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Rechnitz in der Josefstadt

Von Reg­u­la Stämpfli - Zwei Jahre wurde die grandiose Insze­nierung von Elfriede Jelineks „Rech­nitz ­– der Würgeen­gel“ im Josef­s­tadt-The­ater in Wien pan­demiebe­d­ingt ver­schoben. 2008 meinte Jelinek zum Stück, das die Ermor­dungs-Geschichte des „Lager Wald“ für Zwangsar­bei­t­ende erzählt: „Ein Schloss in Öster­re­ich. Jagdtrophäen an den Wän­den. Boten und Botin­nen kom­men von über­all her, zum Teil in des­o­later Abend­klei­dung, zum Teil als Fahrrad­kuriere gek­lei­det, sie laufen here­in, in immer kürz­eren Abstän­den, bis irgend­wann ein­mal der Raum gedrängt voll ist. (…) man kann das natür­lich, wie immer bei mir, auch vol­lkom­men anders machen.“

Es wurde alles anders gemacht. Zum Glück. Das Wiener Josef­s­tadt-The­ater rief die Frauen. Anna Bergmann, die Regis­seurin, Katha­ri­na Falt­ner, die Büh­nen­bild­ner­in, und die unhalt­bar famose Best-Schaus­pielerin Sona Mac Don­ald macht­en aus dem Würgeen­gel von Jelinek Zeit­geschichte. Zwei Stun­den unun­ter­brochen im Kugelschloss, Mörder schießen, bald zu Ermor­dende schaufeln riesige Gräben. Sprache, Lieder, Insze­nierung, die unheim­liche Präsenz der Gräfin und der die Toten besin­gen­den Sona Mac­Don­ald brin­gen die Zuschauen­den an den Rand ein­er unvergesslichen und boden­losen Erschüt­terung. Ein ewiges Mit­ge­fühl, das sich bei mir in halt­los­es Schreien hätte, seine Bahn brechen wollen, doch aus Grün­den der gesellschaftlichen Nor­mal­ität in ein, hin­ter der Maske stilles, aber noch über Stun­den anhal­tendes Schluchzen, mün­den musste.

Die Geschichte ist wahrlich furcht­bar. 1945 wer­den in Rech­nitz Men­schen zwecks Unter­hal­tung der Nazi­par­ty-Gäste wie gejagt und erschossen. Es gibt jeman­den, der erzählt. Die Botin, die bru­tal gute Elfriede Schüs­seled­er, ver­weigert sich aber jeglich­er moralis­ch­er Hal­tung, sie ist „unzuständig in Moral­fra­gen“ und recht eigentlich zum Kotzen. Sie ist die neue Sorte Men­sch, die alles kom­men­tiert, sel­ber aber durch nichts lädiert wird. Sie erledigt im Hand­stre­ich über 200 Jahre Aufk­lärung. Allein Sona Mac­Don­alds zauber­hafte Stimme tröstet mit dem Geis­ter­rez­i­ta­tiv aus Der Freis­chütz.

Die Täter sind die ewigen Mit­mach­er, deren böse Geis­ter über­all präsent bleiben – Untote, wie sie durch alle Jelinek-Texte spuken. Täter, die mir erst kür­zlich in ein­er Vor­standssitzung wieder begeg­net sind: Diese kläglichen Männlein und dieses Weiblein, das nicht sel­ber denkt, son­dern der Macht wie die Kul­tur der Suppe fol­gt. Doch die Toten geben eben keine Ruh, die Jelinek, die hört mit ihren Suaden nicht auf und dies ist auch richtig so.

Die MörderIn­nen von Rech­nitz wur­den nie bestraft. Das Wis­sen darum macht sprach­los; deshalb braucht es diese tosend stille Sprech- und Singpräsenz von Sona Mac­Don­ald. In der Nähe des Rech­nitzer „Kreuzs­tadls“ wur­den in den März­ta­gen 1945, kurz vor dem Ein­marsch der Russen, über 200 jüdis­che Zwangsar­beit­er, men­schliche Sklavin­nen und Sklaven gezwun­gen, eine fürchter­lich tiefe Gruppe auszuheben. Die lokalen NS-Bonzen feierten bei der Gräfin Margrit Batthyány, und sie erschossen über 180 der jüdis­chen Men­schen in ein­er Art Treib­jagd, das Loch wurde zugeschar­rt, die Gräfin entkam in die Schweiz, wo sie fürstlich weit­er­lebte. Eine Thyssen, die Unternehmensfam­i­lie, die sich von allen Nazi­gräueltat­en weißge­waschen hat – der Brud­er stiftete in Madrid eine unglaubliche Kun­st­samm­lung, man ist schließlich kul­tiviert, Sascha Batthyány „Und was hat das alles mit mir zu tun?“ der Großn­effe, der die Geschichte recher­chiert. Er macht dies, weil Max­im Biller nach­fragt. Doch trotz aller Recherchen: Die Ermorde­ten bleiben unauffind­bar. Im The­ater Josef­s­tadt gräbt Sona Mac­Don­ald die Steine aus und singt zum Schluss ein Kad­disch, das das Herz zer­reißt.

Weshalb nur gibt es der­ar­tige Insze­nierun­gen von ges­tande­nen Frauen – Sona Mac­Don­ald ist knapp 60 Jahre alt und wie alle Göt­tin­nen ohne Alter – wieso nur wird es der­ar­tige Auf­führun­gen in der Schweiz nie geben? Oder gar in München, wo der Nazis­cheiss immer arisch pom­pös von den Linken gerne in Sado-Maso-Kostüme ver­packt, ero­tisiert wird? Richtig. Weil Wien trotz allem noch vom jüdis­ches Erbe und von jüdis­che Men­schen beseelt wird, weil es in Wien noch die Min­dest­form von Anstand gibt während in Zürich und München die Bere­icherung an vorder­ster Stelle ste­ht, grad in der Kul­tur und hier sage ich nur „Bührle & Kun­sthaus“. München und Zürich sind Geld- und revan­chis­tis­che Män­ner­stät­ten, die links und rechts alles bepin­seln, das nach Macht aussieht. Sona Mac­Don­ald ver­ließ nicht ohne Grund ihr festes Engage­ment in München: Denn atmen kann kein Men­sch in dieser kul­tur­los­es­ten aller kon­tur­losen deutschen Städte des 21. Jahrhun­derts.

Die Kri­tiken zur Frauenin­sze­nierung von Rech­nitz waren durch­wegs erschüt­ternd gut. Nur die Kro­nen­zeitung scherte aus. Sie titelte gedanken- und pietät­s­los: „Jagdzeit anno 1945“ – furcht­bar. Es sei dieser Insze­nierung eine Europa­tournee und sämtliche Preise der The­ater­welt zu wün­schen. Denn es gelingt etwas, das enorm sel­ten ist: Keine The­aterbe­sucherin ver­lässt den Raum so wie sie ihn betreten hat.

Zu Sona Mac­Don­ald Pod­casts nachzuhören auf www.artisapieceofcake.art

Bildle­gende: Sona Mac­Don­ald in Rech­nitz — der Würgeen­gel, fotografiert von Moritz Schell, The­ater Josef­s­tadt, Presse­bild.

Artikel online veröffentlicht: 29. Januar 2022