Von François Lilienfeld — Schon in römischer Zeit war Narbonne, an der Via Domitia gelegen, eine Stadt mit viel Durchgangsverkehr. Heute ist sie Knotenpunkt für Schiene und Straße, mit Abzweigungen nach Perpignan-Barcelona, Carcassonne-Toulouse und Montpellier. Diese Lage brachte und bringt natürlich viele überregionale und internationale Kontakte mit sich, auch was die verschiedenen Kulturen betrifft.
Mit den Mitte Juli stattfindenden Anlässen unter dem Namen «Horizon Méditerranée» wird dieser Tatsache Rechnung getragen. Jedes Jahr prägt ein Thema das Programm, welches im Zusammenhang mit mediterranen Kulturen steht. Heuer war das Sujet besonders brisant… und interessant:
Israel et Palestine – Pour un dialogue interculturel. Der größte Teil der Programme fand im Théâtre Scène nationale statt und war musikalischer Natur. Dazu Ausstellungen, Volkstanzdarbietungen auf der Straße, Filme und ein Vortrag; all dies brachte dem Publikum sowohl den künstlerischen Reichtum wie die Konflikte näher, die diese Region charakterisieren.
Die politische Seite wurde in einem Vortrags-Duo berührt, einem Dialog zwischen einem Palästinenser, Elias Sanbar, und einem Israeli, Gadi Al Gazi. Beide gehören dem gemäßigten, Frieden suchenden Lager an und traten nicht als Gegner, sondern als Freunde auf, die gemeinsam um eine Lösung des Konfliktes ringen. Als Leitmotiv kam dabei bei Beiden die Problematik der israelischen Kolonisierung im besetzten Westjordanland zur Sprache.
Es ist bedauerlich, dass im Vorfeld des Anlasses durch die Association France-Israel in der Presse eine unpassende Polemik veranstaltet wurde. Auch bei der Diskussionsrunde im Anschluss an den Vortrag meldete sich ein Anhänger dieser Organisation mit verwirrten und historisch untragbaren, ja zusammenhangslosen Argumenten zu Wort, welche die konstruktive Atmosphäre der Veranstaltung empfindlich störten.
Im Hof des Erzbischofspalastes und auf verschiedenen Plätzen der Stadt konnte man sich an den Darbietungen des jungen Gesang- und Tanzensembles Al Haneen (= die Nostalgie) erfreuen, die mit viel Talent und Lebensfreude – nicht zu vergessen die farbigen Kostüme – ihren reichen Schatz an Traditionen darbrachten, die sie unter schwierigen Bedingungen weiterpflegen.
Ein ähnliches Ziel verfolgt das Ensemble National de Musiques Arabes de Palestine, das am 12. Juli im Theater auftrat. Sein Leiter, Ramzi Aburedwan, ist äußerst aktiv in der musikalischen Jugendarbeit, sowohl in Cisjordanien wie in den palästinensischen Flüchtligslagern. Das hohe musikalische Niveau des Orchesters und des Chores, sowie die Vielfalt der gespielten Musik, riss die Zuhörer zu wahren Begeisterungsstürmen hin. Anschließend wurde das Publikum zu einem sehr schmackhaften Fastenbrechen unter freiem Himmel eingeladen – es war Ramadan. Für die Muslime unter den Interpreten wurde übrigens eine spezielle Erlaubnis, während der Vorstellung Wasser zu trinken erteilt; sie wären sonst, bei der großen Hitze und dem anstrengenden Programm, wohl zusammengebrochen!
Ebenso erfolgreich war am 11. Juli die israelische Sängerin Noa, die Chansons in diversen Sprachen, darunter natürlich Hebräisch und Arabisch zum Besten gab. Ihre phantastische Stimme, aber auch eindrückliche Bühnenpräsenz und schauspielerisches Talent machen aus ihr eine bedeutende Künstlerin.
Am Abend vorher konnte man einen ruhigeren, aber sehr beeindruckenden Abend mit vertonter Lyrik des bedeutenden palästinensischen Dichters Mahmoud Darwich erleben.
Das Schlusskonzert (am 13. Juli) lag in den Händen des grossartigen katalanischen Musikers Jordi Savall, der zusammen mit Musikern aus Israel und diversen arabischen Ländern ein gemischtes Nahostprogramm unter dem Titel «Dialog der Seelen» interpretierte. Die Sängerin Lubna Salama (Palästina) und der Sänger Lior Elmaleh (Israel) ergriffen durch ihren technisch perfekten und emotional in die Tiefe gehenden Vortrag.
Zu bemerken wäre noch, daß die Stadt Narbonne dem Publikum ein schönes Geschenk macht: Alle Veranstaltungen sind gratis!
Jordi Savall war auch in der Woche darauf (15. — 19. Juli) zu hören, diesmal im Rahmen seines eigenen Festivals, das in der beeindruckenden Abtei Fontfroide, nur einige Kilometer von Narbonne entfernt, seit einigen Jahren regelmäßig stattfindet. Auch hier ist die Programmation ganz auf kulturelle Vielfalt ausgerichtet. Jedes Konzert hatte ein Thema: Granada, Armenien, Erasmus von Rotterdam, J. S. Bach, Krieg und Frieden im Europa der Barockzeit.
Ich hatte Gelegenheit, zwei dieser Konzerte zu hören. Über des Bachprogramm werde ich, im Zusammenhang mit einer Anzahl CDs und DVDs von Jordi Savall, in der Okktober-Ausgabe berichten. Hier sei kurz auf das Konzert «Esprit d’Arménie» eingegangen, das einen reichen Einblick in die vielfältige Tradition dieses Volkes gab. Klagelieder spielen – entsprechend der oft tragischen Geschichte des Landes – eine wichtige Rolle, aber auch patriotische Oden, sowie Liebes- und Hochzeitslieder fehlen nicht. Auch die Volkstanzmusik kam zu ihrem Recht. Wie immer bot Savall Musiker von überragendem Format auf, darunter Aram Movsisyan, der mit seiner weichen und modulationsfähigen Stimme die Stimmungen der Lieder genau wiederzugeben wusste. Im Mittelpunkt stand auch das traditionelle Instrument Armeniens, der Duduk, ein Doppelrohrblatt-Instrument mit sehr sanftem, klagendem Klang, meisterhaft geblasen von Georgi Minasyan und Haig Sarikouyoumdjian.
Dieses Programm ist übrigens auf einer wunderschönen CD erhältlich (Alia Vox AVSA 9892). Im gleichen völkerverbindenden Geist bewegt sich die neueste Produktion von Jordi Savall, «Esprit des Balkans», eine Begegnung mit Künstlern aus diversen Balkanländern, die ihre traditionellen Klänge mitreißend und authentisch weitergeben (AVSA 9898). Im dem Zusammenhang zu erwähnen wären auch die Jerusalem (AVSA 9863 A&B) und Istanbul (AVSA 9870) gewidmeten CDs. Letztere bringt türkische, sephardische und armenische Musik. Jede dieser CDs ist begleitet von einem hochinteressanten, reich bebilderten und mehrsprachigen Buch. Die Produktionen sind musikalisch hochwertig und erfüllen durch ihre Botschaft der Völkerverständigung ein sehr verdankenswertes Anliegen.
Foto: zVg.
ensuite, September 2013