Von Alexandra Portmann — Was passiert, wenn die Gedichte von Raphael Urweider auf die musikalische Experimentierfreude von Astride Schläfli und Anna Trauffer treffen? Am 7., 9. und 10. April 2011 ist die Musik-Theater-Performance «Alle deine Namen» der Bieler Gruppe Collectif Barbare im Keller des Schlachthaustheaters in Bern zu Gast.
Der lyrische Gedichtband «Alle deine Namen» vom Berner Dichter Raphael Urweider ist 2008 erschienen und vereint in drei lyrischen Zyklen die Thematik der Liebe mit der Natur. Das Herzstück bildet der Zyklus «Reigen», in dem die Gedichte alphabethisch nach Frauennamen geordnet sind. Die für sich selbst stehenden Gedichte erlauben dem Leser nicht nur einen intimen Einblick in diverse Beziehungskonstellationen, sondern offenbaren ausserdem die Musikalität von Sprache. Der Dichter experimentiert darin sowohl mit Rhythmus und mit Wortspielen als auch mit den unterschiedlichen Bedeutungsvarianten der Namen. Gerade die Rhythmik der Sprache leitet den Leser durch die verschiedenen Liebesepisoden. Urweider zoomt in seinem Text immer wieder an das Ich heran und erlaubt dem Leser dadurch, den Charakter des Erzählers zu erforschen. Die Verspieltheit von Urweiders Texten fasziniert Astride Schläfli und Anna Trauffer und inspiriert sie für ihre musikalisch-szenische Umsetzung von «Reigen».
Die beiden Performerinnen untersuchen die insgesamt 26 Gedichte und stellen sich die Frage, wer die Frauen sein könnten, die ihrer Namensgebung solche Poesie verdanken. Weil der Autor in seinen Gedichten wenig Aufschluss darüber gibt, wird er von den beiden kurzerhand in die Berge entführt. Er bleibt jedoch in Form von Ton- und Videoaufnahmen in der Inszenierung präsent. Das Collectif Barbare kehrt die Anfangskonstellation von Urweiders lyrischem Gedichtband um. Die abwesenden Frauen im Text sind auf der Bühne anwesend. Mit Musik und Klangexperimenten versuchen sich die Künstlerinnen den lyrischen Texten anzunähern und die Atmosphäre der Liebesepisoden herzustellen. So befinden sich auf der Bühne neben einem Klavier und einem Kontrabass ausserdem eine Glasharfe, eine Melodika, eine Zither und zahlreiche Utensilien zur Erzeugung der komplexen Klangwelt. Die Musik – ein Mix aus klassischen Werken wie Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen, popp-igen Elementen und Eigenkomposition – sind das Kernstück der Inszenierung. Genauso wie die auf der Bühne live hergestellten Klang-experimente, wird auch der Mechanismus der Atmosphärenerzeugung in der Inszenierung offen gelegt. Die Künstlerinnen steuern die Technik, wie zum Beispiel die Beleuchtung aus Nachttischlampen, von der Bühne aus. Urweiders rhythmische Gedichte eignen sich nicht nur für eine musikalische, sondern auch für eine tänzerische Umsetzung, um mit verschiedenen Formen von Bewegungen zu experimentieren.
Die Produktion «Alle deine Namen» ist als Weiterentwicklung der bisherigen Arbeiten der beiden Musikerinnen zu verstehen. So setzt sich die Kontrabassistin Anna Trauffer in verschiedenen Konstellationen, unter anderem im Ensemble für neue Musik Zürich, mit zeitgenössischer Literatur auseinander. Zusammen mit Matthias Weibel entwickelte sie die Musik zum Bühnenabend «Vrenelis Gärtli», der auf Tim Krohns berühmtem Roman «Quatemberkinder» beruht. Auch Astride Schläfli untersuchte in ihren früheren Arbeiten wie «Les rituels barbares» oder «Monte verità» immer wieder die Grenzen von darstellender Kunst und Musik, und experimentierte darin mit Klängen.
«Alle deine Namen» ist eine Schnittstelle zwischen Konzert und Schauspiel, in der alle Elemente der Inszenierung sich zu einer poetischen Traumwelt vereinen und das Publikum in Urweiders Lyrik eintauchen lassen.
Foto: zVg.
ensuite, April 2011