Von Lukas Vogelsang — Es ist schon ein hartes Stück. Da werden die Medien erst durch wirtschaftliche Veränderungen gebeutelt, um anschliessend aus den eigenen Reihen, von ernst zu nehmender Instanz, gerügt zu werden. Das «Jahrbuch 2010 zur Qualität der Schweizer Medien» ist zwar erst jetzt erhältlich, doch hat es schon vor der Veröffentlichung hohe Wellen geschlagen. Anscheinend genügt es heute bereits, den Journalismus zu kritisieren, um ein ganzes Bataillon aus dem Tiefschlaf zu wecken. Als würden die auf nichts anderes warten.
Ganz vehement hat sich Peter Rothenbühler, und natürlich Thom Nagy von 20Minuten, zum Thema geäussert. Beide fühlen sich durch die Studie angegriffen – beide haben aber mit falschen Dementis ins Horn geblasen. Kurt Imhof ist Professor für Publizistikwissenschaft und Soziologie, leitet seit 1997 den «fög – Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft» des Instituts für Publizistikwissenschaft und Medienforschung und des Institutes für Soziologie der Universität Zürich. Er ist Mitherausgeber des Jahrbuchs «Qualität der Medien – Schweiz Suisse Svizzera». Er ist Stein des Anstosses und neues Feindbild der Journalisten-Zunft. Im Internet sind an vielen Orten zu seinen Forschungen ganze Romane an Kommentaren entstanden, und es lohnt sich, mal den einen oder anderen zu lesen. Wichtig ist zum Beispiel, dass Kurt Imhof die Qualität des Journalismus beanstandet und kritisiert – nicht das Leseverhalten, wie Rothenbühler ihm entgegenhält. Für Rothenbühler ist es ein wahnsinniger Erfolg, dass so viele Menschen jetzt wieder Zeitungen lesen. Egal ob sie dabei gescheiter werden oder nicht. Und Nagy muss natürlich die 20Minuten unbedingt verteidigen und loben, denn das ist sein Job. In einem Blog von Philippe Wampfler las ich den schönen Kommentar von «Bobby California», der meint: «Mir widerstrebt es aber einigermassen, jemanden als Journalisten zu bezeichnen, der für 20Minuten arbeitet. Ungefähr so, wie es mir widerstrebt, einen Hamburger-Brater als Koch zu bezeichnen.» Das ist also der Kampfschauplatz.
Aber es ist immer so: Wer die Qualität im Journalismus anprangert, wird gesteinigt. Dabei lesen wir JournalistInnen selber nicht mehr, angewidert, was unsere KollegInnen schreiben. Auch wir glauben unseren eigenen Worten nicht mehr. Die Qualität im Journalismus ist nun einfach das wichtigste Ziel in diesem Beruf, nicht die Menge der Buchstaben, die Auflage, oder wie bekannt wir als Autoren sind. Dabei sind es ja gerade die JournalistInnen, welche jegliches System wegen einem Haar in der Suppe in aller Öffentlichkeit zerreissen können.
Es ist doch nur zu beglückwünschen, wenn die Schweiz wieder ein paar Wächter der Journalistischen Ethik erhält. Wir brauchen nämlich solches Feedback in dieser Branche mehr denn je. Es ist doch eine Ehre, dass wir uns mit dieser Kritik täglich auseinandersetzen dürfen. Der Hamburger-Brater bleibt diesbezüglich stehen und hat keine Entwicklungsmöglichkeiten. Wir schon!
Sogar Res Strehle, Co-Chefredaktor vom Tagesanzeiger, meinte in seiner Meinungs-Kolumne: «Die Besorgnis der Forscher um den Zürcher Professor Kurt Imhof über den Zustand der Schweizer Medien ist verständlich, aber – vorderhand – unbegründet.» Die Leserschaft quittierte seinen Einwurf mit 76% Nein zu 24% Ja – das sollte, wenn auch nicht ganz repräsentativ, zu denken geben. Auch Strehle misst die Qualität im Journalismus an der Quantität, an Parteilosigkeit, oder an der Spassbilanz. Der Inhalt ist so ziemlich weit weg von der Kritik. Einzig Strehles Votum, dass das Jahrbuch animieren soll, die «Befürchtungen» der Forscher in der täglichen Arbeit zu widerlegen, kann als ehrliche Anerkennung für deren Arbeit an die Adresse der Stiftung «Öffentlichkeit und Gesellschaft» gelten. Er bestätigt damit das düstere Bild der Gegenwart.
Cartoon: www.fauser.ch
ensuite, September 2010