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Philosophie für alle

Von Thomas Kohler — Junge Philosophin­nen und Philosophen machen sich daran, die für nor­male Men­schen oft­mals kaum ver­ständlichen Posi­tio­nen der akademis­chen Philoso­phie in eine klare Sprache zu über­set­zen. Auf der Home­page ihres Vere­ins «Philosophie.ch» bieten sie allen an Philoso­phie inter­essierten Laien dadurch die Möglichkeit, aktuelle philosophis­che Debat­ten mitzu­ver­fol­gen.

Betreut wird die Inter­net-Site von Anja Leser (26) und Philipp Blum (37). Die Philoso­phie-Profis (bei­de mit abgeschlossen­em Studi­um) agieren auch als Präsi­dentin und Vize-Präsi­dent des seit Juli 2008 beste­hen­den Vere­ins. «<Philosophie.ch> möchte die Philoso­phie einem bre­it­eren Pub­likum zugänglich machen», sagt Anja Leser. «Ein weit­eres Ziel sind Ser­viceleis­tun­gen für Wis­senschafter der Philoso­phie. Dazu gehört namentlich ein Even­tkalen­der, der alle philosophis­chen Insti­tute der Schweiz verknüpft. Jed­er Event, der über ein Insti­tut oder die philosophis­che Gesellschaft der Schweiz stat­tfind­et, ist bei uns einge­tra­gen. Pro Monat sind das etwa 30 Events quer über die Schweiz verteilt.»

Eine der ganz grossen Leis­tun­gen des Vere­ins sind freilich die jew­eils 20-seit­i­gen Dossiers, die auf der Home­page bere­it­gestellt wer­den. Diese Dossiers behan­deln aus philosophis­ch­er Sicht aktuelle The­men. Sie wer­den nur online bere­it­gestellt – gedruck­te Aus­gaben kann und mag der Vere­in, der kein­er­lei kom­merzielle Inter­essen ver­fol­gt und nur durch Spon­soren finanziert wird, fürs bre­ite Pub­likum nicht her­stellen. Unter diesen Dossiers gibt es eines mit dem Titel «AHV und Gen­er­a­tio­nen­gerechtigkeit», ein anderes befasst sich mit Fra­gen der Umwel­tethik. «Wir ver­suchen, einzelne philosophis­che Debat­ten vorzustellen», berichtet Anja Leser. «Dabei verzicht­en wir aber weitest­ge­hend auf jeglichen Fach­jar­gon. Es gibt natür­lich jew­eils Begriffe, die notwendig sind. Die wer­den erk­lärt.»

Dass Späne fall­en, wo geho­belt wird, leugnet die Philosophin gar nicht erst: «Unser Vorge­hen mag mitunter etwas rau und grob sein», erk­lärt Leser. «Da muss halt viel zusam­mengekürzt wer­den. Aber wir sind stets bemüht, das Herz der Debat­te in unsere Dossiers mit einzu­pack­en.» Die <Philosophie.ch>-Mitarbeiterinnen und ‑Mitar­beit­er leg­en ausser­dem Gewicht darauf, ver­schiedene philosophis­che Per­spek­tiv­en in den The­menkreisen der Dossiers auszuleucht­en.

Bleibt die Frage, ob Philoso­phie über­haupt an Laien zu ver­mit­teln ist. «Aus meinen bish­eri­gen Erfahrun­gen kann ich sagen: «Ja!»», sagt Anja Leser. «Leute, die ein Inter­esse an Philoso­phie haben und die Wil­lens sind, sich reinzuknien, kön­nen die Texte auf jeden Fall ver­ste­hen. Aber Inter­essierte müssen schon damit rech­nen, dass die The­men anspruchsvoll sind, und dass sie sich einge­hend damit befassen müssen. Unsere Dossiers sind keine Bilder­büch­er, keine ein­fache Kost.»

«Ich glaube, Philoso­phie kann – und muss – so präsen­tiert wer­den, dass alle sie ver­ste­hen», ergänzt Philipp Blum. «Wenn etwas von durch­schnit­tlich intel­li­gen­ten und an der betr­e­f­fend­en Frage inter­essierten Men­schen grund­sät­zlich nicht ver­standen wer­den kann, liegt meines Eracht­ens der Ver­dacht nahe, dass an dieser Sache etwas faul ist.»

Philipp Keller Blum ist wichtig, dass die Philoso­phie und mit ihr jede Wis­senschaft etwas an die Gesellschaft zurück­gibt. «Wir sind alle vom Steuerzahler bezahlt und haben das unglaubliche Priv­i­leg, das tun zu kön­nen, was uns im Inner­sten inter­essiert.» Er find­et, dafür müssten die Wis­senschafter etwas für das Wohl – im weitesten Sinne – der Gesellschaft tun. Das leis­tet der Vere­in Philosophie.ch, indem er diese Erk­lärungsar­beit schafft. Keller Blum: «Da ist <Philosophie.ch> sein­er Zeit vielle­icht sog­ar ein biss­chen voraus.»

Anja Leser und Philipp Keller Blum beto­nen aber, dass ihr Vere­in kein Pop­u­lar­isierungsmedi­um ist. <Philosophie.ch> hat eine klare Funk­tion für die Uni­ver­sitäten selb­st – und wird deshalb auch von diesen Insti­tu­tio­nen direkt unter­stützt. Keller Blum: «Die akademis­che Seite des Vere­ins gab es in dieser Form zuvor noch nicht. Das ist eine Inno­va­tion, dieser Kon­takt unter den Uni­ver­sitäten.» Wenn zum Beispiel zwei Dok­toran­den am gle­ichen The­ma arbeit­en, ein­er an der Uni­ver­sität Lau­sanne, der andere an der Uni­ver­sität Bern, so wäre es sin­nvoll, wenn sie sich tre­f­fen und sich aus­tauschen kön­nten. Dank Philosophie.ch ist dies heute kein Prob­lem. Keller Blum: «Vor der Exis­tenz des Vere­ins hinge­gen gab es schlicht keine Möglichkeit für solche Leute, über­haupt etwas von einan­der zu erfahren.»

Das sieht Anja Leser dur­chaus auch so. Dass die junge Philosophin sich mit voller Kraft dem Vere­in wid­met, liegt auch an ihrer Zukun­ftsper­spek­tive für ihre weit­ere beru­fliche Kar­riere. «Ich hoffe, dass ich <Philosophie.ch> soweit brin­gen kann, dass wir aus­re­ichend zahlende Mit­glieder haben, die den Vere­in tra­gen. Am lieb­sten würde ich dann so weit­er arbeit­en, bis ich das AHV-Alter erre­icht habe.» Leser denkt aber derzeit nicht daran, eine Zeitschrift über Philoso­phie her­auszugeben. Dabei liegt dieser Wis­senschaft­szweig dur­chaus im Trend. In Deutsch­land wur­den in den ver­gan­genen Monat­en gle­ich zwei solche Titel auf den Markt gebracht («Philoso­phie Mag­a­zin» und «Hohe Luft»). Bei­de verkaufen sich auch an Schweiz­er Kiosken immer­hin so gut, dass sie im Sor­ti­ment verbleiben. «Der Vorteil unseres Vere­ins liegt ger­ade darin, dass die Ziele zwar definiert sind, die Mit­tel zu ihrer Erre­ichung hinge­gen offen ste­hen», sagt Leser.

«Zeitschriften über Philoso­phie sind im franzö­sis­chsprachi­gen Raum im Übri­gen seit langem bekan­nt», ergänzt die Philosophin. «Sie wer­den auch bei uns in der Romandie fleis­sig gekauft.» Das liegt mit Sicher­heit auch am unter­schiedlichen Stel­len­wert, den die Philoso­phie in den Schulen Frankre­ichs ein­er­seits und den deutschen und Schweiz­er Gym­nasien ander­er­seits hat. Leser: «In franzö­sis­chen Schulen gehört Philoso­phie tra­di­tionell mit zum Lehrplan. Bei uns und in Deutsch­land hinge­gen kom­men die meis­ten Schü­lerin­nen und Schüler nie damit in Berührung.» Auss­chliessen, dass <Philosophie.ch> sich dere­inst auch eine eigene medi­ale Plat­tform schaf­fen kön­nte, mag die Philosophin freilich nicht.

Ursprünglich war die Domain <Philosophie.ch> eine reine Linksamm­lung, gedacht als Hil­fe für Philoso­phi­es­tudierende. «Ich kam dazu, als ich im 2. Semes­ter studierte», erin­nert sich Anja Leser. «Pri­vat suche ich vor allem die Auseinan­der­set­zung mit dem Leben. Das kann ich als Philosophin bess­er, als wenn ich als «Labor­rat­te» in einem abgeschlosse­nen Raum vor mich hin werke.» Logisch: Wenn der Sinn der Philoso­phie tat­säch­lich darin liegt, die Welt und die Men­schen zu ver­ste­hen, kann dies bes­timmt nicht auss­chliesslich im stillen Käm­mer­lein geschehen.

Info: www.philosophie.ch

Foto: T. Kohler
ensuite, Novem­ber 2012

Artikel online veröffentlicht: 9. Juli 2019