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«Que Serà?» — Ein Gespräch mit Dieter Fahrer

Von Mar­ta Nawroc­ka - Mit seinem Doku­men­tarfilm hat Dieter Fahrer ein The­ma in die Kinos gebracht, welch­es heutzu­tage lieber ver­schwiegen wird: das Altern und das Alter­sheim als let­zte Lebenssta­tion. Ein The­ma, das viele Fra­gen aufwirft und welch­es bei der Real­i­sa­tion von „Que Serà?“ viel Fin­ger­spitzenge­fühl forderte. In seinem Haus am Altenberg empf­ing mich Dieter Fahrer für ein Gespräch über Zeit, Tod und Gal­gen­hu­mor. (Filmkri­tik siehe Ensuite Nr.09/04)

Erwartest du, dass nach dem Film­start mehr Frei­willige in der Schönegg auf­tauchen wer­den?
Der Film ist kein Wer­be­film für Frei­willige. Es ist natür­lich alle­mal gut, wenn mehr Men­schen sich fra­gen „Kön­nte ich nicht auch ein biss­chen Zeit haben, um jemand zu besuchen und was kön­nte das mir vielle­icht brin­gen?“, also nicht nur das fast schon impe­ri­al­is­tis­che Gefühl „denen schenke ich jet­zt ein biss­chen Zeit“ son­dern sich selb­st diesen Raum gön­nen. Wenn der Film dazu beiträgt, ist es sich­er gut. Ich hoffe aber generell auch, dass der Film dazu führt, dass wir fra­gen stellen zu der heuti­gen und ver­gan­genen Sit­u­a­tion von alten Men­schen und was sich verän­dern kön­nte.

 Wie waren die Reak­tio­nen bei der Filmvor­führung in der Schönegg?
Am 2.April gab es dort zwei Vor­führun­gen, da waren wir mit dem Film ger­ade fer­tig gewor­den. Bei der ersten Vor­führung am Nach­mit­tag kamen vor allem die alten Leute und die Pfleger. Diese Vision­ierung war sehr berührend, vor allem die Reak­tion der­jeni­gen, die selb­st im Film vorkom­men. Danach habe ich mit vie­len von ihnen gesprochen, obwohl manche den Film schon wieder vergessen hat­ten. Das Vergessen ist etwas, was bei Men­schen in diesem Alter wichtig ist, es muss wohl sein, dass man ver­gisst. Es ist auch vielle­icht ein Geschenk. Uns macht das Angst, wir sind auf Erin­nerung getrimmt, aber vergessen kann bis zu einem gewis­sen Punkt auch eine Gnade sein.

War es von Anfang an klar, dass „Que Serà?“ im Stil des Direct Cin­e­ma gedreht wird, ohne Kom­men­tar oder Off-Stimme?
Ja, das war klar. Was von Anfang an nicht ganz klar war, ob vielle­icht die Stimme des Philosophen Hans Sah­n­ers, welch­er sich auch mit dem The­ma des Altwer­dens beschäftigt, durch das Mate­r­i­al begleit­en kön­nte. Doch schon beim Drehen war es eigentlich recht schnell klar, dass dieser Film sich von innen her­aus erzählt und keine Stimme von aussen nötig ist.

Zum Entste­hung­sprozess von „Que Serà?“: Wie ent­stand die Idee zum Film? Und wie lange hat es eigentlich gedauert, bis du das Ver­trauen der Bewohn­er gewon­nen hat­test?
Wenn ich ganz weit zurückschaue, dann war so ein Gefühl da, dass ich einen Film über Rast­losigkeit ein­er­seits und ander­er­seits über Men­schen, die viel Zeit haben, machen wollte. Diesem Gefühl ging ich dann nach und bin Wald­spiel­grup­pen besuchen gegan­gen. Dort habe ich dann von der Kindertagesstätte im Alter­sheim gehört, das hat mich sofort gepackt und ich nahm den Kon­takt zur Schönegg auf. Oft war ich dort zu Besuch, doch als Aussen­seit­er wurde ich zunächst nicht so richtig inte­gri­ert. So fing ich an, eine Weile lang als Pflegerhil­fe zu arbeit­en und habe mir auch für die Kinder Zeit genom­men. In dieser Zeit hat­te ich zunächst meinen Fotoap­pa­rat dabei. So gewöh­n­ten sich die Leute in der Schönegg an „den Mann mit der Kam­era“.

Gab es seit­ens der Ver­wandten und Eltern nie neg­a­tive Reak­tio­nen auf deine Filmvorhaben?
Das gab es über­haupt nicht. Das Ver­trauen ist auf allen Ebe­nen gewach­sen, man hat mir eine unglaubliche Offen­heit ent­ge­genge­bracht. Ich durfte auch in Pflege­berichte rein­schauen und an Sitzun­gen teil­nehmen. Auch bei den intim­sten Pflege­mo­menten und Ster­be­prozessen war ich anwe­send. Man hat mir ver­traut, dass ich im Zusam­men­hang mit dem filmis­chen End­pro­dukt mit diesen Sit­u­a­tio­nen umge­hen kann. Man will ja auch nicht alles fil­men, vor allem in der heuti­gen Zeit stellt sich die Frage, was man über­haupt zeigen will.

 Du hast eben den Ster­be­prozess erwäh­nt; bei einem Film über ein Alter­sheim ist dieser all­ge­gen­wär­tig. Hast du dir am Anfang der Drehar­beit­en eine Vorge­hensweise zurecht­gelegt, für den Fall dass jemand in der Schönegg dahin­schei­den sollte?
Es war mir von Anfang an klar, dass ich in dieser aller­let­zten Phase, wenn der Tod ein­tritt, bes­timmt keine Kam­era dabei­haben werde. Es war mir auch von Anfang an klar, dass diese Sit­u­a­tion ein Stück weit auch unplan­bar und unumgänglich ist, aber dies sind nicht unbe­d­ingt die trau­rig­sten Momente im Film. Der Tod ist nicht das, was den Zuschauer in diesem Film am meis­ten erschüt­tert. Für mich per­sön­lich waren andere Sit­u­a­tio­nen und Momente mit diesen Men­schen trau­riger. Das Warten, das Ver­loren­sein, die Taten­losigkeit. Und zu erleben, wie wenig es bräuchte, um das zu ver­hin­dern. Viele Men­schen in der Schönegg sagen selb­st, dass sie gerne ster­ben wür­den und den Tod nicht neg­a­tiv betra­cht­en, doch sie müssen warten. Und wenn dann der Tod kommt, so war er für die meis­ten Leute auch ein Geschenk.

Trotz des ern­sten The­mas ist „Que Serà?“ ein recht humor­voller Film, vor allem die schrof­fen Bemerkun­gen von Frau Suter liessen den Zuschauer schmun­zeln. Wie wichtig ist das Ele­ment Humor für „Que Serà?“?
Ich habe den Humor natür­lich auch gesucht in der Schönegg. Auch für mich selb­st, damit ich die ganze Sit­u­a­tion und das Erlebte ertra­gen kon­nte. Manch­mal ist es auch eine Art Gal­gen­hu­mor, den diese Men­schen zum Teil noch haben. Und trotz­dem ist er oft sehr wohltuend, hat etwas mit Wider­stand zu tun. Ger­ade die alte Frau Suter aus Basel, welche heute nicht mehr lebt, mit ihren oft etwas schrillen Bemerkun­gen. Sie hat zwar ihrer Demen­tis wegen nicht mehr alles begrif­f­en, doch gle­ichzeit­ig stellte sie mit ihren Sprüchen auch eine eige­nar­tige Wahrheit in den Raum. Solche Men­schen haben mich natür­lich fasziniert.

Ist der Film eine Anre­gung dazu, aus den heuti­gen famil­iären Struk­turen auszubrechen und sich auf die Ver­gan­gen­heit zurück­zubesin­nen, als die ganze Fam­i­lie unter einem Dach gewohnt hat, samt Gross­mut­ter?
Ich glaube nicht an das „Zurück zur Gross­fam­i­lie“. Es hat mich sehr berührt, was mit diese alten Men­schen von ihrem Leben und ihrem Aufwach­sen erzählt haben. Von diesem ganzen 20.Jahrhundert mit all seinen enor­men Verän­derun­gen. Auch wie beschei­den das Glück vor 50 Jahren noch war. Im Gegen­satz zu unseren heute stark indi­vidu­ell aus­gerichteten Wesen hat­ten sie damals ein viel stärk­eres Bedürf­nis nach Zusam­men­sein und Fam­i­lie. Umso tragis­ch­er also, dass sie im Alter nun so alleine sind. Aber ich glaube nicht, dass der Weg in die Ver­gan­gen­heit führt. Ich möchte die Gross­fam­i­lie nicht idyl­lisieren. (kurzes Schweigen) Ich habe keine Paten­lö­sung. Ich glaube, dass es wichtig ist, uns Zeit zu nehmen.

Bild: zVg.
ensuite, Okto­ber 2004

Artikel online veröffentlicht: 15. Juni 2017