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“Musik muss ehrlich sein”

Luca D’A­lessan­dro — Inter­view mit Joe Bar­bi­eri: Der neapoli­tanis­che Gitar­rist und Sänger Joe Bar­bi­eri hat mit seinen Rhyth­men und Klän­gen aus Bossa Nova und Tan­go die Aufmerk­samkeit ein­er bre­it­en Hör­erschaft auf sich gezo­gen. Nach seinem 2004 erschiene­nen Début «In Parole Povere» ste­ht er heute mit einem neuen Album da: «Mai­son Mar­avil­ha». Ein sorgfältig arrang­iertes Werk, das Ein­flüsse aus fast allen Bere­ichen der Welt­musik in sich vere­int und zugle­ich den Bezug zum ital­ienis­chen Film der 1950er- und 60er-Jahre schafft. Film­musik­er wie Nino Rota, Arman­do Trova­joli und Ennio Mor­ri­cone haben es Bar­bi­eri ange­tan: «Sie haben mich zu einem far­ben­prächti­gen musikalis­chen Bou­quet ver­führt.»

Elf roman­tis­che, teils schw­er­mütige Lieder, die inhaltlich und sprach­lich von der ausseror­dentlichen Reife des Autors zeu­gen. Unter­stützt wird Bar­bi­eri von nie­mand gerin­gerem als der kuban­is­chen Pri­madon­na Omara Por­tuon­do.

ensuite — kul­tur­magazin sprach mit Joe Bar­bi­eri über Melan­cholie, Ehrlichkeit und der Begeg­nung mit Omara Por­tuon­do, der «Köni­gin der kuban­is­chen Folk­lore», wie er sie liebevoll nen­nt.

ensuite — kul­tur­magazin: Joe, dein neues Album «Mai­son Mar­avil­ha» vere­int in sich die Poe­sie eines franzö­sis­chen Chan­sons und das Lebens­ge­fühl eines war­men Som­mertags in Sal­vador de Bahia. Zumin­d­est ver­mit­telt der Titel diesen Ein­druck.

Joe Bar­bi­eri: Der Titel mag diesen Anschein erweck­en. Der aufmerk­same Hör­er wird aber bald merken, dass «Mai­son Mar­avil­ha» viel mehr zu bieten hat, da es Ein­flüsse aus allen Eck­en der Welt berück­sichtigt. Ger­ade wegen dieser kul­turellen Vielfalt war es mir ein Anliegen, einen zweis­prachi­gen Titel zu wählen.

Das Fun­da­ment von «Mai­son Mar­avil­ha» ist der Bossa Nova.

Das stimmt nur bed­ingt: Tan­go, Fado und Ele­mente aus dem franzö­sis­chen Chan­son sind im Werk gle­icher­massen vorhan­den und ver­lei­hen ihm einen beson­deren Charme. Zusam­menge­hal­ten wird es von der Tra­di­tion, die ich von Kindes­beinen an in mir trage, näm­lich jene der ital­ienis­chen Lie­der­ma­ch­er, den so genan­nten «Can­tau­tori». Als gebür­tiger Ital­iener habe ich dieses Erbe im Blut. Es fällt mir schw­er – und wäre auch falsch – es nicht in meine Arbeit ein­fliessen zu lassen.

Fol­glich hast du nie daran gedacht, der ital­ienis­chen Musik zu entsagen?

Keineswegs. Sämtliche Zutat­en, die ich für die Arbeit brauche, finde ich in meinen musikalis­chen Wurzeln wieder. Die ital­ienis­che Musikkul­tur ist für mich etwas ganz Beson­deres. Sie ist reich­haltig und geht weit über das hin­aus, was gemein­hin bekan­nt ist. Das Glück liegt also nicht zwin­gend in der Ferne.

Die Vielfalt an Stilen, die du ver­trittst, macht es schw­er, dich ein­deutig einzuord­nen. Wo siehst du dich?

Ich denke, der Sam­mel­be­griff «World Music» skizziert meine Arbeit am tre­f­fend­sten, zumal ich mich nicht als Ital­iener, son­dern als Welt­bürg­er sehe. Ich füh­le mich über­all zuhause. Berührungsäng­ste habe ich keine. Jed­er Stil, jedes noch so inter­es­sante Ele­ment inspiri­ert mich zu neuen musikalis­chen Tat­en. Ein­flüsse von aussen sauge ich begierig in mich auf, ich mod­uliere und passe sie meinen Bedürfnis­sen an. Es ist unwesentlich, woher ein bes­timmter Rohstoff kommt, solange er mit meinen Vorstel­lun­gen im Ein­klang ste­ht.

Mit Omara Por­tuon­do im Lied «Male­grìa» hast du für dein Album eine beson­dere Per­le der kuban­is­chen Gesangstra­di­tion gewin­nen kön­nen. Wie hast du die Zusam­me­nar­beit erlebt?

Es war ein unvergesslich­es Erleb­nis. Erst im Nach­hinein habe ich real­isiert, mit wem ich es tat­säch­lich zu tun hat­te. Noch heute kann ich es kaum fassen, ein Duett mit Omara gesun­gen zu haben. Darauf bin ich stolz. Während der Arbeit mit ihr kam ich gar nicht dazu, nervös zu wer­den. Lei­der war die Zeit, die wir gemein­sam ver­brin­gen durften, viel zu kurz.

Du schwärmst von ihr.

Zu Recht. Trotz ihres fort­geschrit­te­nen Alters ist Omara Por­tuon­do eine sehr jugendliche Per­son. Ich bin beein­druckt von ihrer natür­lichen Frische. Sie ist lei­den­schaftlich und hat viel Humor. Während der Auf­nah­men in Barcelona haben wir gescherzt und gelacht, das Ambi­ente war lock­er und sehr angenehm. Am Ende war die Stim­mung so gelöst, dass wir aus ein­er puren Laune her­aus Lieder der ital­ienis­chen Sän­gerin Mina Anna Mazz­i­ni anstimmten. Omara kan­nte die Lieder sehr gut, da Mina zu den weni­gen Musik­erin­nen Ital­iens gehört, die in Kuba einen Namen haben.

Hast du Omara Por­tuon­do bewusst aufge­sucht, oder kam die Zusam­me­nar­beit zufäl­lig zus­tande?

Ich war es, der sie aufge­sucht hat. Für «Male­grìa» kam für mich näm­lich nur Omara in Frage. Der Gedanke hat­te mich irgen­dein­mal gepackt und liess mich nicht mehr los. Ich kenne Omaras Reper­toire sehr gut und weiss um ihre gesan­glichen Qual­itäten.

Was ist Musik für dich: Arbeit oder Kun­st?

Sowohl als auch. Oder anders gesagt: Ich ver­ste­he Musik als ein Handw­erk, das man sorgfältig erler­nen muss.

Du sche­inst einen sach­lichen Bezug zur Musik zu haben.

Ich würde eher sagen: puris­tisch. Auf mein­er ständi­gen Suche nach der Rein­heit lasse ich nie meinen Ursprung aus den Augen und ver­suche jegliche Anspielung an die Kun­st zu ver­mei­den. Wenn Musik etwas mit Kun­st zu tun haben soll, darf sie nicht heuch­lerisch wirken. Sie muss vor allen Din­gen ehrlich sein.

Die Liedti­tel sind meist philosophisch, wenn gar melan­cholisch gefärbt: «Lacrime di Coc­co-drillo» (Krokodil­strä­nen), um ein Beispiel zu nen­nen, ver­mit­telt einen Ein­druck von gross­er Trau­rigkeit.

Auf den ersten Blick mag dies den Anschein haben. Allerd­ings geht es in «Lacrime di Coc­co­drillo» auch um das Glück im Leben; um Hoff­nun­gen und Erwartun­gen, die ein Men­sch an sein Schick­sal stellt. Ich mache ein Beispiel: Wenn eine Beziehung zwis­chen zwei Men­schen in die Brüche geht, ist das für die Betrof­fe­nen in der Regel etwas Tragis­ches. Das gemein­same Leben gibt es nicht mehr. Die einge­spiel­ten Abläufe und Pri­or­itäten haben mit dem neuen All­t­ag plöt­zlich nichts mehr zu tun. Man ste­ht alleine da. Und trotz­dem bietet diese neue Sit­u­a­tion die Chance, wieder zu sich selb­st zu find­en. Aus dieser Warte aus betra­chtet ist «Lacrime di Coc­co­drillo», und im Übri­gen das ganze Album, ein beja­hen­des Werk, das an neue Chan­cen knüpft. Ich baue stark auf Stim­mungs­bildern auf.

Das Stich­wort «Auf­bau» zieht sich wie ein Leit­faden durch dein Album: zum Beispiel in «Muraille de Chine» (Chi­ne­sis­che Mauer), «Castel­lo Di Sab­bia» (Sand­burg) sowie im Titel­lied «Mai­son Mar­avil­ha».

Ich muss zugeben, dass mir dieser Zusam­men­hang bis jet­zt nicht aufge­fall­en ist. Ver­mut­lich habe ich mich bei der Konzep­tion des Albums intu­itiv an den sym­bol­is­chen Charak­ter, der vom eige­nen Zuhause respek­tive von der Heimat aus­ge­ht, leit­en lassen. Das eigene Heim als Ort der Gebor­gen­heit ist wichtig für mich. Zu Hause schöpfe ich Kraft für meine täglichen Aktiv­itäten. Weshalb ich aber aus­gerech­net dieses Leit­mo­tiv aufgenom­men habe, kann ich auf die Schnelle nicht beant­worten. Zugegeben, der Ansatz gefällt mir. Ich werde in den näch­sten Wochen dieser Frage nachge­hen und eine Antwort für mich suchen.

Wo find­est du deine Inspi­ra­tion?

In den ein­fachen Din­gen des Lebens. Allerd­ings bleibt mir im All­t­ag für diese Suche nicht viel Zeit. Musik ist ein Vol­lzeitjob. Ich bin froh, dass mich die Begeis­terung für die Musik bis heute nicht im Stich gelassen hat. Wenn ich mich dann trotz­dem mal auf die Suche nach der Inspi­ra­tion mache, finde ich sie meist in einem guten Film oder in einem span­nen­den Buch. Selb­stver­ständlich tre­ffe ich mich gele­gentlich auch mit Fre­un­den. Ich gehe mit ihnen aus zum Aben­dessen, oder wir tre­f­fen uns auf einen Apéri­tif in ein­er Bar. Eigentlich lebe ich ganz beschei­den; die Verbindung zu meinem Umfeld ist mir wichtig. Denn dieses ist es, das mir die für meine Arbeit notwendi­ge Inspi­ra­tion gibt.

«Mai­son Mar­avil­ha» ist seit Jan­u­ar 2009 auf dem Markt erhältlich. Welche Pro­jek­te ste­hen als näch­ste an?

In Ital­ien sind diverse Konz­erte vorge­se­hen, unter anderem mit Omara Por­tuon­do in Rom. Gle­ichzeit­ig werde ich die Veröf­fentlichung von «Mai­son Mar­avil­ha» vorantreiben. In Japan ste­ht sie bere­its in den näch­sten Wochen bevor. Neben­bei werde ich mit meinem eige­nen Label – Micro­cos­mo Dis­chi – ein paar Neuheit­en von vielver­sprechen­den Musik­ern lancieren: Kan­tan­go, wenn ich mir die Wer­bung erlauben darf, wird ein Hör­genuss. Es han­delt sich dabei um eine ital­ienis­che Gruppe exzel­len­ter Musik­er, die sich, wie der Name sagt, dem Tan­go ver­schrieben haben und das Genre her­vor­ra­gend vertreten.

Du hast soeben deine Tour und die Pub­lika­tion der CD in Japan ange­sprochen. Es ist inter­es­sant festzustellen, dass immer mehr ital­ienis­che Musik­er als erstes aus­ländis­ches Pub­lika­tion­s­land Japan wählen. Der nordi­tal­ienis­che Pianist Cesare Pic­co (siehe Inter­view im ensuite vom Jan­u­ar 2009, Anm. d. Red.) befind­et sich gegen­wär­tig eben­falls in Japan, wo er sein aktuell­stes Werk vorstellt. Warum ger­ade Japan?

Japan ist ein Land, das fremde Ein­flüsse gut absorbieren kann. Die Men­schen dort geben uns west­lichen Musik­ern das Gefühl, willkom­men zu sein. Umso mehr bin ich ges­pan­nt auf deren Reak­tion. Ich stelle mir immer wieder die Frage: Wie wer­den wir Europäer in Japan wahrgenom­men? Was hal­ten Japaner­in­nen und Japan­er von unser­er Musik? Die grund­sät­zliche Offen­heit gegenüber Neuem ist es, die uns Musik­er, ver­mut­lich auch Cesare Pic­co, in dieses Land zieht, denn: Das Inter­esse des Pub­likums ist da. Und für uns Musik­er ist ein neugieriges Pub­likum Gold wert. Kommt dazu, dass Japan weltweit den zweit­en Rang belegt was die Absatz­zahlen auf dem Musik­markt ange­ht, und das trotz der rel­a­tiv kleinen Fläche des Lan­des.
In näch­ster Zeit wirst du also viel herumkom­men. Wann dür­fen wir dich in der Schweiz erwarten?

Konz­erte in der Schweiz sind nach aktuellem Stand der Pla­nung keine vorge­se­hen. Zudem verzögert sich in Deutsch­land, Öster­re­ich und der Schweiz die offizielle Veröf­fentlichung von «Mai­son Mar­avil­ha». Das Album wird ver­mut­lich nicht vor Okto­ber 2009 über den offiziellen Ver­trieb erhältlich sein. Diverse Musikgeschäfte greifen jedoch schon heute auf Direk­tim­porte zurück, weshalb ich davon aus­ge­he, dass bere­its vere­inzelt Leute in der Schweiz mein Album gekauft haben. Das freut mich natür­lich. Übri­gens habe ich Ver­wandte in der Schweiz: Ein Konz­ert wäre die opti­male Gele­gen­heit, sie wieder ein­mal zu sehen.

Kleine Disko­grafie mit feinem Inhalt
Joe Bar­bi­eri ste­ht im Ver­gle­ich zu anderen Musik­ern in Ital­ien an den Anfän­gen sein­er Kar­riere. Trotz­dem kann er bere­its mehrere span­nende Werke zu seinem Reper­toire zählen, es sind dies Kom­po­si­tio­nen mit dem ital­ienis­chen Can­tau­tore Pino Daniele und diverse Zusam­me­nar­beit­en mit den Sän­gerin­nen Gior­gia und Patrizia Laquidara. 2004 erschien Bar­bi­eris erstes Album «In Parole Povere», welch­es in den Vere­inigten Staat­en, Japan, Öster­re­ich, Chi­na, der Schweiz und Deutsch­land bemerkenswerten Absatz find­et. Seit Jan­u­ar 2009 gibt es nun sein zweites Album: «Mai­son Mar­avil­ha» — ein melan­cholis­ches Werk, das Ein­flüsse aus Bossa Nova, Tan­go und Chan­son in sich vere­int.
Joe Bar­bi­eri führt in Neapel ein eigenes Musik-label (Micro­cos­mo Dis­chi), das auf «World Music» spezial­isiert ist. Eines sein­er Aushängeschilder ist das Pro­jekt mit der ital­ienis­chen Tan­gogruppe Kan­tan­go. Darüber hin­aus hat er mit ver­schiede­nen Sternchen der Jazzmusik zusam­mengear­beit­et, unter anderem mit Lura, Richard Gal­liano und Susana Baca.

Info: www.microcosmodischi.com

Foto: zVg.
ensuite, April 2009