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Politische Korrektheit ist

Von Peter J. Betts — «Poli­tis­che Kor­rek­theit ist eine höchst effiziente Form von Faschis­mus, die unserem Zeit­geist entspricht», sagte mir während eines lan­gen Gesprächs Max Neuhaus, der in Texas geborene Musik­er (ursprünglich Perkus­sion­ist) und inter­na­tion­al wohl zu Recht viel beachtete Instal­la­tion­skün­stler, der etwa mit seinen Klan­gin­stal­la­tio­nen einiges an schema­tisch abgesicherten Denkmustern zum Beben gebracht hat. Max ver­an­schaulichte: «Ver­logen, an der Ober­fläche unan­greif­bar, per­fid, leer­er For­mal­is­mus ohne die inhaltlich schein­be­ab­sichtigten Kon­se­quen­zen, ohne Verbindlichkeit, wirkungsvoll den Man­gel an men­schlichem Inter­esse verdeck­end – Freib­rief für ell­bogenori­en­tierte Bru­tal­ität, gängiges Werkzeug für Macht­men­schen in Wirtschaft und Ver­wal­tung.» Das Gespräch fand an einem Mit­tag statt, als Max vor Ort sein Pro­jekt für eine «Klang­brücke» hin zum Neubau der Gewerbeschule (GIBB) im Lor­rainequarti­er zur Aus­führungsreife fer­tig entwick­elte. Ich ver­suchte, ihm ent­ge­gen­zuhal­ten, die soge­nan­nte Poli­tis­che Kor­rek­theit könne doch sehr wohl auch ein tauglich­es Werkzeug, ein Anreiz sein, sich bei jed­er Aus­sage über­legen zu müssen, auf wen sich die Aus­sage über­haupt wirk­lich beziehe und man demzu­folge die Adres­satin oder den Adres­sat­en konkret im Kopf habe, also an die betrof­fe­nen Per­so­n­en beim Schreiben oder Sprechen denke und sie auf diese Weise einzeln in ihrer Indi­vid­u­al­ität ernst nehme, dass sie so also nicht zu gesichts- und iden­tität­slosen, manip­ulier­baren Chiffren entwürdigt wür­den… Max lachte. Ich glaube, wenig­stens jet­zt: Er hat­te Recht. Völ­lig automa­tisch wird heute von Leser­schrägstrichIn­nen oder Käufer­gross­buch­stabeIn­nen geschrieben; wenn man etwas dabei denkt, dann höch­stens an Auflagez­if­fern oder das Anwach­sen des Ein­nah­meüber­schuss­es. Wenn eine Polit­gurke am Nation­alfeiertag «Liebe Eidgenossin­nen und Eidgenossen» röhrt, denkt sie nicht an Frauen, Mäd­chen, Knaben, Män­ner, mit ihren unter­schiedlichen Bedürfnis­sen und sehr unter­schiedlichen Vorstel­lun­gen über ihre Pflicht­en, son­dern sie denkt an die Zahl der auf sie bezo­ge­nen Stim­men bei der näch­sten Wahl. Ziel der ursprünglichen Bemühun­gen, zum Beispiel von Luise F. Pusch, («Das Deutsche als Män­ner­sprache: Auf­sätze und Glossen zur fem­i­nis­tis­chen Lin­guis­tik», 1984, Suhrkamp), war wohl, dass man sich bewusst werde, an wen man sich wende – ein Schritt zur Gle­ich­w­er­tigkeit aller unter Wahrung aller Unter­schiedlichkeit­en. Ein Schritt hin zum Frieden vielle­icht. Und das ste­ht heute in der Tat sehr tief im Kurs. Max ist, unge­fähr siebzigjährig, vor etwa einem hal­ben Jahr gestor­ben. Seine Klang­brücke bei der GIBB ste­ht noch. Ob sie wohl noch klingt? Die Brücke… Eine Bank, zum Beispiel, ist auf alle Fälle weib­lich. Ob es sich nun um eine feste han­delt, wie sie Schiller seinem Wil­helm Tell (Zitat fol­gt) in den Mund legt (kurz nach­dem Wil­helm T. den Vogt aufge­fordert hat­te – in Monolog­form, also fik­tiv –, seine Rech­nung mit dem Him­mel zu machen, weil eben dieser Vogt ihm die Milch der from­men Denkart in gärend’ Drachengift ver­wan­delt hat­te; Ruhe vor dem Schuss.), Zitat: «Auf dieser Bank von Stein will ich mich set­zen.» Nun, zugegeben: Der Dativ ist auch nicht mehr ganz, was er früher ein­mal war. Heute geht es offen­bar auch hier zielo­ri­en­tiert­er zu und her. Tran­si­tiv­er. Aber: wenn man sich auf diese Bank set­zt: das gram­matikalis­che Geschlecht der Bank ist und bleibt weib­lich. Keine Frage der Poli­tis­chen Kor­rek­theit. Auch wenn es sich um eine so geart­ete Bank han­delt, auf die man bess­er nicht set­zen sollte, wie die Entwick­lun­gen der jüng­sten Zeit erneut recht deut­lich und für viele exis­ten­ziell vor Augen führt: ihr gram­matikalis­ches Geschlecht ist – weib­lich. Unab­hängig von gewis­senlosen Macho-CEOs (biol­o­gisch weib­lichen oder männlichen Geschlechts). Ver­trauenswürdigkeit hin oder her: Fir­men, Gesellschaften, Natio­nen, Regierun­gen sind weib­lich. Wenn ich von ein­er Polit­gurke spreche, sei ihr biol­o­gis­ches Geschlecht männlich oder weib­lich, so ist das gram­matikalis­che Geschlecht eben weib­lich. Im Team von Radio DRS2 hat es viele Frauen (und auch Män­ner), die gedanklich, men­schlich, sprach­lich alles andere als unbe­darft sind. Stel­lvertre­tend für alle Qual­i­fizieren­den liste ich wild eine «Wilde 13» auf, schön alpha­betisch nach Vor­na­men geord­net: Ange­li­ka Schett, Cor­nelia Kazis, Gabriela Kae­gi, Han­sjörg Schulz, Hein­rich Vogler, Irene Grüter, Jen­nifer Khak­shouri, Judith Wipfler, Lis­lot Frei, Mar­tin Heule, Olga Rubitschon, Patri­cia Moreno, Sabine Bit­ter. Hört denn keine und kein­er davon je in die Mat­ti­na­ta hinein? (Gut, vielle­icht schal­ten sie aus mir dur­chaus ver­ständlichen Grün­den vor den Nachricht­en den Laut­sprech­er aus und vielle­icht nach dem Geworte zu spät wieder ein. Ich ver­ste­he, dass es unmit­tel­bar nach ein­er Mozart­sonate eigentlich unzu­mut­bar ist, dem live-erk­lären­den Gekeife von Finanz­ex­perten oder Fuss­ball­coach­es zuzuhören — oder den mark­tschreierisch propagierten «Schlagzeilen des Tages».) Wenn sie aber über die Nachricht­en weg dran­bleiben, gele­gentlich: Wie kön­nen sie fol­gende unsägliche Ansage unwider­sprochen über sich erge­hen lassen: «Sie hören die Mat­ti­na­ta auf DRS2 mit Cred­it Suisse, Part­ner für Klas­sik und Jazz»? Und auch diese Frage hat mit Poli­tis­ch­er Kor­rek­theit nichts zu tun. Aber offen­bar sagen sie nichts. Judith nicht, Cor­nelia nicht, Ange­li­ka nicht, und so weit­er. Ein­fach nicht. Alle Dreizehn. Stel­lvertre­tend für das ganze Team. Eine Bank – wie rühm­lich auch immer – ist weib­lich! Die von mir jet­zt anvisierte Ansage entspricht aber sprach­in­haltlich absur­den Zumu­tun­gen wie: «Schmerzfreies Gebären für Väter», «Mut­ter­schaft­surlaub für alle Väter», «Zeu­gungspflicht für Frauen», usw. Gut, vielle­icht sieht die «Wilde 13», stel­lvertre­tend für das ganze Team, dies als Bagatelle an; sie haben Wichtigeres in Kopf, Herz und Hand. Sie wollen nicht zu leherIn­nen­haft, nicht zu rechthaberisch auftreten? Vielle­icht scheint es heute zunehmend egal, wenn man ein Rot­brüstchen als «Vogel» oder ein­fach als «Tier» beze­ich­net? Schliesslich sind wir auch Tiere und viele von uns dabei recht schräge Vögel. Wäre man aber etwa eine Maus, kön­nte es dur­chaus exis­ten­ziell sein, einen roten Milan von einem Rot­brüstchen unter­schei­den zu ver­mö­gen. Die Sache mit der Bank als Part­ner? Eine Kleinigkeit? Was ist eigentlich eine Part­ner­in? Kann das von der Wortbe­deu­tung her eine Cred­it Suisse über­haupt sein? Die Part­ner­schaft erschöpft sich doch wohl hier darin, dass die eine Insti­tu­tion Geld gibt und die andere die erstere tagtäglich so oft als möglich erwäh­nt. Eine echte Ehe? Nun, ich weiss; auch in vie­len Ehen ist der Dia­log, falls über­haupt jemals lebendig, längst nach­haltig ver­stor­ben. Part­ner­schaft? Wollte man nach dem Schema Poli­tis­ch­er Kor­rek­theit aus der Zwick­müh­le her­auskom­men, müsste man sagen: «Sie hören die Mat­ti­na­ta auf DRS2 mit Cred­it Suisse, Partner/in für Klas­sik und Jazz.» Das würde die Chose zwar nicht weniger lächer­lich, auch nicht bess­er machen. Die Zwick­müh­le ist also nicht eine Frage Poli­tis­ch­er Kor­rek­theit. Und das Ver­wen­den des falschen gram­matikalis­chen Geschlecht­es führt vielle­icht zum bewussten (?) Hin­weis darauf, dass hier doch einiges nicht stim­men kann. Und die «Wilde 13», stel­lvertre­tend für alle anderen des Teams, reagiert nicht, damit endlich jemand, beispiel­weise ich, auf das unglück­liche Schein­ver­hält­nis aufmerk­sam wird. Also: Ganz diskret, jeden Mor­gen eine böse, sub­til eingestreute Gesellschaft­skri­tik, und das mit­ten in ein­er weise zusam­mengestell­ten, geistre­ich und kom­pe­tent präsen­tierten Musik­sendung. Schein­harm­los – wie Cor­nelias oder Ange­likas Stimm­chen? Dop­pel­bödigkeit mit manip­uliert­er Poli­tis­chen Kor­rek­theit, die der «Wilden 13», in Vertre­tung des übri­gen Teams, wohl anste­ht: Cha­peau! Max Neuhaus hätte seine Freude daran.

ensuite, Sep­tem­ber 2009