Von Ruth Kofmel — Eine Prise Landstreicher, ein Stückchen Seemann und einen guten Schluck Gentleman – daraus muss ein Mann gemacht sein – jedenfalls wenn er solche Lieder fertigbringen will wie Delaney Davidson, der mit seinem neuen Album «Self Decapitation» allerlei Leute begeistert.
An diesem Mittagmorgen sieht er noch etwas lädiert aus, ist aber schon beim Teekochen knietief im Beantworten ungestellter Fragen: Nämlich, warum er noch nicht berühmt ist. Delaney Davidson ist sich einfach nicht sicher, ob er überhaupt wirklich erfolgreich sein möchte. Er erklärt das ungefähr so: Ruhm verändert die Person; am Anfang kommen die Zuhörer und wollen von dem Musiker etwas bekommen, was in ihren Augen nur er besonders gut kann. Geht dieser Prozess ins Unendliche weiter, wird die Masse, die einem gegenübersteht immer mächtiger, und irgendeinmal richtet sich der Musiker nach dem, was er vermutet, was die Leute von ihm hören wollen und die sind dann enttäuscht – das kennen sie ja schon. Ein Freund habe einmal treffend festgestellt, dass er wohl erst erfolgreich sein wolle, wenn er tot sei. Er sieht darin tatsächlich einige Vorteile; man lasse dann einfach diesen Körper aus Musik zurück und irgendjemand entdecke den eines Tages und schicke diesen raus in die Welt.
Auf Delaney Davidson trifft ein fürchterliches Wort zu: Er ist authentisch. Irgendwie passt bei ihm alles zusammen – seine Art zu denken, zu sprechen, sich zu kleiden und seine Musik. Es ist eine sehr konsequente Lebensweise, der er da nachgeht. Guckt man beispielsweise seinen Tourplan für die nächsten Monate an, bleibt nur die Frage, ist das noch normal? Er findet nein, das sei es wohl nicht, aber er liebe das Reisen, das Unterwegssein und es sei ihm auch ganz und gar eine Notwendigkeit. Ob er eine ruhelose Seele sei? Ja, und er habe auch dieses «restless legs syndrom», wenn er sehr müde ist, fangen seine Beine an rumzuzappeln – unkontrolliert, das sei sehr unangenehm. Welche bessere Art, als dem mit ständiger Bewegung zu begegnen? Ausserdem mag er die Momente dazwischen; kurz bevor man an einem neuen Ort ankommt, der Moment nach dem Verabschieden einer geliebten Person, bevor sie um die nächste Hausecke verschwindet. Und es sei ein gutes Training, sich einen komplizierten Plan zusammenzustiefeln und den dann abzuarbeiten. Es lehre einem, wenig bei sich zu haben, lehre einem in persönlichen Beziehung, mehr auf das Gegenüber einzugehen. Wenn man wisse, dass einem nur ein paar wenige Stunden zur Verfügung stehen, seien die doch besonders wertvoll. Dagegen gibt es nichts einzuwenden, aber es ist trotzdem erstaunlich, ein solches Leben. Und die Musik, die daraus resultiert, ist es auch. Sie einordnen zu wollen, ist mehr als schwierig, jedenfalls spielen die Lieder auf «Self Decapitation» in einer Klasse für sich.
Das Schreiben der Songs sei ein sich Wegträumen und weil er davon ausgehe, dass alle Mensch grundsätzlich gleich sind, stimme das, was er dort für sich finde, dann wohl auch für alle anderen. Die Melancholie und Nostalgie seien ganz typisch für ihn. Er glaubt, dass das auch mit dem Reisen zu tun hat – sich ständig zu verabschieden, Dinge hinter sich zu lassen. Aber noch viel genauer trifft es der Begriff Sehnsucht. Eigentlich sei es dieses Gefühl, das er einzufangen versuche. Eine Sucht eben, und plötzlich wird klar, warum er so lebt: Delaney Davidson ist ein grosser Sehnsuchts-Generator, und weil viele von uns dieses bitter-süsse Gefühl nur zu gut kennen und auch lieben, sind seine Lieder für uns Sehnsüchtigen die Medizin, die wir brauchen.
Delaney Davidson versteht die Musik als ein dreiteiliges Wesen, bestehend aus dem Schreiben und Komponieren, Einspielen im Studio und dem Spielen vor Publikum. Alle drei Teile brauchen andere Herangehensweisen und Fähigkeiten und alle drei Teile bedingen sich gegenseitig. Etwas, was er rückblickend gerne in seinem Reisegepäck dabei hätte, ist ein Studium der Komposition. Kurt Weill beispielsweise beeindruckt ihn oder die italienischen Filmkomponisten. Einerseits seien diese unglaublich frei und kreativ in ihrem Schaffen gewesen, aber das tiefe Verständnis für Musik, ermöglichte ihnen wahrscheinlich diese Freiheit erst. Delaney Davidson fühlt sich manchmal durch die fehlenden Fertigkeiten eingeschränkt, lässt sich aber davon nicht abhalten, seine Visionen umzusetzen. So hat er beispielsweise lange mit dem Klarinettisten Lemmi Schwartz zusammengearbeitet und diesem seine Ideen immer wieder vorgesungen und erklärt, bis die Umsetzung stimmte. Auch auf diesem Album bekam er durch einen Freund, die Chance, einen lange gehegten Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen. Dieser bot ihm in Berlin an, mit einer Truppe Bläser zusammenzuarbeiten. Und obwohl er diese Parts weder aufschreiben noch selber spielen konnte, gelang es ihm, den Bläsern seine gesuchten Klänge zu entlocken.
Delaney Davidson hat eine zurückhaltende Art, die Begeisterung drückt sich nicht in grossen Gesten oder weitschweifigen Reden aus, sondern in den kleinen Feuerwerken, die in seinen Augen zünden. Und so ist auch sein Bühnenauftritt ein lakonischer, wenig überdreht, wie es heute so in Mode ist, dafür eine Menge Absurdes und trocken Humoriges. Sein Ghost Orchestra rumpelt, eiert und lärmt, er singt, mal sanft einschläfernd, mal anklagend, mal rau und roh. Das hat etwas hypnotisches, man schweift ab – getragen von den Geschichten um Mord und Totschlag, Tagträumereien, Abschied, der meist unglücklichen, unerfüllten Liebe. Er lässt das Ghost Orchestra einen Walzer spielen, ruft einen Tanzwettbewerb aus, bei dem nicht gesprochen aber unbedingt geküsst werden soll und macht sich dann auf Tour durch das kleine Lokal, um die Tänzer genauer unter die Lupe zu nehmen.
Delaney Davidson schafft mit seiner Musik Parallel-Welten, die Musik ist nicht vom Hier und Jetzt, die Textzeilen bleiben oft rätselhaft, und auch die Cover-Songs changieren bei ihm in ganz neuen Farben und Stimmungen. Ich will das wieder hören – wieder und wieder.
Delaney Davidson: «Self Decapitation»
www.Voodoorhythm.com
Foto: zVg.
ensuite, Mai 2010