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Obskure Grooves im festen Griff der Samthandschuhe

Von Till Hill­brecht - Wie klin­gen die Strassen Japans? Der Tokiot­er Grossstadt­groove ist weit weg von den typ­isch pen­ta­tonis­chen Skalen der asi­atis­chen Musik. Fern von Shakuhachi-Flöte und leichtem Glock­en­spiel. Er ist nah beim boden­ständi­gen, rohen Hiphop, nahe dem Triphop der anderen Seite der Erde. Näher als eine andere asi­atis­che Stadt. Der Über­vater dieser Musik hat sich nie von der Urban­ität Japans weg bewegt, im Gegen­teil in den Tiefen jen­er Strassen­schlucht­en gewühlt und her­aus­ge­fis­cht, was vor ihm noch nie­mand ans Tages­licht brachte. Der Rest der Welt war damit erst über­fordert und danach gierig nach mehr. Hidea­ki Ishii ging Anfangs der Neun­ziger sein­er Zeit voraus und tut es heute immer noch. Ständig ein Biss­chen.

Der als DJ Krush bekan­nte Hidea­ki Ishii gleit­et an den Reglern sein­er Mix­es von obskur­er Elek­tron­i­ka zu rohem Rap, dann wieder zu Acid-Jazz-Grooves und fun­da­men­talem Dub. Seit über fün­fzehn Jahren (Début: Krush. Nip­pon Colum­bia, 1993) bildet er Klang­land­schaften, die vom fer­nen Osten bis in die brüsken Strassen des amerikanis­chen Raps reichen. Der 47-Jährige ist Meis­ter seines Fachs und über­rascht bis zum heuti­gen Tag immer wieder mit sein­er Musik. Als ein­er der Könige des Sam­plings schafft er es, eine aufge­drehte Lester-Young-Trompete in ein san­ftes Begleitin­stru­ment zu ver­wan­deln, welch­es sich im grossen Krush-Klang­beck­en in den Zus­tand heit­er­er Gelassen­heit spielt. Oder in obskure, ein­genebelte Zwis­chen­welt­musik, die aus düsterem Him­mel in uner­wartete Acid-Jazz-Lock­er­heit aus­bricht. DJ Krush ist ein Turntab­lism-Phänomen, welch­es ver­ste­ht, Musik der klaren Raster von einem Moment zum anderen aus den Angeln zu heben und in verz­er­rte Höhen zu hal­ten. Oder den Zuhör­er in eine verz­er­rte Wahrnehmung zu ver­set­zen?

Hidea­ki Ishi­is Wurzeln liegen im Hiphop der alten Schule, als es noch kein Rap­in­stru­men­tal ohne die typ­is­chen Glöckchen­perkus­sion gab und die Grooves min­i­mal­is­tisch dis­coori­en­tiert zwis­chen Amen-Break und Elek­tro pen­del­ten. Inzwis­chen hat sich Krush weit von seinen DJ-Vor­bildern wie Grand­mas­ter Flash oder DST ent­fer­nt. Seine Tüfte­lar­beit im exper­i­mentellen Sound­lab­o­ra­to­ri­um hat ihn bere­its vor der Jahrtausendwende vom Main­stream bewahrt. Den­noch: Die solide Boden­ständigkeit sein­er Grooves, die ihn vom aus­geufer­ten Triphop unter­schei­den, ist ihm nie abhan­den gekom­men.

Die Über­win­dung der kul­turellen Iso­la­tion in Japan schaffte Krush unter anderem mit sein­er Pio­nier­ar­beit in Sachen Kol­lab­o­ra­tion von DJs mit Live-Musik­ern: Er war in den späten Achtziger­jahren der erste japanis­che DJ, der mit Instru­men­tal­is­ten zusam­me­nar­beit­ete. Gle­ichzeit­ig reichen seine Arme um den gesamten Globus, um Sam­ples für seine Tracks zu find­en. Oder aber sie bleiben in heimatlichen Gefilden und ver­mis­chen tra­di­tionelle japanis­che Shakuhachi-Klänge mit rohen Dub-Basslines, die sich Anfangs der Neun­ziger­jahre auch im Jun­gle und Drum&Bass ein­genis­tet haben. Trotz­dem ist er in seinem kos­mopoli­tis­chen Werk immer der Japan­er geblieben. Neben den hochkaräti­gen Albumgästen sind immer wieder auch japanis­che Musik­er vertreten; auch Rap­per, die – so wie Krush selb­st – kein Wort Englisch sprechen.

Vielle­icht weiss man deswe­gen nicht sehr viel über die Fig­ur Krush. Hidea­ki Ishi­is Gesicht ist oft unter ein­er Kapuze oder Mütze ver­steckt und mit sein­er Per­son hält es sich wie mit sein­er Musik: Zurück­hal­tend düster und unfass­bar, sehr geheimnisvoll und deshalb genau­so inter­es­sant. Die Geschichte passt: Ange­blich soll Krush für die Yakuza gear­beit­et haben, bevor er beschlossen hat, Musik­er zu wer­den. Die Yakuza ist eine jahrhun­dertealte krim­inelle Organ­si­a­tion, die im West­en oft als japanis­che Mafia beze­ich­net wird. Ihre Struk­turen waren lange offen etabliert und die Mit­glied­schaft zwar straf­bar, aber genau­so ehren­voll ange­se­hen.

Als Musik­er hat sich der DJ früh im Aus­land durchge­set­zt. 1994 erschien mit «Strict­ly Turntablized» sein erstes Album ausser­halb Japans. Für diesen Release heuerte Krush bei Mo‘Wax an, einem Label, welch­es sich mit ähn­lich hochgr­a­di­gen Qual­itäts­garantien ausze­ich­nen kann wie etwa das englis­che Pio­nier­la­bel Nin­ja Tune.

Sein Erstling auf Mo‘Wax liess aus­ländis­che Ohren aufhorchen: DJ Shad­ow, sein Pen­dant auf amerikanis­chem Boden, wurde for­t­an zu einem engen Ver­bün­de­ten. Genau­so wie DJ Pre­mier, Guru oder das britis­che Duo Cold­cut – die Grün­der von Nin­ja Tune. Die Türe zum britis­chen Kön­i­gre­ich der elek­tro­n­is­chen Klänge war aufgestossen. Im Eng­land der frühen Neun­ziger lungerten die grossen­n­Pioniere der Dance­floor- und Triphop­musik, von der man als Spitze des Eis­bergs Mas­sive Attack und Por­tishead ken­nt. Hin­ter Nin­ja Tune aber stand eine ganze Arma­da von Soundtüftlern, die wie DJ Krush noch unberührte Fleck­en im Kos­mos der tanzbaren Musik ent­deck­en woll­ten.

Sein fil­igraner Umgang mit dem Plat­ten­spiel­er gab Krush bald den Ruf eines beg­nade­ten Turntab­list, der die Gren­zen des Plat­ten­spiel­ers als Wieder­gabegerät sprengt und es in seinem Fach als Musikin­stru­ment etablierte. Heute ist er ein­er der beg­nadet­sten Remix­er jeglichen Reper­toires und seines gesamten eige­nen Werks: In seinem Remix-Album «Step­ping Stones: The self-remixed best» (2006) hat Krush 28 Tracks sein­er inzwis­chen neun Alben und unzäh­li­gen Sin­gles umfassenden Discografie auseinan­dergeschraubt, deformiert und wieder zum Werk aufer­ste­hen lassen.

Im neuen Jahrtausend driftete das Triphop-Genre weitläu­fig ins laue Lounge-Gefilde ab, das Auf­sprin­gen unzäh­liger DJs auf den Down­beat-Zug bedeutete für viele Labels End­sta­tion Fahrstuhlmusik. Übrig blieben die Inno­va­toren, welche Qual­ität und nicht nur Main­stream­tracks für Ibiza-Son­nen­schein-Barthre­sen-Sand­burg-Com­pi­la­tions liefer­ten. Und für solche Alben ist Krushs Werk im besten Fall zu wenig eingängig. Seine Kon­struk­tio­nen sind kom­plex, trotz der ein­ma­lig min­i­malen Bau­form. Es sind ger­adlin­ige Sam­plestruk­turen, die er bewusst wieder zer­stört und in amor­phes Gefüge wan­delt, ohne dass es aufhört zu klin­gen. Sie sind wie Krush selb­st: Kryp­tis­che Wesen, die so schnell sie gekom­men sind wieder ver­schwinden. In die Strassen­schlucht­en Tokyos. Oder in die Zukun­ft.

Konz­ert von DJ Krush
17. April, Dach­stock, Rei­thalle Bern
Sup­port: tba

Foto: zVg.
ensuite, April 2009

Artikel online veröffentlicht: 9. August 2018