weil sie sonst niemand haben wollte. Die Nr. 1‑Single «Video Games» hätte gar nie zum Hit werden sollen: Der Song sei für eine Single viel zu depressiv und zu langsam, hiess es.
Umso schöner, dass er dann doch zum Hit wurde! Ich stehe sowieso auf Slow-Beat-Sachen. Aber diese Diskussion hatten wir bei unserem Album natürlich auch: Wie muss der Song gemacht werden, damit er bei den Radiostationen gespielt wird? Das ist schon mühsam; man sollte sich in dieser Hinsicht langsam wieder etwas öffnen können: Es muss nicht alles immer so «Schu-bi-du»-Sommerhit-mässig daherkohmmen.
Hättest du deine beiden Auskopplungen «I’m Sorry» und «Yes I Say No» anders gemacht, wären sie nicht zur Single geworden?
Nicht unbedingt. Bei «Yes I Say No» dachte ich zum Beispiel nicht daran, eine Single zu schreiben. Das kam wie aus einem Guss, und gleichzeitig war irgendwie klar, dass das die Single werden wird. Von diesem Zeitpunkt an haben wir dann schon geschaut, dass wir nicht die abgefahrendsten Sounds und kein abgefreaktes Interlude mit reinbauen.
Lily Allen
«Fuck You»
ab dem Album «It’s Not Me, It’s You» (EMI, 2009)
Ein äusserst cleverer Song! Ein typischer Radio-Hit: Da beginnt man gleich mitzutanzen und mitzusingen. Der Titel ist in der Kombination mit der fröhlichen Melodie ein Widerspruch, der natürlich absolut kalkuliert ist: Man muss ja möglichst negativ auffallen, damit man eine gute Presse kriegt. Im Popbusiness musst du heutzutage fast so denken, sonst gehst du unter. Und zuletzt ist der Song sehr gut und keineswegs billig produziert, die Klangästhetik gefällt mir.
Kann ein Track auch überproduziert sein?
Das kann er, ja. Aber auch hier ist es natürlich wiederum Geschmacksache. Für mich ist die Soundästhetik ausschlaggebend: Werden billige, schon hundert Mal gehörte Sounds verwendet, oder etwas Neues? Letzteres fällt mir etwa bei Lily Allen auf: Es hat hier Elemente dabei, die mich aufhorchen lassen, die neu sind. Überproduziert ist es dann, wenn alles klinisch tot klingt. Die Aufnahme braucht einen gewissen Charme, sie muss leben. Sie darf durchaus eine gewisse Unsauberkeit beinhalten.
One:Shot:Orchestra
«Okaiii»
ab der EP «Okaiii!» (Spoilermusic, 2008)
Jacob Suske, der Bassist von One:Shot:Orchestra und ehemaliges Bandmitglied von Lunik, hat deine neue Platte produziert. Wie hast du die Zusammenarbeit mit ihm erlebt?
Die Arbeit hat immer sehr gut funktioniert. Die Schwierigkeit war, dass Jacob in Berlin lebt und ich in Bern. Es gab einige Sessions, für die er nach Bern gekommen ist oder ich nach Berlin gefahren bin. Das Meiste ging aber per Email und Skype: Nachmittage- bis nächtelang sind wir beide vor dem Computer gesessen – er in Berlin und ich in Bern – und haben uns Skizzen hin und hergeschickt. Das war eine interessante und witzige Erfahrung. Trotz der Distanz ergab sich eine enorm enge Zusammenarbeit und es hat sich gezeigt, dass sich mein Vertrauen in den Geschmack und den Zeitgeist Jacobs gelohnt hat.
Gundi
«Loser»
ab dem Album «Walking On The Line» (Gundi, 2009)
(lacht) Den habe ich schon sehr lange nicht mehr gehört! Darf ich fragen, warum du ausgerechnet dieses Stück ausgewählt hast?
Ich suchte etwas von Gundis letzter CD und habe daraus «Loser» als ausgesprochen funkiges Stück ausgewählt.
Da bin ich jetzt fast ein wenig peinlich berührt: Das war derjenige Song des Albums, den ich nie so ganz mochte. Ich glaube, damit muss man leben wenn man eine CD aufnimmt. Es hat wohl immer ein bis zwei Songs darauf, mit denen man nicht ganz zufrieden ist. Es wäre mein Wunsch, einmal ein Album zu machen, wo ich alle Songs super finde. Vielleicht treffe ich ja mal jemanden, dem das gelungen ist. (lacht)
Dann gibt es also auch auf deinem aktuellen Album solche Songs?
Ich kann hinter allen stehen. Aber es gibt schon solche, die ich lieber habe und solche, die ich weniger gerne mag.
Und welche?
Das sage ich nicht… (lacht)
Zurück zu Gundi: Ihr habt euch im vergangenen Jahr aufgelöst. Vermisst du die Jungs?
Ja, definitiv. Und ich glaube das geht allen so. Wir haben deshalb auch vereinbart, uns weiterhin regelmässig zu treffen. Besonders die Live-Momente haben mit Gundi immer Spass gemacht und bleiben mir in guter Erinnerung.
Wie hast du es mit dem Funk, ist der ganz verloren gegangen?
Das ist ein schwieriges Thema. Ich war jahrelang die Funksängerin: An der Jazzschule hiess es: «Ah, Nina, die Funk-Sängerin!» – Am Anfang war ich damit noch einverstanden, dann begann ich mich aber je länger je mehr zu nerven: Ich bin den Funk-Stempel einfach nicht mehr losgeworden. Jetzt musste ich vielleicht mir und den anderen gegenüber beweisen, dass ich auch noch etwas anderes drauf habe als Funk. Für mich als Sängerin ist die FunkZeit deshalb momentan abgeschlossen. Aber wer weiss, vielleicht kommt sie einmal wieder?
Lily Yellow
«Painting With Colours»
ab dem Album «Yes I Say No» (equipeMusic, 2012)
Ein Song ab deinem Album, der – ganz anders als die beiden Singleauskopplungen – viel exemplarischer für deinen neuen Sound steht: Es geht elektronisch, fast ein wenig experimentell zu und her. In «Painting With Colours» höre ich einen wummernden Dubstep-Bass und eine Sängerin, die auch Björk sein könnte.
Diese elektronische Note der Platte ist natürlich auch Jacob Suske zu verdanken. Er hat darauf seine Handschrift deutlich hinterlassen. Das wollten wir auch: Einen Produzenten, der einen roten Faden schaffen kann, und von dem man klar erkennt, was seine Absichten sind. «Painting With Colours» hatten wir schon fast fertig produziert, als Jacob und ich noch auf die Idee kamen, einen kleinen A Capella-Chor als Intro anzufügen: Das hört sich schon sehr speziell an. Der Song an sich hat eine ganz andere Stimmung. Er ist düster und verzwackter, es gibt Brüche: Der Refrain ist ganz anders als die Strophen. Der Song erzählt keine Geschichte von A bis B, sondern malt verschiedene Stimmungen. Genau so, wie es der Titel sagt: «Painting With Colours». Den Song gibt es aber eigentlich schon seit den Anfängen der Band vor vier Jahren. Damals hat er aber noch ganz anders geklungen.
Foto: zVg.
ensuite, Februar 2012