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«Plagööris»

Von Lukas Vogel­sang — Aufmerk­sam wurde ich durch die Aufdeck­ung des schändlichen Kindsmiss­brauchs im Kan­ton Bern Anfang Jahr. Da schrieben die Zeitun­gen von 100, 114 und 122 miss­braucht­en Kindern. Drei ver­schiedene Zahlen auf den Front­seit­en – Haupt­sache: veröf­fentlicht. Das gab mir zu denken.

Der deutsche Vertei­di­gungsmin­is­ter Karl-Theodor Maria Niko­laus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Frei­herr von und zu Gut­ten­berg hat aber ein Prob­lem mit dem kor­rek­ten Abschreiben. Ger­ade er hätte es nicht tun sollen – sofern er es selb­st, und nicht, noch viel schlim­mer, ein Ghost­writer gemacht hat. Seine Dok­torar­beit «Ver­fas­sung und Ver­fas­sungsver­trag. Kon­sti­tu­tionelle Entwick­lungsstufen in den USA und der EU» wird im Inter­net ein­drück­lich von der soge­nan­nten Schwarm-intel­li­genz zerpflückt, und die abgeschriebe­nen Stellen Pas­sage um Pas­sage ent­larvt (http://de.guttenplag.wikia.com). Ein Vertei­di­gungsmin­is­ter der lügt, und sich nicht bewusst ist, zu was die heuti­gen Tech­nolo­gien, Net­zw­erke und, vor allem, diese «Schwarmintel­li­genz» fähig sind, hat irgend­wie den Job ver­fehlt. Als «Schwarmintel­li­genz» wer­den die paar tausend Blog­gerIn­nen und Inter­nethelferIn­nen beze­ich­net, die sich tatkräftig einen Berg von Arbeit aufteilen, und inner­halb von sehr kurz­er Zeit beleg­bare Resul­tate liefern kön­nen – Ver­net­zung sei Dank.

Ich per­sön­lich habe beim kor­rek­ten Abschreiben unge­wollt gewollt einen Fehler öffentlich gemacht: Auf ein­er Liste vom Amt für Kul­tur des Kan­tons Bern wartete in einem offiziellen Doku­ment ein Ein­trag seit zwei Jahren auf seine Kor­rek­tur. Mir warf man vor, ich hätte schlecht recher­chiert. Es geht um den Gesamt­pro­jekt-Förder­beitrag an die annahuber.compagnie – ich hat­te im Edi­to­r­i­al der Feb­ru­ar-Aus­gabe geschrieben, dass Anna Huber im Jahr 2010 vom Kan­ton Bern einen Förder­beitrag von 360’000 Franken erhal­ten hat. Nun, in der Liste vom Kan­ton von 2009 ste­ht aus­drück­lich: «Anna Huber Com­pag­nie / Gesamt­pro­jekt 2010–2010 / 360’000». Ein Recher­chier­fehler ist das also nicht. Auch deswe­gen nicht, weil auf kein­er anderen Liste vom Kan­ton oder der Stadt weit­ere Beiträge aufge­taucht sind. Roger Mer­guin und Astrid Andrea von der annahuber.compagnie haben mich aber darauf aufmerk­sam gemacht, und mich gebeten, die kor­rek­ten Zahlen zu veröf­fentlichen. Das möchte ich hier­mit tun: Die Kom­pag­nie hat mir dazu die Zahlen der Förderun­gen geliefert, damit das Bild ver­ständlich wird:

Fördervere­in­barung 2010 — 2012 zwis­chen Kul­turStadt Bern, Swisslos/Amt für Kul­tur Bern, Pro Hel­ve­tia und der annahuber.compagnie:

Kan­ton Bern 120 000 pro Jahr
Stadt Bern 120 000 pro Jahr
Pro Hel­ve­tia 70 000 pro Jahr


Total pro Jahr 310 000

Das sind für drei Jahre ins­ge­samt 930’000 Franken. Gemäss Astrid Andrea ist dabei das gesamte Jahres­bud­get, inklu­sive sämtlich­er Kosten für neue Pro­duk­tio­nen, Gast­spiele, Hon­o­rare, Infra­struk­tur etc. bein­hal­tet. Dabei muss allerd­ings noch erwäh­nt wer­den, dass Anna Huber 2010 den Schweiz­er Tanz- und Chore­o­gra­phiepreis von 30’000 Franken gewon­nen hat, und einige Pro­duk­tio­nen zusam­men mit der Dampfzen­trale Bern und dem Tanzhaus Zürich zus­tande gekom­men sind (was sich auf Proberäume, Auftritts­büh­nen, Tech­nik und vor allem deren Kosten auswirkt).

Meine Abschreiberei mit den 360’000 Franken, welche ich nur einem Jahr zuge­ord­net hat­te, sind so gese­hen von der Höhe her nicht ganz falsch – ein­fach die Quelle stimmte nicht. Ich muss geste­hen, dass ich beim Lis­ten­ab­schreiben ins Grü­beln kam. Allerd­ings kann ich nicht jede offizielle Zahl über­prüfen, nur weil ich grad so ein Gefühl habe – auf diesen Lis­ten wim­melt es von Beträ­gen. Sind die jet­zt alle falsch? Vor allem: Warum hat bei einem Betrag in dieser Höhe nie jemand reklamiert? Inter­essiert das nie­man­den? Ich finde diese Zahlen inter­es­sant. Die Kul­tur­förderung­sprax­is ist undurch­sichtig – deswe­gen liest das wohl auch kein Men­sch, und die öffentlichen Ämter schaf­fen es nicht, eine Trans­parenz aufzubauen, welche für alle Kün­st­lerIn­nen klaren Wein ein­schenken würde. Nun, auf jeden Fall wurde die Liste bis zum Druck dieser Aus­gabe nicht kor­rigiert. Seien Sie also vor­sichtig, wenn Sie etwas lesen. Es gibt keine Garantie für Kor­rek­theit. Davor schützen wed­er Dok­tor-Titel, Beamten­abteilung, Alter, Öffentlichkeit oder Jour­nal­istIn­nen…

Car­toon: www​.fauser​.ch
ensuite, März 2011

 

Artikel online veröffentlicht: 29. Dezember 2018