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«Reduktion muss man anstreben.»

Von Tobias Graden — Züri West geben mit «Home­Reko­rds» Ein­blick in ihre Schaf­fensweise. Ein Gespräch mit Kuno Lauen­er und Küse Fehlmann über das Frag­ment, das Dasein als Sexsym­bol und die Altersmilde, von der auch Gilles Yapi prof­i­tiert.

Demover­sio­nen, Tüfteleien, Songs, die von der Tis­ch­plat­te gefall­en sind – für wen ist «Home­reko­rds» gedacht?

Kuno Lauen­er: Ein­er­seits für uns sel­ber, aber natür­lich auch für Leute, für die ein solch­es Album einen Mehrw­ert darstellt, wenn sie sehen, wie unsere Songs entste­hen, warum wir manche auf ein Album nehmen und andere nicht. Und dann gibt es sich­er Leute, die’s ein­fach als Songsamm­lung hören.

Es hat doku­men­tarischen Charak­ter.

Lauen­er: Einen gewis­sen. Aber wir woll­ten nicht den grossen Bogen schla­gen, son­st hät­ten wir bis 1984 zurück­ge­hen müssen. Wir woll­ten eine Scheibe machen, die man durch­hören kann. Die Songs waren die Chefs.
Küse Fehlmann: Es sollte nicht his­torisch kom­plett sein, aber einen Blick hin­ter die Kulis­sen ermöglichen.

Lässt sich «Home­reko­rds» auch als Antwort auf die Erwartung­shal­tung deuten, die der Insti­tu­tion Züri West ent­ge­genge­bracht wird?

Fehlmann: Ich denke nicht. Wir hat­ten schlicht nicht genug Mate­r­i­al für eine neue Plat­te. Let­ztes Jahr sind wir 25-jährig gewor­den, haben uns Gedanken gemacht, wie wir dieses Jubiläum feiern kön­nten, doch dann war das Jahr auch schon wieder vor­bei. Dann kam Kuno beim Zügeln die Idee, man kön­nte eine Scheibe machen mit diesem Mate­r­i­al.

Ein­fach so, weil’s cool ist? Es ist doch auch ein State­ment zu sagen: Die Leute erwarten eine neue Scheibe, und wir brin­gen jet­zt mal alte unfer­tige Songs.

Lauen­er: Wir sind schon gelassen­er gewor­den. Vor 15 Jahren hät­ten wir ein solch­es Album noch nicht gemacht. Heutzu­tage erscheinen so viele Hochglanzpro­duk­tio­nen, wir dage­gen woll­ten zeigen: Unsere Sachen sind handgemacht.

Nach welchen Kri­te­rien habt Ihr die Songs aus­gewählt? Es gäbe sich­er noch Dutzende wei-tere.

Lauen­er: Es gibt von jedem Song im Voraus Demover­sio­nen, aber oft sind diese sehr ähn­lich wie die endgültige. Wir haben uns darum auf Mate­r­i­al geeinigt, das gar nie erschienen ist oder ziem­lich anders tönt als auf dem Album.

Habt Ihr deswe­gen auch ehe­ma­lige Band­mit­glieder befragt? Die kön­nten ja unter Umstän­den nicht ein­ver­standen sein, dass im Nach­hinein etwas veröf­fentlicht wird.

Fehlmann: Selb­stver­ständlich, das geschah in Absprache. Man hat ja eine gemein­same Geschichte.

Lauen­er: Oli Kuster zum Beispiel hat­te grosse Freude, dass nun sein «Güg­gu» noch veröf­fent-licht wird. Diesen Song haben wir damals schwe-ren Herzens ver­ab­schiedet, aber er hätte nicht auf das melan­cholis­che «Alo­ha from Züri West» gepasst.

Wie merkt man, ob ein Song auf ein reg­uläres Album passt oder nicht? «Liebi niene meh» hätte sich naht­los ins Album «Haubi Songs» einge­fügt.

Lauen­er: Ger­ade darum. Es war ein­er der let­zten Songs, der dazu ent­standen ist, wir hat­ten zuerst gar das Gefühl, er kön­nte die Sin­gle wer­den. Als wir den Bogen des Albums betra­chtet haben, fan­den wir aber: Jetz nid dä o no.

Fehlmann: Er war dann ein­fach zu viel. Die Bal­ance hätte nicht mehr ges­timmt, es wäre zu viel Melan­cholie gewe­sen.

Fällt ein solch­er Entscheid leicht?

Lauen­er: Über­haupt nicht. Küse, der die Musik geschrieben hat, war natür­lich ent­täuscht, genau­so wie ich ent­täuscht bin, wenn ein Text von mir nicht gebraucht wird. Aber ein Album entste­ht nun mal so.

Es gäbe ja den Ausweg, solche Songs dafür an Konz­erten zu spie­len.

Lauen­er: Das haben wir am Anfang so gemacht. Aber eigentlich spie­len wir schon länger nur noch die Songs, die auf Alben waren.

Gab es auch geschäftliche Über­legun­gen für dieses Album?

Lauen­er: Wieso meinst Du?

Man kön­nte Geld gebraucht haben …

Lauen­er: Nein, im Gegen­teil – es ist wohl recht mutig, dieses Album zu veröf­fentlichen. Wir wis­sen ja nicht, wer es über­haupt kaufen wird. Und wir haben vier Monate daran gear­beit­et, wir haben es uns nicht ein­fach gemacht, woll­ten zeigen, dass es uns am Herzen liegt. Und soll­ten wir Geld daran ver­di­enen, ist das «suberi Büez», an den Songs haben wir ja mal gear­beit­et.

Fehlmann: Eine Plat­te machen, das ist immer ein Risiko. Man investiert Kraft, Zeit …

Lauen­er: … den Ruf …

Fehlmann: … und ob man daran ver­di­ent, weist sich erst im Nach­hinein.

Lauen­er: Die Kon­ti­nu­ität zeigt sich erst im Rück­blick. Ohne zu koket­tieren – wir haben vor jedem Album wieder Zweifel.

Ihr seid ja zunehmend Risiken einge­gan­gen in den let­zten Jahren.

Lauen­er: Schon, aber wir haben ein­fach gemacht, was wir woll­ten. Vor «Haubi Songs» haben wir uns grosse Sor­gen gemacht, weil wir dacht­en, das Pub­likum will von uns nach wie vor die härteren, schnelleren Stücke.

«Home­Reko­rds» wurde bis­lang äusserst wohlwol­lend aufgenom­men, obwohl qua­si nichts Neues dabei ist. Dage­gen gab es zu «Radio zum Glück» die Kri­tik, Züri West hät­ten nichts Neues mehr zu sagen, obwohl es das Album nach dem Ban­dum­bau war. Wie erk­lärt Ihr Euch das?

Lauen­er: Das war hart. Wir merk­ten natür­lich sel­ber, dass wir noch nicht an dem Punkt waren, an dem wir sein woll­ten, mit drei neuen Leuten in der Band. Die Radikalität, mit der uns manche Leute abgeschrieben haben, hat mich erstaunt, das war kränk­end.

Und nun nimmt man ein «Zwis­chenal­bum» begeis­tert auf. Ist das ein Zeichen für den Sta­tus, den Züri West mit­tler­weile hat?

Fehlmann: Es zeigt wohl auch, dass mit­tler­weile sehr viel Schrott pro­duziert wird, Glattge­bügeltes, Rund­pro­duziertes. Es gibt wohl eine gewisse Sehn­sucht nach dem Unper­fek­ten.

Lauen­er: Vielle­icht merkt man eben erst nach dem drit­ten Album in neuer Beset­zung, dass die Band den­noch Bestand hat … Aber wir haben oft gelit­ten unter der Kri­tik. Mit der Zeit gibt uns dies aber auch das Ver­trauen in uns sel­ber.

Ist der kün­st­lerische Prozess denn schwieriger gewor­den in der aktuellen Beset­zung, ver­glichen mit früher, als Züri West eine gewach­sene Band war?

Fehlmann: Er ist anders. Wir haben anders Songs gemacht. Wir waren auch viel jünger, es wäre ja komisch, wenn wir noch so funk­tion­ierten wie vor 25 Jahren Man ste­ht an einem anderen Ort im Leben, hat andere Rhyth­men, hat Kinder. Früher waren wir stun­den­lang im Ban­draum, haben gejammt, gesof­fen und gek­ifft. Das geht heute nicht mehr, man muss die Zeit effizien­ter nutzen.

Ist es eher zur Arbeit gewor­den?

Lauen­er: Ja, das gilt aber für das kreative Schaf­fen über­haupt. Ich bin nicht ständig mit der Muse am Schmusen. Wenn ich einen Text schreibe, set­ze ich mich um 9 Uhr mor­gens hin und arbeite daran. Und wir gehen als Band pro­jek­t­be­zo­gen­er vor. Wir haben nun sehr viel­seit­ige, ver­sierte Musik­er, die Songs stilis­tisch authen­tis­ch­er dar­brin­gen kön­nen. Das hat die Weise, wie Songs entste­hen, verän­dert.

A pro­pos Sta­tus: Als ich auf der Redak­tion gesagt habe, ich mache ein Inter­view mit Kuno Lauen­er, hat sofort eine Kol­le­gin gesagt, sie würde gerne das Auf­nah­megerät hal­ten kom­men.

Lauen­er (lacht ver­legen): Super.

Du wehrst Dich gegen das Image als Sexsym­bol. Warum eigentlich? Das muss Dir doch schme­icheln.

Lauen­er: Das tut es natür­lich, aber wenn ich darüber befragt werde, ist dies meist eine pein­liche Sit­u­a­tion. «Sexsym­bol» … Ich weiss ja gar nicht, ob das was mit vögeln zu tun hat oder mit Pro­jek­tio­nen … Aber klar, es ist schme­ichel­haft für mich als het­ero­sex­uellen Mann, zu merken, dass mich die Frauen noch cool find­en. Man kann schlechtere Images haben. Mehr weiss ich dazu nicht zu sagen, darum weiche ich aus.

Du wirst näch­stes Jahr 50. Ist das ein schwieriges Datum?

Lauen­er: Nein. Es ist, wie es ist.

Keine Angst vor dem Alter?

Lauen­er: Doch, auch Angst vor dem Ster­ben, manch­mal. Aber das ist ja hof­fentlich noch nicht so nah.

Auf «Home­Reko­rds» find­et sich auch das Stück «Chi­nas­ki», dieser ist der Inbe­griff des «angry old man». Ihr dage­gen werdet eher milder mit dem Alter.

Fehlmann: Wart’s ab, so weit sind wir noch nicht! (lacht)

Lauen­er: Chi­nas­ki, also Bukows­ki, ist ja eher der «dirty old man», auch wenn er immer laut herumkra­keelt. Aber dazwis­chen find­et sich die Poe­sie. Er war ein stark­er Geschicht­en­erzäh­ler.

Züri West lieferte in Bern den Sound­track zur 80er-Bewe­gung. Ist es denkbar, dass die Band mal wieder gegen etwas ans­ingt? Abge­se­hen vom pointierten «Radio zum Glück» bewegt Ihr Euch in der Inner­lichkeit.

Lauen­er: «Sch­pin­nele okay» auf «Haubi Songs» hat klar Stel­lung bezo­gen gegen Frem­den­feindlichkeit. Aber ich habe mich immer schw­er­ge­tan mit poli­tis­chen Songs. Es gibt nur Wenige, die wirk­lich gute poli­tis­che Songs schreiben kön­nen. Aber das heisst nicht, dass wir unpoli­tisch sind. Und unsere eigene Befind­lichkeit zählt ja vielle­icht für andere Leute auch.

Wie werdet Ihr reagieren, wenn dere­inst der Begriff «Alter­swerk» fall­en sollte?

Fehlmann: Das kommt drauf an, wie alt wir zu diesem Zeit­punkt sein wer­den … Vielle­icht sagen wir, er kommt zu früh, vielle­icht find­en wir ihn nicht schlecht.

Lauen­er: Ist der Begriff denn pos­i­tiv oder neg­a­tiv?

Ver­mut­lich ambiva­lent. Er tönt ein biss­chen nach «das hät­ten wir ihnen nicht mehr zuge-traut».

Lauen­er: All diese Etiket­ten … Wir haben über eine lange Zeitspanne unter dem gle­ichen Namen ver­schiedene Rich­tun­gen ver­fol­gt. Vielle­icht war «Haubi Songs» der Anfang zum Alter­swerk.

Nach «Haubi Songs» fol­gen nun Skizzen, Bruch­stücke. Erk­lärt Ihr das Frag­ment zur spez­i­fis­chen Aus­drucks­form von Züri West?

Lauen­er: Ich habe das Frag­men­tarische immer gern, wenn die Essenz klein bleibt. Das passt aber nicht für alle Songs.

Fehlmann: Reduk­tion muss man anstreben. Das haben wir lange nicht begrif­f­en.

Lauen­er: Manch­mal sind es diese blö­den demokratis­chen … (über­legt) Man macht manch-mal zu viele Kom­pro­misse. Manch­mal aber auch zu Recht.

Was ist denn vom näch­sten reg­ulären Album zu erwarten?

Lauen­er: Wir sind erst am Arbeit­en, haben ein paar Demos, ich habe ein paar Zettel mit Tex­ten. Wie das tönen wird, lässt sich noch nicht sagen. Nach «Alo­ha» woll­ten wir etwas Schmis­sigeres machen, doch dann wurde es noch schw­er­er. Ich wage keine Prog­nose.

Zum Schluss die oblig­ate Frage zu YB. Find­et Ihr nicht, man sollte «Hüt hei si wider mau gwunne» im Meis­ter­schaft­send­spurt nicht mehr abspie­len? Genau genom­men erzählt der Song ja vom Scheit­ern.

Lauen­er: Er wird ja nur gespielt, wenn YB gewon­nen hat. Wenn es nicht mehr darum geht, ob ein Match gut oder schlecht war. Wenn’s drei Punk­te gibt, kommt der Song, das finde ich okay.

Es ist doch auch der Song fürs alte Wankdorf­s­ta­dion.

Lauen­er: Er ist ein völ­liger Anachro­nis­mus, schon nur mit dem lan­gen Intro. Er ist das Gegen­teil ein­er Fuss­ball­hymne. Wir freuen uns immer, wenn er gespielt wird.

Schafft es YB noch?

Lauen­er: Keine Ahnung. Ich hoffe es.

Mit Gilles Yapi wart Ihr gnädig. Er bekommt im CD-Book­let auch ein «bon voy­age».

Lauen­er: Yapi ist schon ok. Wenn er ein Ange­bot von Real Madrid erhal­ten hätte, wäre er ohne­hin gegan­gen.

Dann wären ihm die Fans auch nicht böse gewe­sen.

Lauen­er: Was will man ihm böse sein? Man kann doch nicht von einem Afrikan­er, der via Frankre­ich hier lan­det, um Fuss­ball zu spie­len, ver­lan­gen, es schlage auf ewig ein YB-Herz in sein­er Brust, wenn er aus Basel ein viel besseres Ange­bot erhält und er näher bei seinem Schätzeli ist, das nicht in der Schweiz wohnen darf.

Eben, die Altersmilde.

Lauen­er: Ja. Vielle­icht bin ich ein altersmilder, sich nicht mehr fes­tle­gen­der … Weiss­nicht­was.

 


Züri West — Home­Reko­rds

«Home­Reko­rds» begin­nt mit ein­er Skizze: «Was Tribt De Die Gäng Dür Die Nächt» ist eine mehrspurige Momen­tauf­nahme eines Songs, der nir­gends hin führt und abrupt endet. Es ist das per­fek­te Intro für dieses Album, das laut Band aus «unveröf­fentlicht­en Songs, schmis­si­gen Demos, uner­hörten Ver­sio­nen und hal­ben Hits von mor­gen» beste­ht. Diese sind zwar alle­samt nachträglich noch mehr oder weniger bear­beit­et wor­den, aber in dur­chaus höchst unter­schiedlichen Entwick­lungssta­di­en verewigt: Das Rumpel­stilz-Cov­er «Rote Wi» ist nicht mehr als ein hinge­wor­fenes Küchen­lied, während das wun­der­bar trau­rig-schöne «Liebi Niene Meh» in Stu­dio­qual­ität dem unauswe­ich­lichen Selek­tion­sprozess für das let­zte Album «Haubi Songs» zum Opfer gefall­en war.

Spätestens hier ist man Züri West um diese «Home­Reko­rds» dankbar. Zwar find­en sich unter diesen 16 Stück­en auch verzicht­bare, doch hat die Band auch Schätze gebor­gen, die zu schade für die ewige Versenkung sind und selb­st in deut­lich unfer­tiger Ver­sion unge­mein berühren («Mir Si Die Letschte Mön­sche Uf Dr Wäut»). Ger­ade das Unper­fek­te ist eben manch­mal am stim­mig­sten. (tg)

 

Foto: Annette Boutel­li­er, Bern
ensuite, Mai 2010