Von Barbara Roelli — Sie heisst Nuss, ist aber eigentlich eine Hülsenfrucht. Ihr Samen hat zwei Samenlappen, der vom Keim zusammengehalten wird. Und aus diesem Keim wird — trennt man die zwei Samenlappen mit dem Fingernagel ganz vorsichtig voneinander — ein Samichlaus in der Badewanne. Ein Zaubertrick, mit dem man Kinderaugen zum Leuchten bringt. Aber nicht in jedem Samen ist sein Kopf so ausgeprägt, sind Barthaare und Kapuze so detailreich gelungen. Etwas Glück braucht es, um schöne Exemplare zu finden. Erfreulicherweise liegt es in der Natur dieser Nuss, dass sich pro Schale ein bis vier Samen befinden. Was die Chance, auf schöne Badewannen-Chläuse zu stossen, ungemein steigert. Praktischerweise gibt es die Nuss auch immer in grossen Mengen zu kaufen. Oder der Samichlaus bringt sie und verteilt so seinen Samen unter den Menschen — auf dass die Kinder ihre schlechten Gewohnheiten verlieren und sich seine weisen Worte mit den Nüsslisamen einverleiben. Doch der Chlaus-Samen ist heimtückisch. Hat man nämlich erst einmal begonnen mit dem Ritual, ihn aus der Schale zu lösen, von dem feinen, rotbraunen Häutchen zu befreien und ihn zum Mund zu führen, ist man seinem Geschmack auch schon verfallen.
Beim Zerkleinern im Mund knackt der Samen noch – aber kaum werden seine Geschmacksstoffe durch die mahlende Bewegung der Zähne freigelegt, kommt sein herzhaft cremiger Geschmack zum Tragen. Und auf diesen mag sich irgendwie kein Sättigungsgefühl einstellen. Als ob es ewig so weitergehen könnte mit Schälen, Samen vom Häutchen trennen und ab in den Mund… Bis wir uns eine Reserve Winterspeck angefressen haben, diesen unter dicken Wollpullovern warm halten und so der Kälte trotzen.
Die spanischen Nüssli treffen in der kalten Jahreszeit bei uns ein und setzen sich gekonnt in Szene. Mit ihren Chlaus-Samen sind sie die Begleiter des Dezembers schlechthin. Während sich die Menschen am Glühwein wärmen und bei langen Gesprächen in der warmen Stube sitzen, schälen sie spanische Nüssli in rohen Mengen. Ihr Fett gibt Energie. Vielleicht werden die Nüssli vermehrt in den Beizen angeboten (natürlich auf Kosten des Hauses), um den Rauchern, die ihrem Laster dort nicht mehr frönen dürfen, wenigstens als eine Art Beschäftigungstherapie zu dienen.
Fraglich ist, ob man sich überhaupt so eingehend mit einer Nuss beschäftigen sollte, deren Fettanteil bei rund 50 Prozent liegt und die einem zum gedankenlosen «Reinschaufeln» verleitet. Aber einfach «reinschaufeln» kann man die spanischen Nüssli eigentlich nicht, zeigen sie ihre Haut doch erst – anders als ihre Mitstreiter auf dem Erdnussmarkt — wenn die Schale aufgebrochen ist. Die Mitstreiter sind einfacher zu handhaben. Sie sind bereits nackt und verarbeitet: Geschält, kräftig gesalzen, ummantelt von Wasabi, Chili oder Schokolade. Mit immer neuen Geschmackskombinationen schreien sie nach Aufmerksamkeit, stehen dann aber als Fernsehnüsschen neben Fussballmatch und Krimi doch an zweiter Stelle.
Die spanischen Nüssli in der Schale müssen sich nicht verstellen. Sie kokettieren im natürlichen Look. Doch gleicht dieser Look einem Aschenputtel-Gewand: Unscheinbares Beige mit Linienstruktur, die sich wie Adern vom oberen Ende der Schale, wo manchmal noch ein Stiel vorhanden ist, ans untere Ende ziehen. Und zwischen diesen Längslinien bilden kurze Querlinien ein netzartiges Geflecht. Wie bei einem Jutesack. Aber von weitem betrachtet verschwindet das Geflecht und man sieht vor allem die Dellen in der Schale – wie Dellen in der narbigen Haut eines Menschen, der in jungen Jahren mit Akne kämpfte.
Die Form der Nüssli gleicht denen von Engerlingen, Maden – irgendetwas proteinreich Weichem, dessen Verzehr in unseren Breitengraden keine Tradition hat. Trotzdem lassen wir uns nicht beirren vom Äusseren dieser vermeintlichen Nuss. Was einmal mehr beweist: Nur das Innere zählt.
Foto: Barbara Roelli
ensuite, Dezember 2009