Beitrag des 126sten Teilnehmers, Stanislav Kutac, an der photo12, die vom 13.–17. Januar 12 auf dem Maag Areal in Zürich stattfand — Mag sein, dass Integrität im heutigen Wertebild gänzlich an Bedeutung verloren hat. Mag sein, dass wir selbst zunehmend Menschen bevollmächtigen, die uns absichtlich für blöd verkaufen und dies auch noch leugnen (siehe Wirtschaft, Politik und Gesellschaft). Mag sein, dass uns Respektlosigkeit zur Normalität geworden ist. Und es mag sein, dass es immer noch Menschen gibt, die sich damit nicht abfinden wollen.
Zugegeben: die photo12 hatte nur 125 Teilnehmer. Zugegeben: ich hatte mich beworben, weil ich dabei sein wollte. Zugegeben: mein Beitrag wurde abgelehnt. Zugegeben: ich habe den vorliegenden Artikel vor diesem Hintergrund verfasst (welcher Kritiker schreibt schon über seine persönlichen Verstrickungen und gibt sich so die Blösse, wenn er nicht muss). Damit aber genug der Zugeständnisse.
Um noch etwas zu sagen: ich bin keinesfalls abgeneigt Entscheidungen anzunehmen oder zu fällen, die aus reiner Willkür, Vorliebe, berechnender Absicht oder bewusst intuitiv subjektiv getroffen werden. Was auch ein wesentlicher Grund dafür war, mich bei der photo12 zu bewerben. Denn ausgeschrieben war eine einzige Jurorin, nämlich Nora Hauswirth. Kein Gremium von Experten, die einen möglichst faulen Kompromiss zu erreichen suchen. Nein, eine junge ambitionierte Frau. Basta! Und die rief ich an. Ich hatte ein paar Modalitäten zu klären, als sie mir überraschender Weise anbot, dass ich ihr eine Auswahl meiner Arbeiten schicken könne, um mich zu beraten, was ich davon einreichen solle. Ich dachte nur: wow, so engagiert bei der Menge von Bewerbungen? Das ist doch ein gutes Zeichen. Die weiss, was sie will und was nicht. Der Austausch endete mit dem Einreichen der obigen bereinigten Serie: «Mit Sue am See». Bereinigt meint entschärft, passend gemacht, positiv ausgedrückt: fokussiert. Was eine weitere Option aufwarf: nämlich die, dass es einen ü18 Raum gäbe, wo man etwas «freizügigere» Bilder zeigen möchte. Was man darunter auch immer verstehen möge. Jedenfalls hat mich Nora ermuntert ihr Material zum ü18 Thema zu schicken; was ich darauf hin auch tat. Folge: längere Funkstille. Hm? Das war wohl zu viel des Guten? Oder: sie hat sicher viel zu tun? Deshalb nochmals selber nachgefragt. Worauf ich folgendes Mail bekam: «Betreffend ü18 Raum haben wir uns entschieden, 3 Arbeiten von Bewerbern zu zeigen, die im vorderen Raum keinen Platz finden. Da wir deine Arbeit gut im vorderen Raum zeigen können, würde ich den 3 anderen Teilnehmern die Fläche im ü18 zur Verfügung stellen.» Ich dachte, ja das geht in Ordnung. Ist mir auch fast lieber. Leichte Vorfreude machte sich breit, aber auch der Gedanke, man weiss ja nie. Am gleichen Tag kam noch folgende Mail: «Da darf ich noch nichts sagen, aber ich habe ein sehr gutes Gefühl.» Womit das Warten auf die endgültige Entscheidung eingeläutet war. Und es zog sich hin, weil zweimal die Deadline verschoben wurde, bis es dann soweit war: Die offizielle Absage.
Ich war ziemlich fassungslos. Tat so, als ob es ein Versehen sei, als ich Nora anschrieb und hoffte, so eine nachvollziehbare Begründung zu kriegen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich bin, wie schon gesagt, ein Freund von subjektiven und spontanen Entscheidungen – und mögen sie, wie in diesem Fall, gegen mich ausfallen. Aber leere Versprechungen zu machen, die niemand eingefordert hat, und dann mit folgender Begründung vom Tisch gewischt zu werden, will kommentiert sein. «Ich habe mich schlussendlich doch nicht für diese Arbeit entschieden. Das neue Layout war viel stimmiger und du bist in die engere Auswahl gekommen. Lieber Gruss Nora». Ich dachte nur: vergiss es.
Oder um es mit den Worten des ebenfalls anwesenden Jürgen Teller zu sagen: «People say to me, ‹You can’t do that› and ‹This is too much› … you know what, fuck it! You should really do what you want to do.»
Als Bewerber bekam ich weiterhin Informationen zu Begleitveranstaltungen der photo12, unter anderem das Angebot mich mit Fachleuten gegen Entgelt 20 Minuten austauschen zu können. Ich meldete mich für Dino Simonett und Winfried Heiniger an, zwei Verleger, weil ich mein Buchprojekt «Touch» mit ihnen besprechen wollte. Was mir einen unerwarteten Anruf von Nora einbrachte, die mir statt Dino Simonett, der wohl schon ausgebucht war, Moritz Neumüller schmackhaft machte, was ich als clevere Geschäftstüchtigkeit abbuchte, aber trotzdem nicht vergass, ihr meine Enttäuschung über das Vorgehen mitzuteilen und persönlich nachzufragen was letztlich wirklich Ausschlag gebend war für ihre Kehrtwende. Worauf ich zu hören bekam, dass sie es nicht mehr so genau wisse, sie jetzt reichlich zu tun habe und wir darüber nach der Veranstaltung in Ruhe reden müssten.
Mein Besuch der Ausstellung hatte folglich einen gewissen Beigeschmack. Aber ich wollte sehen, was es zu sehen gab. Entgegen der Vereinbarung gab es nicht einmal Gratistickets. Welcome! Dann der erste Raum: die Kritik er-spare ich ihnen lieber. Dann im Durchgang das ü18 Schmuddelräumchen: z.B. Schnappschüsse eines Pornodrehs. Auch dazu gibt es weiter nichts zu sagen. In der grossen Halle wurde es dann durchmischter und kontroverser. Ich möchte mich hier dennoch nicht dazu verleiten lassen Arbeiten zu kritisieren, die aus meiner Sicht einer Erwähnung nicht wert sind – und es waren doch nicht wenige. Stattdessen die hervorheben, die aus meiner Sicht auch herausstachen.
Das wären vor allem: René Megroz (arte-f-akt.ch), dessen Aktfotografien eine ausgewogene Synthese aus Botschaft, Menschlichkeit, Natürlichkeit und Aufwand vermitteln. Mein Respekt! Dann Giorgios Moutafis (www.rezo.ch), dessen SW Dokumente des «Arabischen Frühlings» sehr subtil unter die Haut gehen. Ganz im Gegensatz zu seinem Kollegen Fred Merz, der seine fotografische Brillianz dazu missbraucht, Armut zu ästhetisieren. Das nenne ich Menschen-Shooten im wahrsten Sinne des Wortes – die Diskrepanz könnte nicht grösser sein. (Die negative Kritik sei hier nur deshalb erwähnt, weil er unter dem Namen Rezo auf der gleichen Webseite zu finden ist wie Giorgios Moutafis). Dann Hans Peter Muff (www.muffart.ch), dessen Akte alltagstauglich sind und sehr ehrlich. Schön hat das auch Platz gefunden. Und da wären auch Melanie Bleikers berührende Landschafts Abstraktionen. Und vielleicht noch Pia Grimbühlers (www.piagrimbuehler.ch) «Chünguüberdieohrenziehung», die auffällt. Der Klick auf ihre Webseite allerdings deutet auf eine Frage hin, der sich die Fotografie immer wieder stellen muss, ausser sie ist rein kommerziell, nämlich: Was ist adäquat? Was ist entsprechend? Denn obwohl wir alle wissen dass eine Fotografie, insbesondere durch die Digitalisierung, eine Wahrheit vorgaukelt, die es so gar nicht gibt, haben wir die Tendenz das Sichtbare für bare Münze zu nehmen. Bei abgebildeten Menschen täuscht zudem die technische Raffinesse den Unbedarften meist gekonnt über die fehlende Innerlichkeit hinweg (Ausnahmen bestätigen die Regel). So viele perfekt ausgeblitzte, aber vollkommen beziehungslos dreinblickende oder künstlich Emotionen heischende Gesichter und Posen wie sie die Welt der Fotografie produziert passen auf keine Kuhhaut.
Was zur Ehrenrettung einer Ausstellung wie der photo12 aber auch gesagt werden möchte ist, dass sie sowohl für die Besucher als auch für die Teilnehmenden eine gute Gelegenheit bietet, sich zu orientieren, sich zu informieren, sich zu präsentieren, sich zu inspirieren, aber auch zu selektieren – für sich die Spreu vom Weizen zu trennen und zu hinterfragen, was man selbst tun will, was ja die Aufgabe einer Werkschau ist, welche ihrem Namen somit zumindest in diesem Punkt gerecht wird.
Der Autor, Stanislav Kutac, arbeitet als freier Gestalter, Texter und Fotograf in Bern. Sie finden seine auftragsbezogenen Arbeiten unter stanislavkutac.ch sowie seine freien fotografischen Arbeiten unter stanislavkutac.com
Foto: zVg.
ensuite, Februar 2012