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Pino D’Angiò – Die Musik von heute ist seelenlos

Inter­view von Sal­va­tore Pin­to mit Pino D’Angiò / Über­set­zung: Luca D‘Alessandro: Er hat nicht nur die Tanzflächen der Achtziger erobert, ihm wird sog­ar nachge­sagt, er habe den ersten Rap in Europa pro­duziert: Pino D’Angiò ist eine Kult­fig­ur, wenn auch sein Name fast auss­chliesslich bei DJs auf Res­o­nanz stösst. ensuite-kul­tur­magazin hat den Neapoli­tan­er auf Face­book aufge­spürt und ihn auf ein Tele­fon­in­ter­view ein­ge­laden.

Pino D’Angiò, um dich war es still in den ver­gan­genen zwanzig Jahren. Gibt es dich noch?

Aber klar. Ich bin ver­heiratet, habe einen Sohn und lebe in ein­er Vil­la an der Costiera Amal­fi­tana. Von da aus geniesse ich einen wun­der­baren Aus­blick auf den Golf von Neapel. Ich arbeite oft von zuhause aus.

Das war nicht immer so: Früher warst du als Sänger immer wieder im Fernse­hen zu sehen. Warum hast du dich zurück­ge­zo­gen?

Ich wollte etwas anderes machen. Mein aktuelles Leben gefällt mir ganz gut. Seit fün­fzehn Jahren schreibe ich Texte für das ital­ienis­che Staats­fernse­hen RAI und musikalis­che Komö­di­en, wie zum Beispiel «La Notte in cui Gersh­win e Miller andarono a cena». Ah ja, und ich arbeite an ein­er erstk­las­si­gen Film­pro­duk­tion. Als Haupt­darstel­lerin habe ich eine bekan­nte Fig­ur aus der englis­chen Film­szene gebucht.

Den Namen ver­rätst du ver­mut­lich nicht.

Ist geheim. Der Film erscheint 2014.

Warum hast du die Musik bei­seit­egelegt?

Es gibt Dinge, die mich mehr inspiri­eren. Die Musik von heute ist see­len­los, und das Pub­likum hat keinen Qual­ität­sanspruch mehr. Nie­mand respek­tiert deine Arbeit.

Was geht dir durch den Kopf, wenn du an deinen Hit aus dem 1980 «Ma Quale Idea» denkst?

Das ist schwierig zu beant­worten. Damals wollte ich die Cliquen von Schön­lin­gen, die Play­boys veräp­peln, die sich in den Dis­cos an die Frauen macht­en. Ich zitiere die Schlüs­sel­stelle aus dem Lied: «L’ho bec­ca­ta in dis­cote­ca, con lo sguar­do da ser­pente io mi sono avvi­c­i­na­to, lei già non capi­va niente …» (Anm. d. Red.: In der Diskothek habe ich sie ent­deckt. Mit dem Blick ein­er Schlange näherte ich mich ihr und brachte sie um den Ver­stand …)

Das klingt ein biss­chen nach Fred Buscaglione.

Du hast Recht. Wäre Fred nicht gewe­sen, hätte es «Ma Quale Idea» in dieser Form ver­mut­lich nie gegeben.

Der Song ist so etwas wie der europäis­che Ur-Rap. Wie reagierten die Label­man­ag­er damals?

Unisono mein­ten sie, ich würde damit nicht erfol­gre­ich sein …

Doch es kam anders. Viele bekan­nte Musik­er woll­ten plöt­zlich mit dir zusam­me­nar­beit­en.

Auf den The­ater­büh­nen arbeit­ete ich mit Nino Castel­n­uo­vo und Beppe Are­na. Im Musik- und Show­busi­ness hinge­gen mit Miguel Bosè, Mina, Fran­co Fasano, Mogol, Gian­ni Moran­di und Mikel Barsa. Her­vorheben möchte ich die Arbeit mit Bruno San­chioni. Gemein­sam haben wir «The Age Of Love» geschrieben. Gemäss Bill­board Mag­a­zine wird dieses als erstes Trance-Stück über­haupt gehan­delt. Weltweit haben wir es über vier Mil­lio­nen Mal verkauft. Es ist auf rund 400 Com­pi­la­tions zu find­en.

Wie stehst du zu jun­gen Musik­ern?

Heutzu­tage gibt es wenige wirk­lich tal­en­tierte Musik­er. Samuele Bersani gefällt mir zum Beispiel. Mit Musik­ern von gestern arbeite ich nicht mehr, auch nicht mit Mina. Sie will übri­gens auch nicht mehr sin­gen.

À pro­pos Mina: Vor Jahren hat sie dich gefragt, ob sie dein Lied «Ma Chi È Quel­lo Lì» übernehmen dürfe. Wie war das für dich?

Mina rief mich an, um zu fra­gen, ob sie das Stück für etwas Grandios­es ver­wen­den dürfe. Na ja, später war ich begeis­tert­er, als Mon­i­ca Vit­ti damit einen Video­clip drehte.

Ursprünglich kommst du aus Pom­pei, hast mehrere Jahre in den Vere­inigten Staat­en ver­bracht. Welch­es waren die Ein­flüsse, die du aus den USA nach Ital­ien importiert hast und die dich zum Hit «Ma Quale Idea» gebracht haben?

Die Reise ver­grösserte meinen Hor­i­zont. Vom amerikanis­chen Stil war ich sehr ange­tan. Dage­gen kon­nte ich nichts machen. Die Ver­schmelzung der bei­den Tra­di­tio­nen, der ital­ienis­chen und der amerikanis­chen, liess etwas ganz Neues entste­hen: eine neue Verbindung. «Ma Quale Idea» lebt von Funk-Rhyth­men, die ich aus Ameri­ka nach Ital­ien gebracht habe.

Stilmäs­sig kon­ntest du mit Sug­arhill Gang, Kool And The Gang und Lipps Inc. prob­lem­los mithal­ten. Du warst deren Konkur­rent.

Ich über­lasse es dem Pub­likum, zu beurteilen, ob ich ihnen tat­säch­lich das Wass­er reichen kon­nte. Sollte dem so gewe­sen sein, würde mir das schme­icheln.

Heute bewegst du dich im The­ater­bere­ich. Was bietet dir das The­ater mehr als die Musik?

Die Beziehung zum The­ater ist aussergewöhn­lich und irgend­wie witzig.

Wie ist das zu ver­ste­hen?

Als Darsteller auf der The­ater­bühne nimmst du das Pub­likum ganz anders wahr. Es entste­ht eine Wech­sel­wirkung. Es ist anders als im Fernse­hen. Da blicke ich in eine Kam­era, kann darin aber keine Reak­tion von den Zuschauern erken­nen. Im Fernse­hen weiss ich nie, ob dem Pub­likum gefällt was ich mache. Im The­ater weiss ich sofort, woran ich bin.

Das The­ater ist so etwas wie eine Lebenss­chule. Verän­dert es deine Ein­stel­lung?

Dur­chaus. Sowieso: Als Neapoli­tan­er hast du das The­ater in den Genen. Du gib­st etwas von deinem Inneren. Deshalb ist das The­ater so magisch. Und übri­gens: Du darf­st nie vergessen, dass die Leute, die dich im The­ater sehen wollen, ein Ein­tritt­stick­et gelöst haben. Sie haben es deinetwe­gen getan. Weisst du, was ich meine? Sie haben alles ste­hen und liegen lassen und sich auf den Weg zu dir gemacht! Im Fernse­hen gibt es das nicht. Da zap­pen die Leute zufäl­liger­weise auf den Kanal, auf dem du ger­ade singst oder eine Show machst. Und vielle­icht ver­weilen sie sog­ar ein biss­chen, weil sie ger­ade nichts Besseres zu tun haben.

Foto: zVg.
ensuite, Feb­ru­ar 2013