Von Lukas Vogelsang - Das neue Mediengesetz, das eigentlich ein Massnahmenpaket ist, das nicht als Konzept oder nationale demokratische Willensbekundung zu interpretieren wäre, bringt zurzeit viel Verwirrung mit sich. Die Argumentationen beider Lager sind befremdlich. Der auf SRF ausgestrahlte «Club» (18.1.2022) zu diesem Thema war eine peinliche öffentliche Entblössung beider Seiten. So was will man nicht sehen – nicht von MedienvertreterInnen. Und wenn es um die Presse selbst geht, scheinen die Recherchen nicht spannend zu sein – es scheint, dass das populistische Redaktionstraining der letzten Jahre fruchtet. Und weil der Staat mit mehr Geld winkt, reicht den Befürwortern die Argumentation «wenigstens etwas». Bullshit.
Kaum jemand scheint sich zu fragen, was nach den sieben Jahren, also wenn dieses Zwischenfinanzierungsprogramm endet, wohl geschehen wird. Werden da die Märkte wieder funktionieren? Werden die Medien weniger Geld brauchen und neue Businessmodelle geschaffen haben? Werden sich jetzt so viele NeuabonnentInnen in die Bezahlmedien stürzen, dass das Geschäft mit Nachrichten wieder floriert? Oder könnte es allenfalls sein, dass noch mehr Geld gebraucht wird, weil das Förderprogramm nicht wirklich da gegriffen hat, wo man wollte: bei der Medienvielfalt durch mehr individuelle und kritischen Inhalten?
Ich bin echt dankbar für den Artikel auf republik.ch: «Weil die dagegen sind, bin ich noch lange nicht dafür» von Philipp Albrecht (publiziert am 19.1.2022). Das ist nach rund drei Monaten Mediendiskussion die erste vernünftige Argumentation und Antwort auf meine Zweifel von einem ähnlich gesinnten journalistischen Lager.
Apropos florieren: Das Mediengeschäft ist ein Milliardengeschäft. In Deutschland haben sich im Januar 2022 zwei Mediengiganten endgültig zusammengeschlossen: RTL Deutschland hat sich Gruner & Jahr einverleibt, einer der grössten Verlage Europas mit rund 1,1 Milliarden Euro Umsatz. Der gehörte zuvor Bertelsmann – ein ebenso gigantisches Imperium (17,3 Milliarden Euro Umsatz). Wer also davon spricht, dass es den Medien pauschal schlecht geht, muss die Märkte besser studieren. In der Schweiz ist die Mediendichte enorm, die Leserschaft mit mindestens vier Sprachen kompliziert und die Märkte klein. Aber: Das Dilemma der Medien in der Schweiz hat vor allem mit der Konkurrenzsituation zu tun. Die ist zum einen gesund, weil es die Medienvielfalt anregt und mehr Titel produziert werden – andererseits ist es absurd, wenn sich diese Verlage mit den gleichen Nachrichten aus der gleichen Quelle (Keystone-SDA) bekriegen und nur noch bedingt inhaltliche Eigenleistungen produzieren. Die Verlage verdrängen sich in den Märkten über billige Anzeigenpreise mit dem Effekt, dass die Einnahmen in der ganzen Branche einbrechen. Die Abos wurden mit den Gratiszeitungen und Gratis-Onlineportalen abgeschafft. Den Werbemarkt dominiert, wer hohe Auflagen (hohe Vertriebskosten) und günstige Anzeigenplätze verkaufen kann. Die neu und printunabhängig gegründeten Onlineportale haben gar nicht erst versucht, ein Businessmodell für ihre Publikationen zu erstellen – und leben von Spenden und Mäzenen, Idealismus und Förderprogrammen für Start-ups oder anderen Startfinanzierungshilfen. Sie haben alle die Angst im Nacken, dass ihre Startzeit abläuft und sie keine Lösung gefunden haben. Jetzt ist für viele der Zeitpunkt gekommen, wo’s brennt.
Die Schweiz muss einen Blick auf die Medien-Beteiligungsgeschichten werfen. Erst im August haben Ringier, Tamedia, Mobiliar-Versicherung und General Atlantic (spätestens hier wird einem schlecht!) ein Investment-Joint-Venture (man schätzt eine Umsatzgrösse in der Schweiz von 500 Millionen) für digitale Marktplätze geschaffen. Damit plant man den Börsengang. In diesem Portfolio sind auch die Scout24-Plattformen dabei – also alle wesentlichen Marktplätze, die früher den Medienbetrieben als Einnahmequellen dienten: Immobilien, Autos, Kleinanzeigen und vieles mehr. Scout24, ursprünglich mal in Flamatt aufgebaut, hat im Jahr 2020 international einen Umsatz von über 354 Millionen Franken erwirtschaftet, der Hauptsitz ist in München – in der Schweiz ist ein kleiner Ableger. Die Verschachtelung zeigt, um wie viel Geld es hier eigentlich geht: Der Umsatz ist doppelt so hoch wie das, was die gesamte staatliche Medienförderung zur Verfügung stellt. Wetten, dass, wenn mehr Subventionen zu den Verlagen fliessen, dieses Investment-Gold wieder für Beteiligungskäufe im Medienbereich genutzt wird? So haben es die grössten MedieninvestorInnen weltweit vorgemacht.
Was bei mir die Alarmglocken schrillen lässt, ist die Tatsache, dass die Gewerkschaften, die Politik und die VerlegerInnen gleicher Meinung sind und auf der gleichen Seite stehen. Das ist für mich ein No-Go – sowohl für die Gewerkschaften, die sich für die MitarbeiterInnen einsetzen müssten, als auch für die Politik, die eine faire Führung für eine Bevölkerung in einem neutralen, demokratischen Land zu verantworten hat, und eben auch für die VerlegerInnen, die privatwirtschaftliche Profitunternehmen in gesellschaftlicher Funktion sind. Es sind drei Mächte, die normalerweise nicht miteinander, sondern gegeneinander agieren. Das wäre auch gut so. Und wer steht diesem neuen Konglomerat gegenüber? Die Bevölkerung und die JournalistInnen? Die verkaufen uns für blöd, oder?
Ich habe in den letzten Monaten viele Diskussionen angezettelt und viele Fragen gestellt. Stephanie Von-arburg, Vizepräsidentin von syndicom und Leiterin Sektor Medien, erklärte mir auf die Frage, wo genau die JournalistInnen von diesem Mediengesetz profitieren, Folgendes: «Indem die Vorlage den Medienunternehmen mit Lokal‑, Regional- und Onlineredaktionen unter die Arme greift, unterstützt es den Journalismus, den diese Medien veröffentlichen.» (Originaltext)
Das ist, um ehrlich zu sein, ein schrecklich naiver Ansatz. Durch Geld wächst keine Moral, dazu braucht es in der Wirtschaft andere «Anreize» oder eben Regeln. Und es ist ziemlich wild – um auf die Frage, was in sieben Jahren sein wird, zu antworten –, anzunehmen, dass irgendjemand versuchen wird, von den Subventionen loszukommen. Das Gegenteil wird der Fall sein. Es ist jetzt schon klar, dass die JournalistInnen kaum profitieren werden, denn es existiert keine Passage im Förderprogramm, welche ihre Berufssicherheit oder ihre Zukunft sichert oder einen Gesamtarbeitsvertrag als Bedingung für Verleger stellt. Das haben die bürgerlichen ParlamentarierInnen im Vorfeld herausgesiebt und getilgt. Warum? Geld und Macht – um etwas anderes geht es hier nicht.
Ein wichtiger Fakt wurde bisher von den BefürworterInnen kaum berücksichtigt: Die Abozahlen gehen nicht rauf, sondern seit Jahren runter. Wenn wir eine Subvention auf der Basis von Abozahlen bauen, so müssen wir mit einkalkulieren, dass diese eben sinken – und dies auch in den nächsten Jahren. Das hat auf die Vertriebe grosse Auswirkungen. Die Grafik vom Bundesamt für Kommunikation zu den unterstützten Titeln mit indirekter Zustellungs-Postvergünstigung wirkt dann irritierend: 79 % gehören übrigen Verlagen – nur 21 % gehören den drei grossen Konzernen CH-Media, Ringier und TX Group. Damit will man «belegen», dass die grossen Verlage weniger Fördergelder bekommen, weil diese ja zu dritt «nur» 21 % der unterstützten Vergünstigung ausmachen – bisher. Dass aber diese drei Medienverlage die grossen täglichen Auflagen produzieren, welche die neue Frühzustellungs- und die Sonntagsblättersubvention auch für ihre Titel über 400 000 Exemplare erhalten, ist kein Thema. Viele Geschenke an die Grossen.
Im grossen Kuchen der 79 % sind vor allem fast 1000 Verlage, welche nur kleinere Titel, Zeitschriften oder Publikationen, die nicht täglich, sondern eben einmal im Monat erscheinen, publizieren. Für viele ist diese indirekte Subvention klein: Das bezahlt im Schnitt nicht mal die Druckkosten einer einzigen Print-Ausgabe. Hier wird sich die Medienvielfalt sicher nicht verbessern – im Gegenteil. Was mit wie viel gefördert wird, kann erst bei der Verteilung errechnet werden – so ist es im Vorfeld nicht möglich, zu sagen, wie viel wer kriegt. Das ist eigenartig.
Dass der Bundesrat durch das Medienpaket die den Zeitungsverlagen gehörende Keystone-SDA mit zusätzlich mehr Geld fördern will, bedeutet, dass noch mehr Agenturmeldungen direkt in die Publikationen übernommen werden können, als es heute schon der Fall ist. Das ist nie der Sinn und Zweck der Depeschenagentur gewesen. Vor allem das nationale Themensetting wird dadurch manipuliert, denn: Warum sollte man als ZeitungsverlegerIn und MitbesitzerIn der Keystone-SDA für diese Dienstleistungen zweimal bezahlen? So oder so: Die redaktionelle Bearbeitung und Faktenprüfung, das Themensetting, das Inhalte-in-einen-Kontext-Bringen und Inhalte-verständlich-Machen, die redaktionelle Diskussion – all das wird in Zukunft weniger stattfinden, da die Redaktionen kaum noch im Team arbeiten können. Diese Arbeit kostet Geld und wird im Medienförderungsgesetz nicht unterstützt. Der Staat, also die Politik, fördert nur, was seine Interessen vertritt. Die Keystone-SDA hat dabei die Funktion des Berichterstatters, und dies bedeutet in der Sprache der Politik, die Nachrichten aus den Verwaltungen und Ämtern an die Öffentlichkeit zu tragen – die Verlage machen da gerne mit, der Inhalt ist ja fast schon bezahlt und kann etwas angepasst werden. Nicht klar ist mir, ob die vom Bundesrat schon im Jahr 2019 eingeleitete Rechtsgrundlage für die Unterstützung der Keystone-SDA mit bis zu zwei Millionen Franken pro Jahr weiterläuft in diesem 7‑Jahres-Plan oder rausfällt. Ist das eine zusätzliche Finanzspritze, die bleibt? All diese Infos sind nicht zu rekonstruieren.
Die Informationsflut von Bund bezüglich dieser Abstimmung ist gross – aber so wirklich transparent ist sie nicht. Ich habe im Vorfeld auf den Amtswebsites versucht Informationen zusammenzusuchen. Entweder bin ich blöd oder habe falsche Erwartungen: Ist es nur spekulativ, zu glauben, dass dieses Informationschaos bewusst angesetzt wurde, damit das BAKOM, dessen Chef Bernhard Maissen (seit 2018) ausgerechnet der ehemalige Chefredaktor und ein Mitglied der Geschäftsleitung der früheren SDA war, der mit den Zeitungsverlagschefs zusammenarbeitete, die seine Auftraggeber waren, mit dieser Gesetzesvorlage brillieren kann? Damit hätte Bernhard Maissen zwei Fliegen erwischt: erstens seine Reputation als BAKOM-Chef erfüllt und zweitens all seinen ehemaligen BerufskollegInnen und MitarbeiterInnen bei der SDA und den Verlagen einen guten Dienst erwiesen. Damit kann er nach der Pension für Verwaltungsratsmandate hausieren gehen. Ich meine, Maissen rief mich damals persönlich an, als ich die SDA mal bezüglich Kulturberichterstattung und Bundesgelder kritisierte. Er versuchte die Wogen zu glätten und mich für die SDA zu gewinnen. Da ging es nur um rund 200 000 Franken.
Fazit: NEIN! Um Himmels willen! Wir wollen ein Medienpaket – unbedingt –, einen Plan für die Schweiz für die nächsten 20 bis 30 Jahre, wie wir die Nachrichten in diesem Land neutral und finanziert behalten können. Dazu braucht es Regeln, die Märkte aufbauen und Profiteure eingrenzen. Dieses Medienförderungspaket haben bürgerliche weisse alte Männer bereits im Vorfeld so malträtiert, dass es unbrauchbar geworden ist. Eine intelligente Basis wäre zu schaffen, das ist eine Konzeptaufgabe. Die Giesskannenförderung ist hier kein guter Ansatz und dient vor allem GrossverlegerInnen und jenen, welche clever genug sind, gesunde Einnahmequellen schnell aus dem Betrieb zu operieren, um an Staatsgeld zu kommen – mit unfreien Staatsmedien hat das nichts zu tun. Doch wir sollten die kleinen Medienbetriebe stärken und dazu die grossen drosseln. Dazu braucht es Definitionen und Grenzen (zum Beispiel: Was ist gesund gross?). Bevor wir also pauschal in einen Milliardenmarkt Geld pumpen, sollte Transparenz geschaffen werden. Zum Beispiel fehlt die Anzahl Onlinemedien, für die 30 Millionen gesprochen werden sollten. Da werden sich viele AnbieterInnen noch überlegen, wie sie sich «subventionskonform» hinstellen können. Doppelförderungen sollten geprüft werden – bei der Keystone-SDA wie auch bei jedem einzelnen Förderposten (Startfinanzhilfen etc. …). Der GAV für JournalistInnen wäre eine einfache Bedingung für subventionierte VerlegerInnen – gerade im Onlinebereich, und wenn wir schon dabei sind: Dazu sollten die Urheberrechte der JournalistInnen nicht automatisch an die Verlage gehen (Knebelverträge, die heute üblich sind und die Medienvielfalt erst recht torpedieren, gerade für freie JournalistInnen). Und könnte man endlich die Berufsbezeichnung «JournalistIn» schützen?
Hier tut sich die Schweiz schwer. Eine Abstimmung auf dieser fussligen Ideologie- und Faktenlage ist aus meiner Sicht kaum möglich. Es wäre ein gesunder und demokratischer Schritt für die Schweiz, hier am 13. Februar ein klares NEIN! in die Urne zu legen, um den Prozess sofort neutral neu anzugehen – diesmal wach und mit den nötigen unabhängigen Experten und Sichtweisen.
Am 13. Februar 2022 — Bitte NEIN! stimmen … Für eine gesunde Demokratie und ein NEUES Mediengesetz!