Von Fabienne Naegeli — In der performativen Installation «Women and War» lässt sich Geschichte multiperspektivisch erleben.
Originalberichte von Kriegszeitzeuginnen hören und Interviewmaterial von Überlebenden, Soldatinnen und Friedensstifterinnen als Reenactment sehen, das bietet die theatrale Ausstellung «Women and War» von Network of Factual Art, kurz NOFA. Das 2011 von Simone Eisenring und Anna Eger gegründete Künstlernetzwerk zur Erforschung der Möglichkeiten von faktischer Kunst untersucht die unterschiedlichen Rollen und Identitäten von Frauen in un-/bewaffneten Kämpfen dieses und des letzten Jahrhunderts. Dabei wird das subjektive, private Erleben der einzelnen Frauen in historischen Krisensituationen jenseits von objektiver «Richtigkeit» in den Fokus gerückt. Anhand von wissenschaftlichen Recherchen vor Ort und in Archiven, sowie im kritischen Austausch mit ZeitzeugInnen und SpezialistInnen entstanden sechs Kriegsalltagsgeschichten, die in einer begehbaren Rauminstallation aus Zelten live und im Loop möglichst authentisch und detailgetreu reinszeniert oder als Audioinstallation oder Videoprojektion übermittelt werden. Die sechs Erzählungen werden zusammengehalten durch die Tatsache, dass die Erfahrungen und Erlebnisse aller zu Wort kommenden Frauen diese in den deutschsprachigen Raum hinein- oder aus ihm wegführt haben. Dadurch werden die Gewaltgeschichten an die Lebenswelt der AusstellungsbesucherInnen herangezogen. Fernes und Vergangenes erhalten plötzlich eine Präsenz.
Eine bosnische Frau, gespielt von einer Schauspielerin mit ähnlichem ethnischem Hintergrund, berichtet, wie sie ihren Mann und ihre Söhne in Srebrenica bei der Separierung von Familien verloren hat. Der grösste Teil der Frauen erlebt/e Krieg als Teil der Zivilbevölkerung. Drei junge Darstellerinnen aus dem heutigen Deutschland reenacten die Erfahrungen als Flüchtling in Berlin während dem 2. Weltkrieg. Dazu ist der Originalton der geführten Interviews zu hören, wodurch sich Vergangenheit und Gegenwart überlagern. Immer wieder werden Frauen Opfer körperlicher und sehr häufig sexueller Gewalt. Vergewaltigungen und Prostitution sind zu gängigen Begriffen des Kriegsvokabulars geworden. Frauen können militärische Auseinandersetzungen und Aktionen auf unterschiedliche Art auch unterstützen, beispielsweise in den Supporteinheiten der Armee wie eine ehemalige Bundeswehrärztin, die in Afghanistan im Einsatz war, oder als Mitarbeiterin bei einer Hilfsorganisation wie dem ICRC, oder indem sie als Widerstandskämpferinnen selbst zur Waffe greifen. Somit sind Frauen nicht nur Opfer, sondern – oft in ein und derselben Person – auch Täterinnen.
Die performative Ausstellung «Women and War» zeigt die Vielschichtigkeit und das breite Spektrum der weiblichen Perspektiven auf Kriege und bewaffnete, politische Konflikte sowie die diversen Rollenbilder, die Frauen in solchen Krisensituationen un-/freiwillig einnehmen. Durch das Nebeneinander der Erzählungen in einem Raum und die somit erzeugten Überblendungen der verschiedenen Stimmen entsteht ein polyphones Spannungsfeld zwischen den einzelnen Subjekten und den historischen Zusammenhängen. Die individuellen Kriegsbiografien widersprechen, bestätigen und ergänzen einander. Damit hinterfragen sie «historische Wahrheiten» und ermöglichen neue Sichtweisen auf Geschichtsschreibung.
Foto: zVg.
ensuite, März 2013