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Philippe Cornu

Von Hannes Liechti — In der Serie «Musik für …» wird jew­eils eine Per­sön­lichkeit aus dem Bern­er Kul­turleben mit ein­er aus­gewählten Playlist kon­fron­tiert. Diesen Monat trifft es den Ver­anstal­ter des Gurten­fes­ti­vals, Philippe Cor­nu.

Zum Zeit­punkt des Inter­views war das Team um Philippe Cor­nu ger­ade dabei, den Über­gang vom diesjähri­gen Sam­stag-Head­lin­er Jamiro­quai auf die aus­tralis­che Drum’n’Bass-Band Pen­du­lum zu pla­nen. Ger­ade let­ztere seien typ­isch für eine Entwick­lung der let­zten Jahre: «Immer mehr Bands set­zen auf LED-Walls, son­st spezielles Licht oder aus­ge­fal­l­ene Visu­als», erzählt Cor­nu. Und das ist bei weit­em nicht das einzige Prob­lem, das die Organ­i­sa­tion eines solchen Grossan­lass­es mit sich bringt.

Ralph McTell
«Streets of Lon­don» ab dem Album «Streets…» (Warn­er Bros., 1975)

Diesen Song habe ich Mitte der 70er-Jahre zusam­men mit meinem Jugend­fre­und immer wieder ange­hört. Und dann, als wir 1991 den Gurten über­nah­men, bucht­en wir in Anlehnung an die früheren Folk­fes­ti­vals Dono­van und Ralph McTell. Man kann sagen, dass mich «Streets of Lon­don» sei­ther durchs Leben begleit­et hat.

Du hast es ange­sprochen, in seinen Anfän­gen war das Gurten­fes­ti­val ein Folk­fes­ti­val. Was ist von diesem Pio­niergeist heute übrigge­blieben?

Zwis­chen 2011 und den ersten Folk­fes­ti­vals liegen natür­lich Wel­ten. Damals war die dahin­ter ste­hende Ide­olo­gie und über­haupt die Art, wie das Fes­ti­val aufge­baut wurde, anders. Heute haben sich auch die Ansprüche der Jugend geän­dert. Mir scheint, dass sie poli­tisch viel weniger engagiert ist. Wir selb­st bewe­gen uns auf ein­er Grat­wan­derung zwis­chen Inhalt – wir ver­suchen, Musik zu brin­gen, die ansprechen und berühren soll – und Trend: Das Gurten­fes­ti­val ist eine kom­merzielle Ver­anstal­tung mit Spon­sor­ing etc. gewor­den, ohne welch­es alles gar nicht mehr so umset­zbar wäre. Was geblieben ist: Das Herzblut für die Musik!

Ska‑P
«Wel­come To Hell» ab dem Album «¡¡Que cor­ra la voz!!» (RCA, 2002)

Mein ältester Sohn arbeit­ete im Chop Records und brachte eine CD nach Hause, und sagte: «Das muesch mau lose Vät­tu, das isch huere geil!» Ich hat­te keine Ahnung, was es ist. Wir bucht­en Ska‑P dann auf der Zelt­bühne, und es ging ab wie eine Rakete. Kaum waren sie wieder weg, schrieben sie uns und sagten, dass sie im näch­sten Jahr wieder kom­men wollen.

2001, 2002, 2004 und 2009. Zählt man das Konz­ert von «The Locos», der Band des Show­mas­ters Pipi, auch dazu, ausser­dem 2007. Wie oft wird Ska‑P noch auf dem Gurten-Pro­gramm ste­hen?

Nun, der Peak ist erre­icht. Die waren jet­zt so oft da oben, und wir waren der­massen beken­nende Ska-P-Fans, und sie sind so oft gewün­scht wor­den, dass es Zeit für Neues ist. Aber, wenn sie wieder ein­mal ein Pro­jekt haben, in dem sie sich musikalisch weit­er­en­twick­eln, warum nicht?

Die Ärzte
«Anders als beim let­zten Mal»
ab dem Album «Geräusch»
(Hot Action Records / Uni­ver­sal, 2003)

Auch die Ärzte kön­nen es offen­bar nicht lassen und kom­men immer wieder ein weit­eres Mal. Eine Zeit lang war fast jedes Jahr min­destens ein Arzt auf dem Bern­er Haus­berg anzutr­e­f­fen.

Wenn ich ganz ehrlich bin, hat­te ich oft nicht den Mut zu sagen, dieses Jahr vielle­icht nicht. Die Ärzte haben uns immer wieder ange­fragt. Let­ztes Jahr mussten wir Bela B. sagen, «wir kön­nen nicht noch ein­mal, wir müssen jet­zt eine Pause machen.» Und das ist hart. Es gibt genü­gend Bands, die wir nicht kriegen, weil ein Fes­ti­val in Por­tu­gal 100’000.- Euro mehr bezahlt. Umso schwieriger ist es, ein­er Band wie den Ärzten abzusagen. Auch die Fan­tastis­chen Vier, Die Toten Hosen oder Skunk Anan­sie sind solch beken­nende Gurten-Fans. Das kann schon auch zum Prob­lem wer­den. Ein Luxu­s­prob­lem allerd­ings.

The Prodi­gy
«Firestarter» ab dem Album «The Fat of the Land» (XL Record­ings, 1997)

Prodi­gy spiel­ten vor sechs Jahren auf dem Gurten. Der eine hat­te bei einem Trep­pen­sturz zwei Tage vor dem Konz­ert das Schlüs­sel­bein gebrochen und der andere klagte über ein kaputtes Knie. Bei­de lit­ten enorme Schmerzen und entsch­ieden sich den­noch, das Konz­ert nicht abzubrechen. Das war für mich wahrer Rock’n’Roll, obwohl sie stilis­tisch ja anders einzuord­nen wären.

Zusam­men mit Chem­i­cal Broth­ers gaben Prodi­gy 2005 den Startschuss zu ein­er neuen Aus­rich­tung des Gurten­fes­ti­vals auf Head­lin­er aus der Elec­tro-Szene. Ein ander­er Schw­er­punkt des Fes­ti­vals ist Indie­rock. Sind für das Über­leben in der heuti­gen Fes­ti­val­land­schaft solche Schw­er­punk­te nötig?

Wir ver­suchen stärk­er als früher, dem Gurten ein Gesicht zu geben. Früher hiess es, der Gurten sei so etwas wie ein Gemis­cht­waren­laden, bei dem alles zu haben ist. Dieser Gemis­cht­waren­laden wäre mir eigentlich nach wie vor am Lieb­sten. Doch bei bei­den Vari­anten heisst es vor allem die Bal­ance zu find­en, zwis­chen Acts, die das Pub­likum auf den Gurten lock­en, und ein­er inter­es­san­ten Mis­chung. Zugle­ich sollte der Gurten sein Pro­fil nicht ver­lieren.

Oasis
«Won­der­wall» ab dem Album
«(What’s The Sto­ry) Morn­ing Glo­ry»
(Hel­ter Skel­ter / Sony Music, 1995)

Oasis haben mich gelehrt, sich nie darauf zu ver­lassen, was über eine Band geschrieben wird. Bei ihrem ersten Konz­ert im Jahr 2002 waren wir sehr nervös und bemüht darum, dass nichts passiert, was die Band verärg­ern kön­nte. Nach dem Gig wollte ich ihnen danken und fra­gen, ob sie noch Wün­sche hät­ten. Dann kam doch tat­säch­lich Liam Gal­lagher auf mich zu und bedank­te sich bei mir für das gute Essen. Ich sagte zu ihm, rein imagemäs­sig müsste er eigentlich etwas wie «Fuck, it was great!» sagen und mir dazu auf die Schuhe spuck­en. Daraufhin erwiderte er: «Image! Don’t believe every­thing that they write».

Muse
«Bliss» ab dem Album «Ori­gin of Sym­me­try»
(Mush­room Records, 2001)

Wir haben den Anspruch, auf dem Gurten vier Tage lang auf allen Büh­nen ein inter­es­santes Pro­gramm zu bieten. Bands wie Muse, die alleine ein Sta­dion füllen, sind dadurch für uns schlicht nicht finanzier­bar. Wir wollen tagsüber keine «Füller­bands» und am Abend einen über­grossen Head­lin­er. Matthew Bel­lamy & Co. müssten die Ansprüche senken und auch wieder ein­mal eine reg­uläre Fes­ti­val­tour mit tief­er­en Gagen pla­nen. Grund­sät­zlich ist Muse aber ein­er mein­er ganz grossen Wun­schacts: Ich finde, dass musikalisch nichts bess­er auf den Gurten passt, als Muse. Aber wie gesagt, das wird schwierig.

Gibt es weit­ere per­sön­liche Wun­schbands für das Gurten­fes­ti­val?

Sehr gerne würde ich zum Beispiel Radio­head oder Cold­play buchen. Und nach wie vor, wenn es nicht so wahnsin­nig kom­pliziert und aufwändig wäre, Prince; am Lieb­sten als dreistündi­ge Jam­ses­sion.

28. Gurten­fes­ti­val
14. bis 17. Juli 2011, auf dem Bern­er Haus­berg
Wabern bei Bern

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2011

Artikel online veröffentlicht: 28. Januar 2019