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Narrenpack

Von Camil­la Land­bø - An der Num­mer 30 geht’s auf einem roten Tep­pich die steile Treppe hin­unter. Runter in einen der Alt­stadtkeller an der Kram­gasse. Die Kasse — in einem Winkel des Foy­ers impro­visiert — ist links unten an Treppes Ende vor dem eigentlichen Ein­gang. Let­zte Stufen und drin­nen ist man — im Kleinthe­ater Nar­ren­pack, das dem Wort “klein” alle Ehre macht. Die Bühne liegt gle­ich links und gegenüber ist die Zuschauer­tribüne, die den Rest des Kellers aus­füllt. An der Decke hängt ein Kro­n­leuchter. Sitzt man mal, bleibt man sitzen, denn zu gross ist der Aufwand sich wieder aus ein­er Rei­he, vor­bei an den Leuten und Stühlen, zu wursteln. Hier wäre dann auch der Zeit­punkt für eine kleine Empfehlung: Denken Sie vor der Auf­führung an gewisse Dinge, denn — wie schon gesagt — drin­nen ist drin­nen. Was jedoch nicht heis­sen soll, dass das unan­genehm ist, im Gegen­teil, im Nar­ren­pack taucht man für eine Zeit­lang in eine kleine unter­halt­same Welt ein, wo es keine Rolle mehr spielt, was draussen ist. Die Zuschauer sind sich untere­inan­der nahe und die Schaus­piel­er sind den Zuschauern nahe. Eben: ein Kleinthe­ater — eines mit Charme.

Seit zwanzig Jahren betreibt Piero Bettschen mit einem Ensem­ble das selb­st­tra­gende The­ater. Er schreibt die Stücke, führt Regie und spielt jew­eils auch gle­ich selb­st mit. Es sind Stücke, die stets Ver­hält­nisse aus dem wahren Leben auf­fal­l­end präzise wiedergeben und in viel Ironie eingepackt sind. Die pointiert dargestell­ten Charak­tere und Sit­u­a­tio­nen schaf­fen es leicht, dass jed­er mehr als ein­mal lachen muss. Und als Zuschauer geschiehts einem nicht sel­ten, dass man min­destens jeman­den aus dem Bekan­ntenkreis ken­nt (oder es bet­rifft einen gle­ich selb­st), der an eine dieser charak­ter­lichen Wieder­gaben erin­nert — was nicht immer angenehm ist, aber den­noch amüsant. Es fällt auf, dass der, der die Stücke schreibt, ein sehr guter Beobachter ist.

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So gibt’s zum Beispiel ein Stück, das “Glück­liche Paare” heisst und let­ztes Jahr ein Kassenknüller war. “Wir spiel­ten dieses Stück mit Zusatzvorstel­lun­gen 50 Mal”, sagt der 45-jährige Piero Bettschen. In “Glück­liche Paare” wird die Beziehung eines ungle­ichal­tri­gen Pärchens — ein Jour­nal­ist und eine Sekretärin — auf eine unverblümte Weise auf den Tisch gelegt. Der Zuschauer kommt nicht drum herum Mitleid und Scham für die Haupt­darsteller zu empfind­en. Jedoch sitzt er als Betra­chter in ein­er Posi­tion, wo er sich in erster Lin­ie lustig über das Paar machen kann und darf. Irgen­dein­mal kommt jedoch der Moment, wo ihm das Lachen “leicht” im Hals steck­en bleibt, weil er bemerkt, dass er irgend­wie auch über sich selb­st lacht. Denn gewisse Struk­turen, die in “Glück­liche Paare” aus­ge­bre­it­et wer­den, kom­men in allen Liebes­beziehun­gen vor.

Ist dieser Effekt Absicht? “Für mich ist das The­ater eine Suche. Let­z­tendlich eine Suche nach Wahrheit”, erk­lärt Piero Bettschen, “Ich ver­suche ehrlich­es The­ater zu machen.” Und so führe es halt automa­tisch dazu, dass der Zuschauer sich im Stück wieder­erkenne. “Ja”, irgend­wie sei es schon Absicht. Der Zuschauer solle anders aus dem The­ater raus­ge­hen, als er reingekom­men ist.

“Glück­liche Paare” ist aber nur ein­er von mehreren Kassenknüllern des Nar­ren­packs. Auch “Mond­wärts” und “Schwarz­er Kaf­fee” sorgten für ausverkaufte Vorstel­lun­gen und Zusatzvorstel­lun­gen. “Schwarz­er Kaf­fee” ist ein 12-jähriges Stück, das bald schon 200 Mal aufge­führt wurde. Es geht um ein Betrieb­s­fest — um die Struk­turen untere­inan­der in ein­er Fir­ma. Dabei ist die Kaf­feemas­chine ein zen­traler Begeg­nungspunkt. Wer ken­nt das nicht?

Was ist das Geheim­rezept des nar­ren­päck­ischen Erfolges? So genau könne er das nicht sagen, meint Bettschen. Aber: “Wir gehen keinem Trend nach, es ist etwas Eigenes, was wir machen”. Zudem wür­den sie sich für jedes Stück sehr viel Zeit nehmen, bis jed­er Schaus­piel­er wirk­lich dahin­ter ste­hen könne. Und die The­men? “Die liegen auf der Strasse”, sagt er selb­stver­ständlich, “Das hat mit Aufmerk­sam sein zu tun — mit Schauen und Zuhören”. Auf die Frage, in was sich ein The­ater wie das Nar­ren­pack, von einem Stadtthe­ater unter­schei­det, sagt Bettschen: “Die absolute Frei­heit. Wir kön­nen hier machen, was wir wollen, das ist der Unter­schied.” Und: Er höre von Leuten viel, dass sie sich hier im Nar­ren­pack iden­ti­fizieren kön­nten. Das sei im Stadtthe­ater irgend­wie weniger der Fall. Genau das, fällt ihm jet­zt auch auf, sei eigentlich das Geheim­rezept — dass sich die Leute hier iden­ti­fizieren kön­nen.

Im Novem­ber ist die lange Som­mer­pause zu Ende, das Nar­ren­pack öffnet wieder die Türen. Das Ensem­ble wird ver­grössert und ein neues Stück ist zu erwarten. “Wir machen jedes Jahr ein neues Stück”, so Piero Bettschen, “Was für eines es dieses Jahr sein wird, weiss ich noch nicht”. Das The­ma sei noch offen. Aber: Er ist bere­its auf der Suche.

Nar­ren­pack The­ater Bern
Kram­gasse 30
3011 Bern
www.narrenpack.ch

ensuite, August 2003

Artikel online veröffentlicht: 18. April 2017