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Rauchsignale von der Loggia

Von Thomas Kohler — Rauchen schadet der Gesund­heit. Keine Frage. Insofern ist zu begrüssen, dass die Gesund­heit­sämter der west­lichen Welt den Rauch­ern den Garaus gemacht haben – mit der Waffe der gesellschaftlichen Äch­tung. Oder jeden­falls beina­he: Es gibt noch ein kleines Häufchen Unbelehrbar­er, die nicht so Recht an die Unsterblichkeit der Nich­trauch­er glauben mögen.

Die Über­leben­den der Anti­raucherkam­pagne sind meist etwas son­der­bare Men­schen. Es sind Leute wie meine Nach­barin im Parterre unseres Mehrfam­i­lien-Miethaus­es. Oder wie ich. Unser Haus beste­ht aus Nich­trauch­er-Woh­nun­gen. Doch, so etwas gibt es neuerd­ings: Woh­nun­gen, die nur an Nich­trauch­er ver­mi­etet wer­den. Angesichts der enor­men Woh­nungsknap­pheit ver­sichert natür­lich jed­er­mann bere­itwillig und vorschnell was immer sein Ver­mi­eter hören will. Meine Nach­barin und ich hal­ten uns jedoch an unsere Zusagen und verzicht­en in unseren Woh­nun­gen aufs Rauchen. Aber Balkone oder Gärten sind in den Mietverträ­gen nicht als rauch­freie Zone definiert. Diesen Umstand machen sich ja auch Legio­nen von Grill­begeis­terten zu Nutze.

Meine Nach­barin raucht Zigaret­ten, die Ärm­ste. Das bedeutet, dass sie den in unseren Bre­it­en­graden fast ewig dauern­den Win­ter über regelmäs­sig in Man­tel und Schal gehüllt im Garten ste­ht und schlot­ternd einen Sargnagel ver­nichtet. Dabei nimmt sie bil­li­gend in Kauf, dass sie an schw­er­er Lun­genentzün­dung stirbt – lange bevor der Lun­genkrebs in der Lage ist, Metas­tasen zu bilden.

Ich gehe einen anderen Weg: Ich verzichte im Win­ter aufs Rauchen. Meine Zeit kommt im Juni. Sobald der Schneefall nach­lässt, erobere ich meine Log­gia zurück und stecke eine würzige Havan­na oder eine feine Zigarre aus den Hügeln der Dominikanis­chen Repub­lik in Brand. Ich rauche also höch­stens vier Monate pro Jahr. Und: Ich inhaliere nicht. Wer den Rauch ein­er Zigarre in seine Lunge saugt, kön­nte ger­ade so gut am Aus­puff eines Last­wa­gens «rauchen». Ewiges Leben wie den Nich­trauch­ern wird mir den­noch nicht vergön­nt sein. Ich kön­nte dur­chaus zum Beispiel an Darmkrebs ster­ben. Auch ein Ende in Folge von Hautkrebs ist nicht mit let­zter Sicher­heit auszuschliessen. Bed­ingt durch meine Rauchge­wohn­heit­en lebe ich häu­fig an der rel­a­tiv frischen Luft. Da ist Son­nenbe­strahlung nicht immer zu ver­mei­den.

Gedanken an mein vorzeit­iges Ableben lasse ich in mein­er Log­gia freilich nicht aufkom­men. Stattdessen konzen­triere ich mich auf die Aro­mastoffe, die im blauen Dun­st so ver­lock­end freige­set­zt sind. Fasziniert beobachte ich die Asche, die immer länger wird und in ele­gan­tem Hell­grau leuchtet. Die Asche sei die Ver­gan­gen­heit des Genuss­es, schrieb Zigar­ren-Guru Zino David­off einst in seinem Zigar­ren-Bre­vi­er. Der stramme Zigar­ren­rauch­er aus Genf, der immer­hin 88 Jahre alt wurde, hat­te dur­chaus Recht. Das Abbren­nen der edlen geroll­ten Blät­ter bietet einen ganz eige­nen Genuss. Ausser­dem fördert das Zigar­ren­rauchen das Medi­tieren: Wer eine Zigarre anzün­det, weiss, dass er oder sie sich rund eine Stunde Zeit fürs Rauchen nehmen muss. Nie­mand steckt sich eine fette Robus­to an, um sie fünf Minuten später acht­los auf einen Aschen­bech­er zu leg­en und in die näch­ste Sitzung zu het­zen. (Selb­st der kle­in­ste, dünnste Zigar­ril­lo bren­nt min­destens dop­pelt so lange wie eine Zigarette.) Zigar­ren­rauch­er wid­men sich also naturgemäss viel inten­siv­er ihrem Genuss. Die med­i­ta­tive Kom­po­nente dieser speziellen Art des Rauchens versinnbildlicht her­vor­ra­gend die tra­di­tionelle Schlussszene der US-Fernsehserie «Boston Legal». Da paf­fen die skur­ril denk­enden aber sehr tal­en­tierten Anwälte Den­ny Crane und Alan Shore auf dem Balkon ihres Büro­ge­bäudes jew­eils dicke Zigar­ren und sin­nieren dabei über das Leben im All­ge­meinen oder das US-Jus­tizsys­tem im Beson­deren.

Dass Zigar­ren­rauch­er häu­fig als arro­gant emp­fun­den wer­den ist nachvol­lziehbar. Schliesslich sind edle, gerollte Tabak­blät­ter alles andere als bil­lig. Allerd­ings wird auch ein stark­er Rauch­er nicht mehr als zwei, höch­stens drei Zigar­ren pro Tag paf­fen. Das rel­a­tiviert den hohen Preis ein wenig. Die Mähr von der Arro­ganz hängt im Fall der Zigar­ren­rauch­er aber wohl mit ein­er anderen Gat­tung von Neid zusam­men: Wer eine Zigarre raucht, sig­nal­isiert ganz unge­niert, dass er sich die benötigte Zeit dafür nehmen kann. In ein­er Arbeitswelt, in der die Hek­tik immer gröss­er und die Pausen immer kürz­er wer­den, wirkt dieser öffentlich zele­bri­erte Luxus fast zwangsläu­fig wie ein Affront.

Zino David­off emp­fahl seinen Kun­den, Zigar­ren nur in Innen­räu­men zu paf­fen. Nur so sei Ihnen der volle Genuss gewiss. In unser­er Zeit der rabi­at­en Raucherver­fol­gung ist das natür­lich defin­i­tiv ver­al­tet. Zum Glück gibt es in Bern aber nicht nur meine Log­gia, in der das Zigar­ren­rauchen ges­tat­tet ist. Sich­er, nicht jedes Café mit Balkon- oder Garten­bere­ich eignet sich zum Qual­men. Zigar­ren­rauch­er soll­ten aus ein­leuch­t­en­den Grün­den darauf verzicht­en, auf der Ter­rasse zu paf­fen die zur hüb­schen Cafe­te­ria des Insel­spi­tals gehört (fan­tastis­che Aus­sicht auf Bern und die Alpen). Und wer zum Beispiel im Cabrio eine Zigarre entzün­det hat auch nichts begrif­f­en. Der Rauch ver­wirbelt, bevor er seine Aromen entwick­eln kann. Ausser­dem raucht der Wind die Zigarre – nicht der Rauch­er, respek­tive die Raucherin.

Aber es gibt sie noch, die Oasen, die Rauch­ern Schutz bieten. In Bern zählt unter anderem das Restau­rant Pangäa dazu (Schwa­nen­gasse 8). Im Restau­rant selb­st ist Rauchen natür­lich ver­boten. Das wird wohl nie­man­den stören, denn Essen, während am Neben­tisch gequalmt wird, ist eine Qual. Im gepflegten Garten des Etab­lisse­ments hinge­gen ist Rauchen erlaubt. Der Chef des Haus­es bietet seinen Gästen gar an, eine Shisha, eine Wasserpfeife zu rauchen. So ruhen die Rauch­er in beque­men Ses­seln, bewun­dern den schö­nen Holz­bo­den der grossen Ter­rasse oder blinzeln in den som­mer­lich-beigen Stoff des Storens, der sie vor den Strahlen der Sonne schützt.

Eine nicht min­der gute Lösung bietet auch das Restau­rant Wart­saal im Lor­raine-Quarti­er (Lor­raines­trasse 15). Dort kön­nen Rauch­er unter einem Dach ohne Seit­en­wände Platz nehmen und in diesem Kathe­dralen-arti­gen Raum die Ringe des blauen Dun­stes beobacht­en. Wer sein­er Lei­den­schaft – oder Sucht – auch im Win­ter nicht abschwören mag, kommt auch auf seine Kosten. In Bern gibt es eine ganze Anzahl von Fumoirs. Eines der stil­voll­sten find­et sich ganz zen­tral neben dem Bahn­hof: Die Cig­ar Lounge des Hotels Schweiz­er­hof.

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2013