Von Denise Zerulla — Der Filmproduzent Arnaud Gantenbein im Gespräch über Kurzfilme, Fantasy und schwarzen Humor in Schweizer Filmen.
Arnaud Gantenbein (*1984) gehört zur jüngsten Generation der Filmproduzenten, und das nicht nur in der Schweiz. Gemeinsam mit Pascal Forney (*1983) gründete er 2005 die Produktionsfirma «imstu» («imaginastudio») mit Sitz in Lausanne. Ihre Kurzfilme «Lester» und « Le lac noir» sind international auf Festivals erfolgreich.
Das Besondere ihrer Filme ist, dass sie die gängigen Kurzfilmklischees überspringen und mit Arbeiten überraschen, die in höchst professioneller Weise auf sehr engem Raum sowohl Themen, als auch filmisches Können zeigen. Auffallen tun sie nicht zuletzt jedoch dadurch, dass Sie das Publikum von der ersten bis zur letzten Sekunde fesseln und begeistern.
Ich habe Arnaud in Lausanne, wo auch der Sitz der Produktionsfirma ist, zum Mittagessen getroffen.
Arnaud, wie bist Du zum Film gekommen?
Mit sechzehn habe ich beschlossen, Regisseur zu werden. Allerdings war mir damals schon klar, dass das kein einfacher Weg werden würde. Der Film hat mich immer interessiert. Jedoch wollte ich kein erfolgloser Künstler werden. Also habe ich zunächst auf eine gute Ausbildung gesetzt und meinen Abschluss auf der «Ecole Hôtelière de Lausanne» (EHL) gemacht. Auf dieser Grundlage konnte ich flexibel sein. Viele meiner Freunde arbeiten heute in anderen Bereichen, als in dem der Hotellerie. Ich habe mich auf Marketing spezialisiert und war als Brand Manager für LVMH tätig.
Und wie kam es dann, dass Du doch zum Film gewechselt hast?
Ich habe mit einem Freund gesprochen, der die «École cantonale d’art de Lausanne» besucht hat, und ihn später dann auf einem Dreh besucht. Das war relativ lustig, da ich mit Krawatte und Hemd im Wald erschienen bin, und mich alle sehr irritiert angeschaut haben. Immerhin waren wir im Wald und an einem Filmset!
Schon eure Ausbildung ist sehr unterschiedlich. Trotzdem habt ihr beschlossen, gemeinsam zu arbeiten. Wie kam das?
Pascal wollte mit seiner Abschlussarbeit an der Schule in Lausanne gerne etwas machen, was die Schule zunächst nicht unterstützte. Also war er auf der Suche nach einem Produzenten.
Wieso war das schwierig? Oder warum wollte die Schule seinen Film nicht produzieren?
Kunsthochschulen haben heutzutage oft eine völlig eigene Handschrift, die sie auch an ihre StudentInnen weitergeben. Ich glaube, wenn man mir verschiedene Abschlussarbeiten aus verschiedenen Schulen in der Schweiz zeigen würde, könnte ich immer sagen, woher sie kommen.
Manchmal passiert es dann aber, dass junge Menschen eigene Ideen umsetzen möchten. Und genau das war damals bei Pascal der Fall. «L’Improbable Odyssée» (2006) ist ein sehr guter Film geworden. Ich mag die Element des schwarzen Humors, die auch später immer wieder in den Filmen auftreten.
Was war das Besondere an dieser Produktion? Und wie war die Arbeit zwischen euch?
Wir sind beide sehr stark in die Prozesse des Anderen involviert. Das war schon zu Beginn so. Man wird sehen, wie die Zukunft aussieht. Mit dem Wachstum der Firma verschieben sich auch die Aufgabenfelder, so dass ich immer mehr in Kommunikation und Marketing eingebunden werde. Grundsätzlich beschäftige ich mich aber genauso mit der künstlerischen Seite, wie Pascal sich mit der der Produktion.
Entsprechen denn alle Filme die ihr produziert auch Deinem persönlichen Geschmack? Oder ist auch schon einmal etwas dabei wo Du sagst, dass es Dich nicht ganz so sehr interessiert?
Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir das nicht müssen. Ich persönlich kann keinen Film produzieren, den ich nicht verstehe. Manchmal geht mir das so, wenn ich auf Festivals bin. Zum Beispiel in Clermont-Ferrand. Die Arbeiten sind oft sehr künstlerisch und faszinierend. Jedoch bleiben mir manche auch fremd.
Das zweite Standbein eurer Firma ist seit 2010 die Arbeit im Bereich des hochwertigen Marketing. Ein Bereich, aus dem Du ja eigentlich kommst. Ich stelle es mir manchmal schwierig vor, auf der einen Seite im künstlerischen Bereich zu arbeiten, und auf der anderen künstlerisch wertvolle Kurzfilme zu produzieren. Ist das nicht ein Gegensatz?
Ja und nein. Natürlich ist das Thema anders. Allerdings bleiben die Produktionsprozesse gleich. Das heisst, dass im Bereich Technik und Umsetzung keine grossen Unterschiede existieren. Zudem bieten diese Filme aufgrund der kurzen Produktionszeit Möglichkeiten, die ein Kurzfilm, sogar ein Spielfilm niemals haben könnte. Wir arbeiten mit einem eingespielten Team zusammen. Am Ende brauchen wir für einen solchen Clip ca. einen Monat. Ein Kurzfilm benötigt ca. 1,5 Jahre. Ein Spielfilm ca. 3–4 Jahre.
Eure Kurzfilme sind völlig unterschiedlich. Verbindendes Element ist jedoch das Motiv der Fantastik, das überall mitschwingt. Was hat es damit auf sich?
Ja das stimmt, obwohl es uns eigentlich nicht nur darum geht. Es ist mehr Zufall. Pascals Filme sind eher lustig und voller Humor. Auch wenn es schwarzer Humor ist.
Mir persönlich hat «Lester» sehr gut gefallen, da er eigentlich sehr untypisch für einen Kurzfilm ist. Das liegt natürlich auch am Hauptdarsteller. Wie habt ihr es geschafft, Carlos Leal zu engagieren? Normalerweise findet man eher wenige Kurzfilme mit einer solch Prominenten Besetzung.
Wir haben ja auch einen Werbespot mit ihm produziert. Zudem habe ich festgestellt, dass eigentlich viele Schauspieler in Kurzfilmen mitarbeiten würden. Für sie ist es oft einfach, da die Drehzeit mit drei oder vier Tagen absehbar ist und es Spass macht. Gerade junge Produktionsteams profitieren sehr oft von der Erfahrung bekannter SchauspielerInnen. Nicht nur «Lester» hat eine prominente Besetzung.
Als wir mit der Produktion von Filmen anfingen, wussten wir eigentlich nicht viel. Umso günstiger war es dann natürlich, dass wir jemanden hatten, der zumindest auf dem Gebiet der Schauspielerei professionell war, während andere Bereiche noch nicht voll ausdifferenziert waren. Gleichzeitig führte unser Unwissen dann auch dazu, dass wir andere Möglichkeiten fanden als die bisher etablierten.
«Lester» ist ein sehr humoristischer Film. Und obwohl es um einen Vampir geht, fürchtet sich der Zuschauer höchstens ein paar Sekunden.
Bei «le lac noir» ist das anders. Hier ist ein wirklicher kurzer Horrorfilm entstanden, der mich persönlich besonders aufgrund seiner hohen Dichte und Komplexität beeindruckt hat. Man hat beim Betrachten fast nicht das Gefühl, dass es sich um einen Kurzfilm handelt. Im Gegenteil. Es passiert so viel, und die Effekte sind so professionell umgesetzt, die Requisiten so aufwändig, dass man eher erstaunt ist.
Ja, das Budget für diesen kleinen Film war mit 300’000 CHF relativ gross. Es gibt Spielfilme, die mit weniger auskommen müssen.
Und die Produktion an sich war sehr aufwändig. Wir haben in einem Tal gedreht, das wirklich furchteinflössend ist. Und manchmal hatten wir tatsächlich das Gefühl, dass dort der Teufel zugeht. Es ist ein Tal, bzw. ein Dorf, das durch einen Steinbruch zerstört wurde. Der Weg zum See führte über diverse riesige Steine, und es war ziemlich kompliziert, alles bis dorthin zu transportieren, wo es sein sollte.
Das klingt, als hätte es noch weitere Probleme gegeben.
Ja, es war schwierig. Schon die Organisation eines Generators in diesem abwegigen Gelände war nicht einfach. Als das Gerät dann endlich da war, fiel auf, dass man vergessen hatte, die Kabel mitzuschicken. Leider handelt es sich dabei jedoch nicht um x‑beliebige Kabel, die man einfach so kaufen kann. Sie haben einen Durchmesser von ca. 15 cm – und sie lagen in Lyon. Also mussten wir uns mit 10 kleinen Generatoren behelfen. Einer davon ging nicht. Am nächsten Tag, als ein Fachmann das Problem beheben sollte, drückte er einfach auf den Knopf und es funktionierte. Später dann gab es eine Szene, bei der der Teufel mitten im See sitzt und das Baby isst. Wir hatten den Dreh mit ca. 10 Minuten geplant. Unser Schauspieler sass bei 4 Grad Wassertemperatur auf seiner Plattform und durch die Maske konnte sich kaum bewegen, zudem war er aufgrund der Kontaktlinsen blind. Der ständig drehende Wind in Kombination mit dem Nebel machte es jedoch unmöglich, alles schnell abzuwickeln, so dass wir am Ende drei Stunden benötigten.
Was gefällt Dir besonders an diesem Film?
Es gibt keine typischen Schreckmomente, wie sie vielleicht in anderen Horrorfilmen üblich sind. Gleichzeitig wird von Beginn an eine Stimmung aufgebaut, die das selbe Ziel erreicht.
Eure Filme werden auf diversen internationalen Festivals mit grossem Erfolg gezeigt. Von Locarno bis nach Portugal und China ist alles dabei. Wir haben uns letztes Jahr beim «shnit» getroffen. Was denkst Du, wieso sind diese Kurzfilme im Gegensatz zu anderen so erfolgreich?
Das «shnit» ist ein schönes Festival. Die Filme, die dort gezeigt werden, treffen auch wirklich den Geschmack der Menschen, die sie sehen, was sehr viel Spass macht. Zudem ist die Kommunikation mit dem Festival an sich sehr positiv und nett. Was Locarno betrifft, so hätten wir eigentlich gar nicht gedacht, dass wir überhaupt eingeladen werden.
Ich denke, dass es ein paar grundsätzliche Fehler gibt, die man in der Produktion machen kann. So sollten alle Teile eines Filmes auch auf das abgestimmt sein, was man erreichen möchte. Das Ziel muss klar sein. Es bringt nichts, einen Film für Kinder zu produzieren, der mit einer Musik unterlegt ist, die eher ein 60jähriges Publikum anspricht.
Wie sieht die Zukunft für ein junges Produktionsteam aus der Schweiz aus?
Ich finde, dass die Schweiz ein hervorragender Ort ist, um erfolgreich Filme zu produzieren. Man ist nicht einer grossen Industrie verpflichtet, wie das beispielsweise in den USA der Fall ist. Dadurch hat man natürlich viel weniger finanziellen Druck und ist freier in der Umsetzung. Man kann einfach anfangen zu arbeiten. Zudem ist es hilfreich, dass die «Produktionsfamilie» in der Schweiz realtiv überschaubar ist, und man sich nach einiger Zeit kennt.
Wie sieht denn die Zukunft bei euch aus? Was gibt es für neue Projekte, von denen Du schon erzählen kannst?
Wir haben mehrere Projekte geplant, davon drei Spielfilme. Einer davon wird in Zusammenarbeit mit den bekannten Se-ma-for Studios in Polen entstehen. Einem sehr erfolgreichen Unternehmen, das sich auf Stop-Motion Filme spezialisiert hat und damit im Laufe ihrer Firmengeschichte zwei Oscars gewonnen hat. Den letzten 2008 mit «Peter und der Wolf». Dieser Kurzfilm ist einfach wunderbar. Wie er Musik und Figuren umsetzt ist fantastisch, und ich freue mich auf die gemeinsame Arbeit.
Zudem haben wir mit Olivier Barbeau einen neuen Mann im Boot bei imstu, der aus dem Bereich des Animationsfilms kommt und zu diesem Zweck einige Jahre im Bereich «visual effects» in Los Angeles gearbeitet hat.
Arnaud, eine letzte Frage: Wenn Du Deinen Traumfilm produzieren könntest, was würdest Du Dir aussuchen?
Die Scheibenwelt Romane von Terry Pratchett finde ich sehr spannend. Ich mag die Mischung aus Fantasy und Humor. Hier könnte ich mir vorstellen, sehr viele Dinge umzusetzen.
Das Interview erscheint in freier deutscher Übersetzung aus dem Französischen und Englischen.
Bild: Videostill aus «le lac noir» (2011)
ensuite, Mai 2012