Von Lukas Vogelsang - Das Zeitungssterben greift um sich. Wir von der Kulturmedienzunft kennen diesen Zustand schon länger und es erschreckt uns nicht mehr wirklich. Gerade das ensuite — kulturmagazin wurde in einer Zeit auf die Beine gestellt, wo das Sparen bei den Verlagen in die Tat umgesetzt wurde. In den sieben Jahren haben wir fast sieben Nahtoderfahrungen gemacht. Und jetzt ist die sogenannte Krise sogar gut für uns: Die Gesellschaft braucht Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl, das Kulturprogramm, auch die künstlerischen Inputs und der Überlebenswille werden in Krisenzeiten grundsätzlich gestärkt.
Das wird uns auch bewusst, wenn wir in Bern die Schliessung der Zeitung «Bund» mitverfolgen: Der Kulturteil wird als wichtiges Argument hervorgehoben, auch wenn wir durch die Leserstatistiken immer wieder an die 2% Leseranteilmarke erinnert werden. Gerade jetzt scheint es absurd, diese LeserInnen-Gemeinschaften aufzulösen. Doch wenn wir in Zahlen rechnen und nicht in Emotionen, so verstehen wir den Schritt der Verlage. Aber die Kostenbegründung ist nur gültig, wenn wir mit den Konzepten der Vergangenheit denken. Und diese sind zu alt und wir müssen sie überarbeiten.
Heinz Steinert hat im Buch «Kulturindustrie» ein paar schöne Sätze geschrieben: «Wir wissen heute: Es gibt keine Kultur ausserhalb der Kulturindustrie. Aber wir haben auch gelernt, damit reflexiv umzugehen und also jeweils mit zu überlegen, wer uns da was andrehen will – und aus der so informierten Nutzung für eigene Zwecke unser Vergnügen zu ziehen.» Die Betonungen auf «Vergnügen» und «Kulturindustrie» sind ganz wichtig. Ein Kulturveranstalter verkauft heute seine Tickets wie frischen Fisch auf dem Markt. Er will überleben, die Miete und Löhne bezahlen und hat sich sein Geschäft aufgebaut. Die Galerie will Präsenz, um ihre Bilder verkaufen zu können. Der Unterschied zwischen Ware, Kunst- und Kulturprogramm ist sehr klein geworden — die gesellschaftliche Relevanz lässt aus der Ferne grüssen. Das heisst nicht, dass das, was auf der Bühne geboten wird, schlecht wäre, dass Bilder nichts wert sind — oder wie das Café Mokka in Thun bewarb: «Musik ist scheisse!» Doch der Stellenwert von «Kulturellem» ist im Jahr 2009 lange nicht mehr gleich wie vor zwanzig Jahren.
Diffusiert wird die Diskussion, wenn wir die Kulturförderung und Subventionen, die «öffentlichen» Kulturinstitutionen, hinzuziehen. Dabei geht die gesellschaftliche Relevanz schnell in ein groteskes Politikum und damit ins unrealistische Bodenlose über. Wir lassen dieses Thema lieber beiseite.
Die Kulturmedien werden in dieser Event-Verkaufsgeschichte zu verdeckten Promotoren für Fischverkäufer. Die gesamte Kulturindustrie (und diese ist in der Schweiz 17 Milliarden gross) bedient sich der Medien, um den gefangenen Fisch vermarkten zu können. Nach den Wirtschafts- und Lifestyle-JournalistInnen sind die KulturjournalistInnen die «bestgeschmierten» Journalisten der Zunft. Der Schuhverkäufer um die Ecke muss für Promotionsarbeit teures Geld hinlegen. Die Kulturgemeinschaft beharrt auf der vermeintlich «wichtigen» und «erzieherischen» Botschaft und fordert Publizität. Die grossen Medienverlage haben das vor Jahren bereits gewittert und versucht, aus diesem Markt Kapital zu schlagen – vergeblich. Ohne Seele und ohne bewegliches Individualkonzept geht das nicht. Nur die Trend- und Party-Werbemagazine überleben halbwegs diese Illusion, doch darin wird Werbung für den Werbemarkt verkauft. Diese Magazine werden auch nicht für eine Lesergruppe produziert und verschwinden genauso schnell wieder.
Welchen Sinn macht also Kulturjournalismus, wenn man die Promotionsarbeit weglässt? Was können wir überhaupt übermitteln und warum sollten wir es tun?
Sicher ist es erst mal wichtig, dass wir uns vom Objekt Event lösen und uns auf die Ursache konzentrieren. Hintergrundberichte zu einem Event, zu den Umständen, sind sicher viel wesentlicher, als dass diese stattfinden. Das Wegweisen zu einem Ereignis müsste der Werbung überlassen werden und das vielverwendete Argument «Wir haben kein Geld für Werbung» sollte die JournalistInnen nicht interessieren. Der Fischverkäufer auf dem Märit hat vielleicht auch kein Geld für die Werbung, aber er schreit umso lauter: «Hier, frischer Fisch!»
Unsere Funktion muss darin liegen, den Denkapparat der Leserschaft so zu provozieren, damit nicht nur schwarz und weiss, sondern auch grau gesehen wird – im besten Fall sogar Farben. Dabei ist es grundsätzlich egal – das klingt bereits sehr provokativ –, worüber wir schreiben. Wir JournalistInnen können die Kulturereignisse nicht werten. Wir können allerdings beschreiben und ein Ereigniss als Ideenanlass nutzen. Wenn wir als Medienunternehmung überleben wollen, müssen wir somit nur die richtigen sozialen Netzwerke verbinden und ansprechen. Der Rest läuft fast von alleine – sofern wir die gesellschaftlichen und sozialen Entwicklungen mitmachen. Hier sind grosse Medienhäuser oft zu schwer, um sich zu bewegen. Und diese Bewegung ist endlos.
Heinz Steinert schreibt: «Viel an Medien-Konsum dient dem Auffüllen von Einsamkeit, aber viel ist auch gesellige Unternehmung. In jedem Fall verwenden wir das Medien-Ereignis, dem wir uns aussetzen, zu Herstellung von bestimmten Haltungen und Beziehungen, die es anbietet und voraussetzt. Was das ist, wollen wir daher vorweg wissen. Dementsprechend suchen wir aus. Uns bei dieser Auswahl zu helfen, ist die Funktion der auffallenden biographischen Festlegung vieler auf bestimmte Genres von Kultur und im einzelnen die vieler Gespräche über Kultur-Ereignisse. Das ist auch der Job von Kritikern und Werbern, die oft schwer auseinanderzuhalten sind.» Leider ist damit auch der Ursprung der Langeweile im Kulturjournalismus erklärt. Artikel ohne «Seele», ohne Geschichten, ohne Meinungen sind verlorene Liebesmüh. Wir können von der Leserschaft nicht fordern, dass sie sich mit Wissen abfüllen lässt, welches nicht gelebt werden kann. Also zurück zum Unterhaltungsleseprogramm? Also zurück zur Spassgesellschaft, und vergessen wir dieses intellektuelle Kulturgebrabbel?
Was Kulturjournalismus sein kann oder was er heute noch darstellt, müssen wir neu erfinden und erdenken – oder eben weiterdenken. Wir beginnen hier im ensuite mit einer losen Serie. Sie sind eingeladen, die Gedanken weiterzuentwickeln.
Heinz Steinert: Kulturindustrie. Grundbegriffe der Sozialphilosophie und Gesellschaftstheorie. Verlag Westfälisches Dampfboot. Münster, 2008.
Gedanken senden an: info@ensuite.ch
ensuite, April 2009