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Preisgekrönter Zschokke

Von Belin­da Meier - Matthias Zschokke hat im Rah­men des Bern­er Lit­er­atur­festes am Sam­stag um 14:00 h auf der Mün­ster­plat­tform in Bern aus seinem neuen und gross gefeierten Roman «Mau­rice mit Huhn» gele­sen. Trotz seines bemerkenswerten Schaf­fens und der Tat­sache, dass er zahlre­iche Ausze­ich­nun­gen und Preise erhal­ten hat, gilt er nach wie vor als «Geheimtip».

Der 1954 in Bern geborene Kün­stler lebt seit 1980 als Schrift­steller, The­at­er­autor und Filmemach­er in Berlin. Er ist ein Ururenkel des aus Magde­burg stam­menden Schweiz­er Autors Hein­rich Zschokke (1771–1848), der übri­gens — um es nur am Rande zu erwäh­nen — mit Lud­wig Wieland und Hein­rich von Kleist in einen Dichter­wettstre­it trat, aus dem schliesslich das berühmte Lust­spiel «Der zer­brochne Krug» Hein­rich von Kleists ent­standen ist. In den ver­gan­genen vierundzwanzig Jahren hat Matthias Zschokke acht Pros­abände, sieben The­ater­stücke und drei Filme vorgelegt. Trotz der Tat­sache, dass er in unzäh­li­gen Kri­tiken gerühmt wurde, blieb er bis anhin im Schat­ten des Ruhms ste­hen. Dies wiederum ist auch der Grund dafür, dass Zschokke noch kein gross­es Pub­likum für sich gewin­nen kon­nte. Den­noch erhielt er für sein Schaf­fen bere­its viele Preise. So bekam er beispiel­sweise für den 1982 erschiene­nen Roman «Max» den Robert-Walser-Preis.

«Max» erzählt vom gle­ich­nami­gen Pro­tag­o­nis­ten, der von einem Schweiz­er Bauern­hof in eine deutsche Grossstadt zieht. Max beschliesst deshalb, diesen Schritt zu wagen, weil er mit den Aus­prä­gun­gen der Schweiz­er Gesellschaft nicht länger klar kommt und darum vor ihr fliehen will. In Deutsch­land angekom­men, ver­sucht er, Schaus­piel­er zu wer­den. Doch seine Kar­riere geht auf­grund sein­er radikalen Ver­weigerung gegen die Kon­ven­tio­nen des Lebens bergab. So wird er zum Herum­stre­unen­den, der durch die Stadt zieht, über­all auf Kon­fronta­tion stösst und sich nir­gends eingliedern will, woran er let­ztlich — in Verbindung einiger erfol­glos­er Liebeleien — kläglich scheit­ert.

Zschokkes Fig­uren sind bekan­nt dafür, dass sie in der Gesellschaft, die sie umgibt, zu immer neuen Lebens- und Über­lebensstrate­gien her­aus­ge­fordert wer­den. Der Lit­er­atur-Brock­haus von 1995 beschreibt seinen Schreib­stil in einem zwar kurzen, dafür sehr präg­nan­ten Satz: «Auf witzig-iro­nis­che Weise stellt Zschokke die Gesellschaft in Frage, wobei er sämtliche Nor­men und for­male Gren­zen tra­di­tioneller Erzäh­llit­er­atur über­schre­it­et.»

Weit­ere Preise erhielt Zschokke u. a. für die The­ater­stücke «Die Alpha­beten» (Ger­hart-Haupt­mann-Preis 1992, Urauf­führung in Bern 1994), «Der reiche Fre­und» (Welti-Preis 1994, Urauf­führung Han­nover 1995) sowie die bei­den Filme «Edvige Scimitt» (Preis der deutschen Filmkri­tik 1986) und «Der wilde Mann» (Bern­er Film­preis 1989). Den Buch­preis des Kan­tons Bern erhielt er vier­mal (1985, 1991, 2002, 2006), wovon der zulet­zt erhal­tene seinem neusten Werk «Mau­rice mit Huhn» galt. Für densel­ben Roman erhielt er des Weit­eren den diesjähri­gen Solothurn­er Lit­er­atur­preis sowie den Schiller­preis der Schweiz­er Schiller­s­tiftung, der ihm am 21. Sep­tem­ber 2006 im Zürcher Lit­er­aturhaus ver­liehen wird.

«Mau­rice mit Huhn» erzählt vom mod­er­nen Leben mit­samt den ineinan­der ver­wor­re­nen und unüber­schaubaren Teilgeschicht­en. Mit mikroskopisch genauen Schilderun­gen führt uns Zschokke mit Mau­rice auf eine Reise durch das Alltägliche, welch­es voller Neben­säch­lichkeit­en und Belang-losigkeit­en steckt und sich immerzu der tech­nisch davon­rasenden Welt in den Weg stellt. Mau­rice nimmt uns mit in seine Stadt — Berlin. Er hört das Cel­lo von nebe­nan, fährt Fahrrad oder flaniert, während er in frag­men­tarisch­er Art und Weise Anschau­un­gen von der auf ihn ein­wirk­enden Welt entwick­elt. Es ist der genaue Blick des Pro­tag­o­nis­ten, seine Auf­fas­sungs- und Beobach­tungs­gabe, die das ins Blick­feld Genommene durch­drin­gen und dem Leser das all­ge­gen­wär­tige Verge­hen bewusst machen. Und den­noch, der Roman ist keine triste Abhand­lung über die Welt und deren Vergänglichkeit, son­dern führt den Leser in eine melan­cholisch ges­timmte Umge­bung, die ent­deckt wer­den will und dabei Intel­li­gentes für das Leben ver­sprüht.

 Sie haben am Bern­er Lit­er­atur­fest aus Ihrem neuen und mit vie­len Preisen aus­geze­ich­neten Buch «Mau­rice mit Huhn» gele­sen. Wie ist für Sie das Vor­lesen vor einem Pub­likum?

Es hängt stark von dessen Zusam­menset­zung ab. So beobachte ich, dass Lesun­gen in der Schweiz angenehmer aus­fall­en als in Deutsch­land. Wom­öglich deshalb, weil ich mit der Schweiz densel­ben Hin­ter­grund teile. Meine Art etwa, Romane zu schreiben, ist hier längst ver­traut und akzep­tiert, während ich beim deutschen Lesepub­likum eher noch Irri­ta­tion aus­löse. Irri­ta­tion vielle­icht deshalb, da meine Geschicht­en keinen starken Plot aufweisen, son­dern oft durch viele miteinan­der ver­net­zte Teilgeschicht­en geprägt sind, die in ihrer Aus­führung einen eige­nen Stil gener­ieren.

 «Mau­rice mit Huhn» erzählt vom mod­er­nen Leben und ihrer Schnel­llebigkeit. Was ver­an­lasst Sie dazu, darüber zu schreiben?

Ich will von dieser Zeit erzählen, in der wir uns befind­en. Wie wir heute leben und was wir denken ste­ht im Zen­trum. Dies soll deshalb einge­fan­gen und in ein­er passenden Form auf Papi­er gebracht wer­den. Mag sein, dass gewisse Leute denken, sie bräucht­en eine solche Lek­türe nicht, da sie ja schliesslich wüssten, wie es heute ist. Wird man das Buch aber viele Jahre später wieder öff­nen, so find­et man darin viele Ein­drücke ein­er früheren Lebensweise. Ger­ade weil es diese Gegen­stim­men gibt und sog­ar auch mein Ver­lag meinte, dass es schwierig sei, mit einem solchen The­ma das Pub­likum für sich zu gewin­nen, bin ich umso erstaunter, dass das Buch eine der­art grosse Aufmerk­samkeit erregt hat.

 Wie kamen Sie dazu, solche Geschicht­en zu schreiben?

Es hat mit mein­er Leseer­fahrung zu tun. In Anbe­tra­cht dessen, dass viele Büch­er schön kon­stru­ierte Geschicht­en präsen­tieren, reizt es mich umso mehr, etwas anderes auszupro­bieren. Das Schreiben über das Leben mit­samt den Neben­säch­lichkeit­en ist im Grunde lit­er­arisch fad. Genau das inter­essiert mich aber, denn let­ztlich sind es jene Alltäglichkeit­en, die unser Leben beherrschen. Da wir dieses ereignis­lose Dahin­leben alle ken­nen, erscheint es mir als eine Her­aus­forderung, es ins Zen­trum eines Romans zu rück­en. Auch betra­chte ich dieses Dahin­leben wed­er als Manko, noch sind wir deswe­gen trau­rige Men­schen. Die Tat­sache, dass wir oft­mals ein lang­weiliges Leben führen, lässt mich unweiger­lich danach fra­gen, wie dann dieses «Lang­weilige» ist — was wiederum faszinierend sein kann.

 Der Hand­lung­sort viel­er ihrer Büch­er ist Berlin, jen­er Stadt, in der Sie seit 26 Jahren leben. Wie wichtig ist die Stadt für Ihr Schaf­fen?

Im Grunde ist sie nicht bedeu­tend. Weshalb ich nach Berlin gezo­gen und dort geblieben bin, hat u. a. mit der Kostengün­stigkeit der Stadt zu tun. Die eigene Exis­tenz zu sich­ern, ist teuer und wird zunehmend ein Prob­lem in unser­er Zeit. Die Tat­sache, dass ich über Berlin schreibe, ist eine natür­liche Folge mein­er Leben­sum­stände, da die eige­nen Erfahrun­gen immer in irgen­dein­er Form Nieder­schlag im Arbeit­sprozess find­en.

 Berlin ist in Sachen The­ater­schaf­fen sehr avant­gardis­tisch und rich­tungsangebend. Hat diese Tat­sache Ein­fluss auf Ihre The­at­er­ar­beit?

Meine eher tra­di­tionelle The­ateridee, die dem Schaus­piel­er, sein­er verkör­perten Fig­ur und deren Psy­che sowie der sprach­lichen Umset­zung viel Bedeu­tung beimisst, wird in Berlin nicht weit­er­ver­fol­gt. Das sich ras­ant entwick­el­nde Berlin­er The­ater ist eine modis­che Angele­gen­heit. Lange Zeit war ich davon nicht beson­ders ange­tan, doch heute empfinde ich solche neuar­ti­gen Pro­duk­tio­nen äusserst unter­halt­sam. Auch beein­druck­en sie mich, weil sie durch die Verbindung ver­schieden­er Medi­en­tech­niken eine eigene Dynamik, Dra­maturgie sowie einen eige­nen Rhyth­mus und gar ein eigenes Pub­likum geschaf­fen haben. Schade ist jedoch, dass die Berlin­er The­ater­land­schaft keine klarere Lin­ie ver­fol­gt. Man zeigt zuwenig Inter­esse daran, das Schaf­fen eines Autors weit­erzu­ver­fol­gen, um diesen let­ztlich zu fördern. So kan­nte man mich früher in Berlin als The­at­er­autor, heute auf­grund der Schnel­llebigkeit des The­aters bere­its nicht mehr. Kaum ist man Autor des Jahres, gerät man unverzüglich wieder in die Vergessen­heit.

Weshalb nun mein Stück «L’invitation» aus­gerech­net in Genf uraufge­führt wird, kann ich beispiel­sweise nicht nachvol­lziehen. Welch­es Inter­esse beste­ht denn in Genf, etwas aufzuführen, worin über Berlin berichtet wird? Ist das nun Glob­al­isierung oder worum geht es eigentlich?

 Wie sehen Ihre weit­eren Pläne aus?

Ich habe im Sinn, einen weit­eren Film zu pro­duzieren, wobei die immensen Kosten dafür immer wieder ein Prob­lem für die Real­isierung darstellen. Ein heutiges Film­pro­jekt muss die Aus­sicht ver­sprechen, viel Geld einzubrin­gen, anson­sten ist die Chance, dass es über­haupt in Angriff genom­men wird, min­im. Mein Film­pro­jekt habe ich bei den entsprechen­den Gremien ein­gere­icht und warte nun auf deren Bescheid. Erst dann, wenn ich für die Durch­führung mit Kosten­beiträ­gen unter­stützt werde, kann dies­bezüglich weit­erge­plant wer­den.

Bild: zVg.
ensuite, Sep­tem­ber 2006

 

Artikel online veröffentlicht: 15. August 2017