Von Sandro Wiedmer — Schon mit der Formation OM hat Fredy Studer die Musikgeschichte der Schweiz fortgeschrieben, nicht minder innovativ und prominent tut er das gleiche mit dem Trio Koch Schütz Studer, ganz zu schweigen von den unzähligen anderen Aktivitäten des umtriebigen Luzerners. Nun hat er mit dem neuen Projekt Phall Fatale ein weiteres Pferd im Stall.
Hat Ornette Coleman einst mit der Gründung seiner Prime Time Band die Jazz-welt revolutioniert, indem er Schlagzeug, Bass und Gitarre doppelt besetzte, den Boden für sein Saxophon und die Geige zu schaffen, kehrt Fredy Studer nun sozusagen das Konzept auf den Kopf, indem er als Schlagzeuger zwei Kontrabässe und zwei Frauenstimmen befeuert. Bei der Gründung 2008 konnte zunächst einmal von einer Versuchsanordnung gesprochen werden, inzwischen ist das Projekt zu einer Band zusammengewachsen, wie sich auf dem Ende Oktober erschienenen Album-Erstling «Charcoal from Fire» nachhören lässt, welches das Label Kuenschtli als Doppel-Vinyl und CD herausgebracht hat. Produziert hat das Werk niemand geringerer als Roli Mosimann (Swans, Young Gods, Wiseblood etc.), aufgenommen wurde in Polen.
Es versteht sich wohl von selbst, dass auch die Besetzung nicht anders als hochkarätig genannt werden kann: Die Frauenstimmen kommen von Joy Frempong und Joana Aderi, welche beide auch Electronics in den Mix bringen, die Kontrabässe werden von John Edwards und Daniel Sailer bearbeitet, welcher zudem mit einer Reihe von Effekten und ebenfalls mit elektronischem Gerät arbeitet. – Ihre Ausbildung zur Jazz-Sängerin habe ihr zu mehr stimmlicher Flexibilität verholfen, meint Joy Frempong, diese zur Interpretation von Jazz-Standards einzusetzen hat sie jedoch bisher nicht gereizt. Vielmehr experimentiert sie mit der Erweiterung ihrer Ausdruckspalette mittels Sampling und anderen elektronischen Mitteln, was sie anfänglich mit der Formation Lauschangriff aus Zürich unternommen hat, in ihrem Solo-Projekt Oy, mit dem Duo Stade aus Lausanne, seit einiger Zeit nun auch mit den Bernern Filewile. – Zwischen Norwegen und der Schweiz pendelt die in Schaffhausen aufgewachsene Joana Aderi, welche neben ihren Aktivitäten als Stimm-Akrobatin, unter anderen mit ihrem Solo-Act Eiko, auch praktizierende Free Climberin ist. Am Festival «Stimmen» in Lörrach vor zwei Jahren war sie zusammen mit dem korsischen Vokal-Ensemble A Filetta beteiligt an einem multimedialen Projekt mit Texten von Fernando Pessoa. – Der britische Kontrabassist John Edwards gehört sicher zu den prominentesten Exponenten der (Free) Jazz- und Avant Garde-Szenen. Teil von Kevin Martins legendärer neunköpfigen Formation God, der B‑Shops for the Poor, später Remote Viewers, ist er mit seinem Instrument ebenso solo wie als gefragter Session-Musiker unterwegs. – Der Churer Daniel Sailer schliesslich, der es mit Vorliebe laut und heftig mag, ist mit Krakatau, Plutoniumtransport und dem Duo Frachter unterwegs, vor kurzem ist er auch zum Duo Cortex von Alex Buess und Daniel Buess gestossen.
Was die fünf auf die Bühne bringen wird in der Schublade «Rock» abgelegt, ist aber der Song-Form etwa zu gleichen Teilen verpflichtet wie der Improvisation. Das kann gehörig grooven, wobei der Sprechgesang der Frauen schon fast als Rap daherkommt, oft lässt auch die «Hardcore Chambermusic» von Koch Schütz Studer grüssen. In ruhigeren Momenten können aber auch stimmungsvolle, flächige Ambient-Passagen entstehen, die Geschichten erzählen. Neben vorwiegend eigenem Material gehören zum Repertoire auch eigenwillige Interpretationen von Bob Dylans «Desolation Row» und «Four Women» von Nina Simone. Wohl ist es eine Freude, dieses vielseitige, schillernde Album anzuhören, zu überwältigen, zu begeistern vermögen die fünf jedoch vor allem live auf der Bühne.
Foto: zVg.
ensuite, November 2011