Von Lukas Vogelsang - Weltweit ist er bekannt geworden durch seine bezaubernde Naturkunst, die für uns meistens nur auf Fotos in seinen Büchern zu bewundern ist. Allein in Deutschland sind seine Bücher die meistverkauften Kunstbände der letzten Jahre und haben ihn — vielmehr als seine Ausstellungen — zu einem Star der internationalen Kunstszene gemacht. Trotzdem ist Goldsworthy das Gegenteil von einem populistischen Künstleregozentriker und irgendwie so schlicht, dass man in der Auseinandersetzung mit ihm, sich selber als Mensch erkennt.
Geboren wurde er 1956 in Cheshire, England und er verbrachte seine Kindheit in Yorkshire. Nach ausgiebigen Studien an verschiedenen Universitäten (1974 ‑1978) zog er 1985 mit seiner Familie nach Schottland, wo sie bis heute leben.
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Bekannte Objekte sind seine Steinkegel und Steinbogen, Blätter, die zu einer Schlange zusammengesteckt eine unkontrollierte Flussreise unternehmen oder Äste, die zu einem Dom zusammengefügt wurden.
Seit Ende der 70er Jahre arbeitet Andy Goldsworthy in dieser Form mit der Natur. In seinen Arbeiten spielt Zeit eine wesentliche Rolle. Es ist der natürliche Rhythmus, den er immer wieder neu entdecken, sich auf ihn einlassen muss und der seine Arbeitsweise dementsprechend diktiert. „…Ich mag diese Spannung. Und es besteht die Gefahr, dass es erst zur Hälfte steht, wenn die Flut kommt. Das ist wie ein Symbol für die Zeit, die mir immer auf den Fersen ist.“ (Zitat aus Rivers and Tides)
Die Zeit ist es auch, welche seine Objekte für uns meist unsichtbar macht: Eine Staubwolke, aus roten Pigmenten, die Goldsworthy aus einem Stein, aus dem Fluss, wo er gerade „Man ist angesichts seiner filigranen Skulpturen geneigt, das heute so nutzlos gewordene Wort „weise“ zu wählen (…) arbeitet, kreiert hat, ist so vergänglich, dass wir nie wirklich dabei sein können. Die Momente werden auf Fotos festgehalten oder sind teilweise vorbei, bevor ein Mensch überhaupt reagieren kann. Um zu verstehen, wo hier die Kunst liegt und in welcher Form, muss man selber sehr still werden.
Die Überzeugungskraft in der Arbeit von Goldsworthy liegt in der begreifbaren und bewegenden Tiefenwirkung seiner Objekte. Bewusst kitschige, esoterisch oder spirituelle Absichten sind durch die streng formale Fokussierung ausgeschlossen. Es ist erstaunlich, wie er Landschaften nie instrumentalisiert, sondern zusammenfügt, ordnet, rekonstruiert oder einfach stehen lässt. Er lernt durch die Natur, durch die Berührung des Materials, entwickelt geduldig ein Verständnis dafür und lässt entstehen, bis es gelingt. Bei all seinen Arbeiten ist der organische Prozess spürbar und zieht die unmittelbare Umgebung wie auch den Betrachter mit hinein.
„Die Leichtigkeit, mit der die Menschen manchmal meine Kunst einordnen, hat mich stets mit Unbehagen erfüllt. Ich erinnere mich an eine Bemerkung, die ich zufällig vor einem Vortrag, den ich halten sollte, aufschnappte. Ein Zuhörer versuchte einem anderen meine Arbeit zu erklären, indem er ihm sagte, dass ich nur natürliche Materialien und keine Werkzeuge benutze. Meine Entscheidung für die so genannten „natürlichen Materialien“ wird oft als Ablehnung alles „Künstlichen“ fehlgedeutet. Ich brauche die Nahrung und Klarheit, die das Arbeiten in der Landschaft mit meinen Händen vermittelt, aber ich habe auch schon leichte und schwere Maschinen eingesetzt und empfinde es nicht als Widerspruch, wenn ich mich der fotografischen Technik bediene. Zu behaupten, ich könnte ohne solche Hilfsmittel auskommen, obwohl ich sie brauche, wäre so, als würde ich vorgeben, nach Amerika schwimmen zu können.“ (aus „Zeit“ von Andy Goldsworthy) Thomas Riedelsheimer konnte als erster Filmemacher den Künstler begleiten und über einen längeren Zeitraum die Arbeit und die Entstehungsprozesse filmtechnisch dokumentieren.
Entstanden ist der Film „Rivers and tides“, welcher uns Goldsworthys Gedanken, das Unvorhersehbare, das Überraschende, das permanente Risiko, sein nie vergebliches Scheitern, den Neubeginn, seine Geduld und sein leidenschaftlicher Wille, zu verstehen gibt.
Riedelsheimer nähert sich Goldsworthy im Film behutsam, mit einer stillen und subtilen Berührung, ohne einen Mythos zu kreieren. Da keine Arbeit für die Kamera wiederholt wurde, Goldsworthy seine Ideen und Entdeckungen zum Teil bedingungslos erklärt, wird der Zuschauer selber zu einem Teil eines Arbeitsprozesses und verändert sich mit der Zeit. Der tiefe Einblick, welcher uns hier geboten wird, ist einmalig und unvergesslich. Unsere Selbstverständlichkeit gegenüber der Natur wird durch die einfache, fast naive Art gebrochen, in Frage gestellt, erweitert und in einen neuen Zusammenhang geführt.
Die Kunst im Film entsteht durch die Kombination von Goldsworthys Arbeit und dem Filmteam, welche sichin der gleichen Zeit gefunden haben. „Rivers and tides“ erlebte seine Uraufführung auf dem Forum der Berlinale 2001 und wurde mit dem deutschen Kamerapreis für Thomas Riedelsheimer ausgezeichnet. Wir dürfen auf die weitere Zusammenarbeit zwischen Riedelsheimer und Goldsworthy gespannt sein.
Bild: Andy Goldsworthy „ZEIT“, Verlag Zweitausendeins / 2001 ISBN 3–86150-399–9
ensuite, Januar 2003