Von Guy Huracek — Marco Rima verrät auf dem Dach des Warenhauses Loeb, was ihm an der Stadt Bern gefällt, und weshalb Zürcher oft unfreundlich sind. Eine Momentaufnahme von einem Komiker, der einst durch die Aufnahmeprüfung einer Schauspielschule flog und heute froh ist darüber.
«Ich finde das ganz speziell. Bern aus einer anderen Sicht», meint Marco Rima. Sein Blick schweift über die Dächer der Hauptstadt. «Wenn man aus einer Kleinstadt wie Zug stammt, dann ist Bern eine Metropole», sagt der Comedian.
Das Kulturmagazin ensuite trifft den Kabarettisten und Komiker Marco Rima auf dem Loeb-Dach in Bern. Es ist ein warmer und windiger Donnerstagnachmittag, Rima schlendert langsam zum Rand des Daches und späht hinunter. Unter dem Baldachin steigen zahlreiche Schüler aus dem Tram. Ein älteres Ehepaar hievt einen grossen, braunen Koffer die Treppe hinunter, und einige Meter weiter vorne, gleich neben der Heiliggeistkriche, sprechen Mitglieder einer Hilfsorganisation verschiedene Passanten an. «Alles schön gemächlich, Eines nach dem Anderen», sagt Rima dazu. Dies unterstreiche den Charakter von Bern. Bernerinnen und Berner seien im positiven Sinn gelassen, ganz nach dem Motto: «Numme nid Jufle». Darin zeige sich eine grosse Lebensqualität, und deshalb auch sei Bern die Hauptstadt, zeigt sich der Komiker überzeugt. Doch wie ist Zürich? «Es ist eine grosse, pulsierende Stadt, die daher leider oft auch sehr unfreundlich ist», antwortet Rima. Wenn der Comedian in Bern Geschäfte besucht, vor allem jene in Richtung Bärengraben, dann werde er herzlich empfangen. Er fügt an: «Man hat noch Zeit für einen Schwatz.» Als Zuger sei das «Grosse Bern» für ihn noch übersichtlich und irgendwie intim.
Auf die Frage, welche Stadt ihm besser gefalle, antwortet Rima: «Zürich hat eine unglaubliche Lebensqualität, weil die Stadt einen See hat.» Kulturelle Möglichkeiten würden beide Städte bieten. Der Comedian würde sich jedoch für die Hauptstadt entscheiden: «Nur schon allein wegen YB und SCB», erklärt er. Ein weiterer Grund, Bern zu wählen, seien die vielen Bars und Restaurants in den Kellern der Altstadt. «Das hat etwas Geheimnisvolles», sagt er und reibt sich die Hände. Rima scheint von der Stadt Bern angetan zu sein. Als er durchs Warenhaus Loeb gegangen sei um aufs Dach zu gelangen, sei ihm der Gedanke gekommen, in Bern einen Film zu drehen. «Irgend Etwas mit Polizisten», sagt er.
Doch bevor Rima seine Filmidee in der Hauptstadt umsetzen wird, sollte er noch etwas tun, was für viele Bernerinnen und Berner unverzichtbar wäre: In der Aare schwimmen. Der Komiker war zuletzt während der Rekrutenschule in Thun – er war Panzergrenadier — in der Aare. Aber er hat versprochen, im Sommer ins Marzili zu gehen.
Bis im Dezember singt Marco Rima im Musical «Die Patienten», und tourt durch die ganze Schweiz. Mit dem Stück setzt sich Rima stark auseinander – abgesehen davon, dass er sich vor kurzem erkältet hat, und so nicht nur im Musical zum Patienten wurde. «Das Stück thematisiert das Verrücktsein», sagt Rima, und hält fest: «Verrückt sein hat etwas Schönes.» Denn es bedeutet, dass man etwas verrückt, also etwas bewegt, erklärt er. «Oder auch: sich verirren. Das hat den Vorteil, dass man auf seinen Irrwegen vielleicht etwas ganz neues entdeckt.»
Der Comedian ist davon überzeugt, dass solche Irrwege für das Leben ganz wichtig sind: Eine psychiatrische Anstalt sei nichts anderes als das grosse Vorzimmer der grösseren Klapsmühle, die die Welt sei. Ein grosses Irrenhaus mit Verwirrungen und Irrungen.
War es letztlich auch ein Irrweg, der den ehemaligen Lehrer Marco Rima in die Welt von Theater, Cabaret und Film führte?
Marco Rimas Leidenschaft für das Cabaret wurde durch ein einziges Lied entfacht. Der damals 9‑jährige Marco legte eine Platte seiner Eltern auf, und hörte: «Oh Morgerot, oh Morgerot, de Fritzli schlaat siis Büsi z tot.» Im ersten Moment war er über das Stück vom Cabaret Rotstift entsetzt. «Ich war ein unglaublicher Tierfreund», sagt der Comedian. Seine Mutter hätte ihn beruhigen müssen, und als in einer weiteren Strophe der Fritzli den Lehrer totschlug, musste Marco lachen. «Ich hörte die Platte so oft, bis ich sie auswendig konnte», erzählt Rima. Er habe das Lied seinen Verwandten vorgesungen und später auch in der Schule. «Ich begann zu spüren, dass ich die Leute gerne zum Lachen bringe», sagt er.
Sechs Jahre später musste Marco in der Schule den «Erlkönig» aufsagen, eine Ballade von Goethe. Doch er bat seinen Lehrer um einen Gefallen: «Ich wollte unbedingt meine eigene Interpretation vortragen», sagt Rima, klatscht lachend in die Hände. Mit 15 Jahren trug Marco erstmal seine eigene Version des Erlkönigs vor, und brachte mit der eigentlich tragischen Geschichte um ein sterbendes Kind die ganze Klasse mitsamt dem Lehrer zum Lachen. «Ich bekam eine 6», fügt er an.
Für den damals jungendlichen Rima war der Fall nun klar: «Ich wollte Schauspieler werden». Trotz seinem späteren Erfolg fiel Marco durch die Aufnahmeprüfung einer Schauspielschule. Damals war er verärgert, aber heute sagt er: «Ich bin sehr froh, dass ich abgelehnt wurde.» Der Comedian empfinde eine Ablehnung oft als etwas Positives, «denn ich glaube, dass dann eine andere Chance wartet.»
Plötzlich läuten die Glocken der HeiliggeistKirche: Es ist fünf Uhr. Das Geläute scheint auf dem Loeb-Dach heller und lauter zu klingen als auf der Strasse. Es wird allmählich ungemütlich, die Abendsonne erhitzt das Kupferdach. Wir entschliessen uns, unser Gespräch in der Stadt weiter zu führen.
Während wir unter den Lauben flanieren drehen sich zahlreiche Passanten um, schauen Rima nach, einige rufen gar nach ihm. Ist es anstrengend, schweizweit bekannt zu sein? Der Komiker nimmt es gelassen: «Ich fasse es als Kompliment auf, wenn Leute mich sehen und lachen. Es wäre ja schlimm, wenn sie schreiend vor mir wegrennen würden.» Vor Jahren bekam Rima von seinem Vater einen guten Ratschlag: Er solle sich während einem Interview oder auf der Strasse geben, wie er sei. Denn das sei das, was die Leute interessiere. Nicht der Komiker, sondern der Mensch hinter der Maske. Doch kann man in der Öffentlichkeit sich selber sein? Ein Clown schminkt sich doch gerade deshalb, weil er seine Persönlichkeit nicht in den Vordergrund stellen will. Rima schüttelt den Kopf: «Nein. Schauspielerei läuft grundsätzlich immer über die Wahrheit ab. Und Wahrheit bedeutet wiederum, dass man bei sich selber sein muss.» Auf der Bühne sei er eine Figur, die einen Teil seiner Persönlichkeit zum Ausdruck bringe. Rima hält fest: «Ich habe nie das Gefühl, dass ich mich verstellen muss. Wenn ich das Gefühl habe, etwas tun zu müssen, dann mache ich es.» Ein «solches Gefühl» lebte er beispielsweise in der Rekrutenschule aus. Offiziere aus Israel waren gerade zu Besuch, und der Panzergrenadier Rima musste mit den anderen Rekruten stramm stehen. Doch: «Ich hatte einfach das Gefühl, dass ich mein Gewehr fallen lassen muss», sagt der Comedian, und er habe so das ganze Bataillon zum Lachen gebracht. «Ausser den Kommandanten» ergänzt er.
Einige Minuten später sitzt Marco Rima mit uns im Progr. Die Bar in einer einstigen Turnhalle – lediglich ein Paar Turnringe und Kletterstangen erinnern noch an den Sportunterricht – bringt den Komiker zum Lachen. «Speis und Irak. Ich dachte da steht Irak», sagt Rima lachend und schüttelt den Kopf. Die Aufschrift «Speis und Trank» an der Aussenbar litt derart unter der Witterung, dass das «T» aussieht wie ein «I».
Während Rima einen Capuccino trinkt spricht er unter anderem über sein Reiseziel Lateinamerika, oder er zeigt uns Bilder seiner Kinder auf dem iPhone, und fragt uns über unsere Hobbys aus. Kurz nachdem die Strassenlampen eingeschaltet werden, klatscht Rima in die Hände, lächelt verlegen und sagt: «Bitte seid mir nicht Böse, aber ich muss nach Hause.»
Fotos: George Eberle / www.georgeberle.ch und Kapuly Dietrich / www.kapuly.com
ensuite, Oktober 2010