Von Frank E.P. Dievernich — Lexikon der erklärungsbedürftigen Alltagsphänomene (XV): Würde man innerhalb der Unternehmen auf die Suche nach dem am Meisten verwendeten Wort gehen, so wäre in der Spitzengruppe der Nennungen sicher das Wort Wandel, Veränderung oder «change» zu finden. Wer glaubt, dass trotz dieses thematischen Schwerpunktes auch eine entsprechende Kompetenz innerhalb der Unternehmen zu finden sei, der irrt zumeist gewaltig. In Abhängigkeit der jeweiligen Literaturquelle wird nämlich mittlerweile bescheinigt, dass zwischen 50 und 70 % der Veränderungsvorhaben scheitern (siehe z.B. Blanchard/Britt 2010: Wer hat Mr. Change gekillt?). Woran man dieses Scheitern nun genau festmachen kann, sei an dieser Stelle kritisch hinterfragt, denn in jedem Fall dürfte ein Veränderungsvorhaben zu etwas führen und die Organisation auch verändern. Liegt dies aber nicht im Fokus des zuvor definierten Ziels, so wird sehr leicht das Prädikat «gescheitert» vergeben. Ohne näher darauf eingehen zu wollen, tun wir mal so unreflektiert und nehmen diese Zahlen als objektiv gegeben. Wie ist dieses Scheitern also zu erklären, wenn doch die Unternehmen seit Jahren nichts mehr anderes tun, als sich zu verändern? Wie ist zu erklären, dass Horden von Führungskräften in Fragen eines Change-Managements geschult werden? Wie ist zu erklären, dass Veränderungsvorhaben in den Mitarbeiter- und Zielvereinbarungsgesprächen verankert werden, so dass kein Mitarbeitender sich dem eigentlich mehr entziehen kann? Die Erklärung, die wir an dieser Stelle spekulativ und vorsichtig einführen, bezieht sich auf die Vermutung, dass drei grundlegende Dinge, von denen alle meinen, sie seien zweifelsfrei klar, nicht geklärt sind. Die erste Unklarheit besteht darin, nicht zu wissen, was Wandel ist, bzw. wie dieser funktioniert. Die zweite Unklarheit manifestiert sich in dem Sachverhalt, dass nicht klar ist, was denn die Organisation ist, die da verändert werden soll – und genau an dieser Stelle geht die Schnittstelle zwischen Wandel und dem zu Wandelnden verloren, da der Wandel an einer veränderten Organisation festgemacht wird. Die dritte Unklarheit und Vermutung bezieht sich auf das Individuum, dem man unterstellt, es könne sich in jede Richtung verändern, die man ihm vorgibt – und er oder sie ist Kern/Anstoss des Wandels. Schliesslich: Wer weiss denn schon, was das Individuum ist und wie es funktioniert? Zu diesen drei grundlegenden Unklarheiten gesellt sich noch etwas Viertes hinzu, quasi unser Joker, das ebenfalls schwammig ist, und dennoch eine Lösung der oben aufgeführten Fragen darstellen könnte: die Resonanz zwischen all dem, zwischen Wandel, Organisation und Individuum. Greifen wir vor: Ein geglückter Wandel stellt sich für uns ein, wenn sich auf Seiten der Beteiligten das Gefühl einstellt, dass die Dinge, so wie sie sich präsentieren, gut sind und die Organisation dadurch weiter erfolgreich operieren kann. Das Ergebnis kann dann durchaus neben dem ursprünglichen Plan liegen, den es eigentlich zu erfüllen galt. Wie resoniert also der Plan zur Veränderung mit der bestehenden Organisation sowie mit den Menschen, die diese Veränderung betreiben müssen? Dass das Thema der Resonanz bereits eher unbewusst im Alltagsgeschehen der Organisationen verankert ist, sieht man bspw. daran, wenn Führungskräfte aus Mitarbeiterversammlungen, auf denen sie gravierende Veränderungspläne präsentieren müssen, in ihr Büro zurückkehren und die Sekretärin fragt, wie denn die Resonanz der Mitarbeitenden darauf war. Auf Resonanz als Instrument der Unternehmensführung bewusst zu bauen funktioniert nur, wenn man davon ausgeht, dass jedes System eine Eigenlogik und –dynamik besitzt und diese ihm auch zugestanden wird. Diese speist sich wiederum aus der eigenen Historie und dem Kontext. An dieser Stelle trauen wir uns mal, «den Sack ganz weit aufzumachen», da wir unter Historie mehr verstehen, als nur jene Meilensteine, die in Hochglanzbroschüren präsentiert werden. Historie ist auch mehr, als jene Artefakte unterschiedlicher Epochen, die betrachtet werden können (Gebäude, Maschinenparks, Hierarchien etc.). Historie ist all das, was jemals geschehen ist und für unser Auge im Moment der Gegenwart erkennbar und nicht erkennbar ist. All das beeinflusst das aktuelle Geschehen. Lediglich die Einflüsse vergangener Ereignisse variieren in ihrer Beeinflussungsstärke – im unbewussten Raum jedoch ist alles potentiell vorhanden. Quantenphysiker und jene, die diese rezipieren, wie z.B. Pim van Lommel in seinem Werk «Endloses Bewusstsein», sprechen hier von einem nicht-lokalen Raum. Erstes Fazit: Alles, was da war und ist, wirkt. Dem kann nicht entkommen werden! Schauen wir uns nun die Rolle des Individuums an. Dieses ist mit einem Radio oder TV zu vergleichen, welches im Stande ist, die Frequenzen seiner Historie aber auch die der Organisation und deren gesamten Mitarbeitenden zu empfangen – mal lauter, mal leiser. So gesehen ist das Individuum Medium und ein in der Gegenwart verkörperter, manifester Punkt einer Historie. Es empfängt die Frequenzen des nicht-lokalen Feldes und speist durch Gedanken und Handlungen neue Bewusstseinselemente in dieses ein. Es wird gelenkt und entscheidet dennoch selbst. Gelenkt sein und selbst entscheiden fallen zusammen, und die Antwort, was zuerst da war und auf das jeweils andere wirkt, kommt der unentscheidbaren Frage nach der Henne und dem Ei gleich. Nehmen wir an dieser Stelle wieder den Faden des überwiegend gescheiterten Wandels auf. Wie wäre dieser nun zu erklären, wenn wir es hier mit historisch wirkenden Bewusstseinsfeldern zu tun haben? Die meisten grossen Veränderungsvorhaben werden quasi von aussen in die Organisation getragen. Shareholder erwarten mehr Effizienz und einen besseren Aktienkurs, die bestellten Manager, die dafür Sorge tragen sollen und in nicht wenigen Fällen von extern kommen, haben genauso wie die grossen Beratungsgesellschaften Rezepte an der Hand, die aus anderen historischen Bewusstseinsfeldern stammen, als jene optionalen Lösungen, die aus der Organisation selbst kommen könnten. Und die Mitarbeiter selbst, die über das Bewusstsein mit sich, ihrer eigenen Historie und derjenigen der Organisation verbunden sind, sperren sich aus vielen Gründen gegen Veränderungen, die nicht mit dem resonieren, was sie umgibt. Geschildertes bedeutet nicht, dass Veränderungen nicht mehr möglich sind, sondern verweist nur darauf, dass der Blick in Bezug auf die Antriebsrichtung geschärft gehört. Es gehört austariert, in welche Richtung sich eine Veränderung «passend» anfühlt und in welche Richtung eher nicht. Es gehört verstanden, einen Blick in den Resonanzraum des Unternehmens und zwischen Organisation und Individuen auszubilden und zu werfen. So gesehen können Organisationen weniger als rationale, strukturelle Gebilde angesehen werden, als vielmehr als Bewusstseinsräume, genauso wie die Individuen, die selbst über einen solchen Verfügen und sich in diesem qua Ortung der Frequenzen aufhalten und hinein intervenieren. Die Entscheidung des freien Willens eines Individuums, will man diese heilige Kuh nicht schlachten, besteht dann darin, die Frequenzen zu orten und sich für die am besten Resonierende zu entscheiden. Unternehmen der Zukunft sind dann erfolgreich, wenn sie sagen können, dass sie über eine gute Resonanz verfügen – das bezieht sich auf ihre Mitarbeiter, auf Kunden, Mitbewerber und überhaupt die ganze Gesellschaft, die wohl umgeben ist vom grössten Bewusstseinsraum der denkbar ist, und der täglich weiter aufgeladen wird.
*bewirtschaftet vom Fachbereich Wirtschaft der Berner Fachhochschule, www.wirtschaft.bfh.ch, Kontakt: Frank.Dievernich@bfh.ch sowie www.dievernich.com
Foto: zVg.
ensuite, April 2012