Von Barbara Roelli — Es sind nicht nur die Gitarrenriffs, die unverkennbaren Stimmen der Stars, und die Show aus Licht und Rauch: Es ist auch das Essen, das den hungrigen Festivalgast befriedigt – oder befriedigen muss. Und wie mit dem Festivalprogramm die unterschiedlichen Musikgeschmäcker ihren Happen abbekommen, so finden sich auf dem Openair-Gelände verschiedenartige Speisen: Handliche Snacks und mehrteilige Menüs. Ob der Körper Salz braucht, oder es ihn mehr nach Zucker gelüstet – finden lässt sich beides, und das nicht zu knapp. Am Openair wird das Konsumieren zelebriert – dazu wird einem die halbe Welt zu Füssen, beziehungsweise vor den Mund gelegt: Mexikanische Fajitas, indische Pakoras, französische Crêpes. Den kulinarischen «Melting Pot» findet man beim Asienstand. Es gibt chinesisch-vietnamesisch gebratene Nudeln mit Poulet, fein geschnittenen Frühlingszwiebeln, Weisskohl und Rüebli; an den Tellerrand kommt ein Klacks Sambal Oelek, ursprünglich aus Indonesien stammend. Amerikanischer Allerweltsfood wie Hot Dog und Burger mit Pommes Frites fehlt auch auf dem Openair-Gelände nicht.
Erstaunlich ist aber, dass die kulinarischen Errungenschaften der Schweiz, mit Vorteil im Winter zu geniessen, gerade bei Temperaturen bis 32 Grad Hochkonjunktur haben. Darauf lässt die lange Menschenschlange schliessen, die sich vor dem Stand mit der Aufschrift «Swiss Food» bildet. Der geschmolzene Raclettekäse, der im Magen eine lange Verdauungsphase durchläuft, scheint genauso beliebt, wie die Butterrösti mit Spiegelei, welches in der Sommersonne genauso glänzt, wie die Glatze des Mannes, der sich daran zu schaffen macht.
Heimelig schweizerisch, aber fernab von der leichten Sommerküche. Die scheint übrigens in der Fressmeile des Festivals gar nicht vertreten. Ein paar Salate sind beim mobilen Migros-Stand zu haben; diese sind jedoch erst zu sehen, wenn man sich kräftig über den Tresen lehnt. Und dort erblickt man dann ein paar scheue Salatblättchen unter Plastikgehäuse – nicht wirklich der Inbegriff von Sommer. Eine Schale Gazpacho – kalte Gemüsesuppe aus Spanien – wäre bei diesen Temperaturen doch genau das Richtige. Oder warum nicht frisches, rohes Gemüse mit diversen Dipsaucen? Ein Buffet mit Antipasti, oder ein Stand mir verschiedensten Panini-Varianten?
«Fett macht fröhlich!», so könnte das Motto der Openair-Fressmeile lauten, denn an geschätzten 80 Prozent der Stände wird kräftig gebraten und frittiert. Doch wer satt ist, hat auch eine gute Basis, um sich etwas eingehender den alkoholischen Getränken zu widmen. Und von diesen fliessen bekanntlich viele die Kehlen hinunter, an so einem Openair Festival.
So lässt sich also für schweres Essen an Openairs doch noch ein Sinn finden. Dazu kommt aber der Umstand, dass dieses schwere Essen auch schwer zu essen ist, einfach so – im Stehen oder Gehen. Es gibt Besucher, die in der grössten Hitze lieber das schattige Esszelt aufsuchen, und sich dort an Holzbank und Tisch dem Schlemmen im Kollektiv hingeben. Aber es gibt auch die Anderen, die sich schnell Kalorien zuführen; zwischen zwei Gigs, zwischen Klostopp und dem nächsten Bier. Während sich die Masse von der einen zur andern Bühne bewegt (eine Art Völkerwanderung), balancieren die schnellen Esser warme bis heisse Speisen durchs Gemenge. Und das in einer beneidenswerten Seelenruhe. Wie etwa das Mädchen mit einem mit Penne Carbonara üppig gefüllten Teller. Hinter ihr stehen Dutzende schwitzender Körper, die zwar friedlich, aber doch bestimmt nach vorne drängen. Vor ihr sind ebenso viele Rücken, die unberechenbar im nächsten Moment still stehen könnten. Und mittendrin in diesem Umzug, steckt also ein Mädchen ihre Pappgabel in die Penne Carbonara, die unter der Gabel wegflutschen. Als sie die Gabel erneut ansetzt, wackelt der Teller bedrohlich. Dann passiert es: Der Umzug der schwitzenden Körper kommt abrupt zum Stehen, und in der flimmernden Hitze des Nachmittags entleert sich ein Teller Penne Carbonara in das sonnengebräunte Dekolleté des Mädchens. Für einmal hat sie die Aufmerksamkeit der Menge auf sich gerichtet: auf den Fettfleck auf ihrer Brust. Und unter hämischem Grinsen, und Zum-Glück-ist-mir-das-nicht-passiert-wie-peinlich-Blicken, rubbelt sie sich die Käsefäden vom hellen Shirt.
So bieten Openair-Festivals also diverse Nebenschauplätze, die sich wunderbar zwischen den Gigs entdecken lassen: Diese Schauplätze sind überall dort, wo Hunger und Lust gestillt werden. Dort finden sie statt – die kleinen Shows der Essenden.
Foto: Barbara Roelli
ensuite, August 2010