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Netzwerken, das

Von Frank E. P. Diev­er­nich — Lexikon der erk­lärungs­bedürfti­gen All­t­agsphänomene 6: Wir kehren heim, zu uns selb­st. Das ist der Aus­blick, den Jere­my Rifkin in seinem neuen Buch «Die empathis­che Zivil­i­sa­tion» (2010) gibt, wenn er davon spricht, dass wir uns unseres sozialen Kerns erin­nern, wir auf der Suche nach dem Anderen sind, es uns zur Gemein­schaft zieht und die jew­eils anderen in einem ökonomis­chen Kon­text nicht mehr nur als Konkur­renten anzuse­hen sind, son­dern als Part­ner, mit denen man etwas erre­ichen, schaf­fen will.

Ein­er der wohl am häu­fig­sten in den let­zten Jahren zitierten Begriffe inner­halb von Unternehmen ist der des Net­zw­erks, der vielle­icht zaghaft darauf ver­weist, was Rifkin als Zukun­fts­bild von Gesellschaft zeich­net. Net­zw­erken, als Verb ver­standen, gilt als ein Erfol­gs­fak­tor, wenn es darum geht, die Voraus­set­zun­gen zu schaf­fen, in Unternehmen Kar­riere zu machen, zumin­d­est aber die Voraus­set­zung zu schaf­fen, dass seine Ideen auf einen poten­ziell frucht­baren Boden fall­en, sollte man in die Ver­legen­heit kom­men oder gebracht wer­den, diese auch umset­zen zu wollen oder zu müssen – dafür braucht man Men­schen, die einen ken­nen und seine Ideen mit­tra­gen. Wenn man Unternehmen noch nie von innen gese­hen hat, dann kön­nte man meinen, dass darin die Brut­stätte ein­er hochmod­er­nen, ver­net­zten Gesellschaft zu find­en sei. Und sollte nicht deut­lich sein, was man in einem Unternehmen an Kom­pe­ten­zen erler­nen kann, so scheint doch zumin­d­est klar, dass man in jedem Fall als Net­zw­erk­spezial­ist das Unternehmen ver­lässt. Die Sprach­spiele sug­gerieren das. Die Real­ität ist hinge­gen eine andere.

Die Wirk­lichkeit, die wir in Unternehmen find­en, ist noch weit von dem ent­fer­nt, was über­all um uns herum an Net­zw­erkver­hal­ten in der Gesellschaft gezeigt wird; so gese­hen hinken – aber wie kön­nte es auch anders sein – die Unternehmen der Gesellschaft mal wieder hin­ter­her. Der Net­zw­erkgedanke wird inner­halb der Unternehmen höch­stens mikropoli­tisch aus­geschmückt, in dem, wie oben beschrieben, es vor allem um die Bil­dung von Koali­tio­nen geht, darum, durch­set­zungs­fähig zu sein oder zu wer­den. Damit befind­et er sich in bester ökonomis­ch­er Tra­di­tion, wenn es darum geht, Inter­essen gegen die von anderen durchzuset­zen, um sich dann Vorteile für weit­eres Agieren zu ver­schaf­fen. So gese­hen ist der Net­zw­erkgedanke in Unternehmen bis­lang vor allem hier­ar­chisch aufge­laden und wird ökonomisch funk­tion­al­is­tisch ver­wen­det.

Was das prak­tis­che und fol­glich tat­säch­liche Han­deln inner­halb von Unternehmen ange­ht, so gibt es fast kein Führungskräfte­sem­i­nar mehr, das nicht auf die Wichtigkeit von Net­zw­erken ver­weist – ein neues Denken soll etabliert wer­den, weil erkan­nt wurde, dass Führungskräfte alleine nicht mehr im Stande sind, Unternehmen zu führen. Es wird gebraucht im Dic­kicht der Kom­mu­nika­tio­nen, Koali­tio­nen, um da irgend­wie durchzukom­men und gehört zu wer­den. Es scheint ein sicheres Zeichen zu sein, dass, je häu­figer von Net­zw­erken und Net­zw­erkkom­pe­tenz gesprochen wird, die Fähigkeit zu Net­zw­erken nicht vorhan­den ist. Fragt man Führungskräfte, wie viel Zeit Ihres Arbeit­spen­sums sie in Net­zw­erkar­beit steck­en, erhält man, wenn über­haupt, mar­ginale Zahlen, wenn man jene Erk­lärungsver­suche abzieht, dass sie doch auch mal mit Führungskräften ander­er Abteilun­gen in die Kan­tine zum Mit­tagessen gehen. Nun gut, das kön­nte ein Anfang sein – mehr aber auch nicht.

Wirk­lich­es Net­zw­erken ist in der Gesellschaft an anderen Stellen zu beobacht­en. Twit­ter, Face­book, Blogs sind die pop­ulären Schlag­wörter, die zeigen, wohin die Gesellschaft sich entwick­elt. Zudem tauchen Begriffe, wie «Schwarmintel­li­genz» sowie «Intel­li­genz der Vie­len» auf, die auf eine beson­dere Organ­i­sa­tions­form des Sozialen ver­weist. Man kön­nte meinen, dass erst­ge­nan­nte Phänomene wie eben Twit­ter und Face­book lediglich in ein­er medi­alen Gesellschaft dazu beitra­gen, den eige­nen Selb­stin­sze­nierungs­gelüsten zu frö­nen, in dem man ohne Hemm­nisse (fast) alles ein­er Netz-Com­mu­ni­ty preis­gibt. Genau da liegt aber der Schlüs­sel für das, was die Wirtschaft rev­o­lu­tion­ieren wird. Das «Preis­geben» ist dabei der entschei­dende Hin­weis, der auch auf die «Intel­li­genz der Vie­len» zutrifft. Es geht darum, (geistiges) Eigen­tum zu ent­gren­zen und anderen zur Ver­fü­gung zu stellen, damit Lösun­gen für eigene, aber eben auch Lösun­gen für die Prob­leme aller gefun­den wer­den. Daran teil­haben kann jed­er, der von sich glaubt, etwas dazu beitra­gen zu kön­nen und – der vor allem Lust dazu hat. Nichts anderes stellt beispiel­sweise das Cyber­space-Pro­jekt Lin­ux dar, wo Tausende Pro­gram­mier­ex­perten ihre Exper­tise zur Ver­fü­gung stellen, um das Pro­gramm (kosten­los weit­er-) zu entwick­eln. Wikipedia erfol­gt nach dem gle­ichen Prinzip. Es geht darum, intrin­sisch motiviert, seine eige­nen Kom­pe­ten­zen zur Ver­fü­gung zu stellen, damit etwas Neues entste­hen kann. Mit dem klas­sis­chen Eigen­tum­srecht kommt man damit nicht mehr weit, ganz im Gegen­teil, es manövri­ert einen in ein­er Net­zw­erkge­sellschaft ins Abseits.

Es ist näm­lich davon auszuge­hen, dass ger­ade bei uns, also in durch­schnit­tlich sehr gut aus­ge­bilde­ten Gesellschaften, die zudem über eine hochen­twick­elte IT-Infra­struk­tur ver­fü­gen, diese «Vie­len» nicht mehr nur auf Neuerfind­un­gen in Form angemelde­ter Patente angewiesen sind, son­dern selb­st­ges­teuert und freige­lassen in den E‑Com­mu­ni­ty-Plat­tfor­men diese Pro­duk­te oder Alter­na­tiv­en zu diesen selb­st pro­duzieren wer­den. Damit über­holen sie jene Unternehmen, die nurmehr als geschlossene Gesellschaft funk­tion­ieren. Wer also auss­chliesslich auf Gewinn und Eigen­tum referiert, ver­säumt, sich seinen Platz im kom­mu­nika­tiv­en Net­zw­erk zu sich­ern. Der entschei­dende Gedanke ist, nicht ganz auf Eigen­tum zu verzicht­en, son­dern dieses kosten­frei und unmit­tel­bar dem Net­zw­erk qua­si als Arbeits­ma­te­r­i­al anzu­bi­eten, damit dieses arbeit­en und (Weiter-)Entwicklungen vorantreiben kann. Net­zw­erk­plätze und Kon­takt wer­den zur zukün­fti­gen Währung ein­er Ökonomie, die ger­ade dabei ist, sich selb­st aufzulösen, wenn sie die alten Unter­schei­dun­gen, zu denen auch Kunde, Liefer­ant, Konkur­rent gehören, weit­er aufrechter­hält, ohne die trans­par­enten Schnittstellen dazwis­chen zu leben.

Wir erleben ger­ade die Umstel­lung von konkreten Werten hin zu poten­ziellen. Net­zw­erke sind nichts anderes als virtuelle, also poten­zielle Geflechte des Sozialen, die eventuell einen Mehrw­ert liefern kön­nen, von denen aber nicht klar ist, ob und wann das der Fall sein wird. Net­zw­erken ist dabei eine Investi­tion in eine Zukun­ft, von der unklar ist, was sie bringt. Erst im konkreten Fall zeigt sich das Net­zw­erk, über welche Verbindun­gen und Kom­pe­ten­zen es ver­fügt – aktiviert und aktu­al­isiert durch eine ganz bes­timmte Frage, die zu einem ganz bes­timmten Zeit­punkt auf­taucht. Dabei ist rel­e­vant, dass nicht Per­so­n­en nurmehr als Funk­tio­nen von Organ­i­sa­tio­nen (z.B. Abteilungsleit­er Mar­ket­ing) auf­tauchen, son­dern darüber hin­aus auf Kom­pe­ten­zen ver­weisen kön­nen, die zum Teil in keinem klas­sis­chen Lebenslauf zu find­en sind.

Derzeit ist zu bemerken, dass Unternehmen noch in ein­er Para­dox­ie gefan­gen sind, da sie auf der einen Seite zum Net­zw­erken auf­fordern, dies aber gle­ichzeit­ig in einem Effizien­zk­li­ma risiko­r­e­ich ist, da nicht klar ist, ob und wann die Investi­tion in ein Net­zw­erk sich ren­tiert. Die Frage der Ren­dite ist aber gegen­wär­tig das zen­trale Erfol­gskri­teri­um, nach dem Han­del in Organ­i­sa­tio­nen bew­ertet wird. Gle­ichzeit­ig wird kein erfol­gre­ich­es ökonomis­ches Agieren mehr ohne Net­zw­erken von­stat­tenge­hen kön­nen, da die hochspezial­isierte Arbeit­steilung dazu geführt hat, dass die (heuti­gen und vor allem zukün­fti­gen) Kom­pe­ten­zen (und deren Kom­bi­na­tio­nen) nicht mehr nur in einem Sys­tem enthal­ten sein kön­nen, son­dern in der gesamten Gesellschaft an unter­schiedlichen Stellen verteilt sind. Genau das führt dazu, dass wir uns aus den Unternehmen und dem Markt auf-machen und endlich in die Gesellschafft treten müssen, um wieder miteinan­der in Kon­takt zu ger­at­en. Wir haben alle so viel zu bieten, dass es sich lohnt, sich endlich auf uns selb­st zu besin­nen. Das Net­zw­erk erin­nert uns daran.

* Bewirtschaftet vom Schw­er­punkt Cor­po­rate &
Busi­ness Devel­op­ment der Bern­er Fach­hochschule.
** Kon­takt: Frank.Dievernich@bfh.ch

Foto: zVg.
ensuite, Mai 2010

Artikel online veröffentlicht: 28. Oktober 2018 – aktualisiert am 19. November 2018