Von Sonja Wenger — Bald 123 Millionen Mal wurde bis heute das Youtube-Video «Paul Potts sings Nessun Dorma» von 2007 angesehen, mit dem der damals 37-Jährige Potts seinen Siegeszug in der Castingshow «Britain’s Got Talent» begonnen hatte. Zugegeben: Von der Autorin der Zeilen gleich dreimal in letzter Zeit, und nicht alleine, um für diesen Text zu recherchieren. Schlicht deshalb, weil es auch nach sieben Jahren die Wucht und das Pathos dieses Moments vermögen, Gänsehaut zu verursachen und Tränen der Rührung in die Augen zu treiben. Schlicht, weil kaum eine Geschichte so faszinierend ist, wie wenn sich im wirklichen Leben ein scheues, etwas hässliches Entlein zu einem gefeierten, fast eleganten Schwan wandelt, und dies einzig dank seines Talents, Durchhaltevermögens und dem unausrottbaren Glauben, zum Singen geboren worden zu sein. In Potts Fall bedeutete dies zudem ein erkleckliches Preisgeld der populären Talentshow und ein Plattenvertrag, der ihn seither reich und berühmt gemacht hat.
So weit die Realität. Dass ein solch modernes Märchen schnell die Aufmerksamkeit von Hollywood weckt liegt beinahe schon auf der Hand. Da braucht es dann nur noch einen Produzenten vom Kaliber eines Harvey Weinstein, der mal so zack, zack ein Drehbuch von Justin Zackham – Autor der Starvehikel «The Big Wedding» und «The Bucket List» – dem «The Devil wears Prada»-Regisseur David Frankel in die Hand drückt, und, haste nicht gesehen, kommt «One Chance – Einmal im Leben» ins Kino. Der Titel, der sich übrigens auf Potts’ erstes Album bezieht, ist allerdings etwas irreführend: Potts stand bereits lange vor «Britain’s Got Talent» häufig auf der Bühne, etwa als Amateursänger in lokalen Operninszenierungen.
Doch die eingebettete Legendenbildung, die inzwischen so schnell einsetzt, dass die Personen des öffentlichen, künstlerischen oder kommerziellen Interesses gleich selbst daran Teil nehmen können und entsprechend unkritisch daher kommt, hat auch ihre guten Seiten: So sieht man im Film den britischen Schauspieler James Corden in der Hauptrolle, hört aber die Originalstimme von Potts. Das weltberühmte Youtube-Video ist dabei allerdings nur das Zückerchen am Ende. Mit dramaturgischen Abstrichen an Potts wahrer Biografie, kreativen Zusammenfassungen und vielen witzigen Wendungen zeigt «One Chance» vor allem, wie Potts Zeit seines Lebens gegen seine Schüchternheit und sein gigantisches Lampenfieber kämpfen musste. Wie er einerseits unter dem kulturellen Unverständnis seines Vaters (herrlich grantig: Colm Meaney) litt, aber auch, wie er von der Liebe seiner Mutter (Julie Walters) und seiner Ehefrau, wunderbar verkörpert von Alexandra Roach, getragen und gefördert wurde.
Herausgekommen ist dabei ein bis in die Nebenrollen äusserst sympathisch besetzter, rührender und ungemein unterhaltsamer Film, halb Drama, halb Komödie und mit viel Musik, der sich hervorragend eignet, die Stimmung zu heben und den eigenen Alltag zu vergessen. Dass dabei oft die tragischen Momente in Potts Leben Anlass zu vielen Lachern gibt, ist dem wunderbar bissigen britischen Humor zu danken, der aus jeder noch so banalen Lebenssituation etwas Surreales zu kitzeln vermag. Wahrhaft in Erinnerung bleiben wird jedoch vor allem eines: Die Geschichte eines offenbar herzensguten Menschen, der, getragen von Familie und Freunden, sich selber treu geblieben ist und seinen Lebenstraum verwirklicht hat. Und das ist eine Geschichte, die man nicht oft genug erzählen kann.
«One Chance – Einmal im Leben», Grossbritannien 2013. Regie: David Frankel. Länge: 103 Minuten.
Foto: zVg.
ensuite, Mai 2014