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Sammelgut

Von Bar­bara Roel­li — Ich esse fast jeden Tag Brot. Ich kaufe Brot und weiss, dass seine Lebzeit von nun an ras­ant zu Ende geht. Kaum gekauft, begin­nt näm­lich die San­duhr im Brot­laib zu rieseln. Diesen natür­lichen Prozess kann ich nicht aufhal­ten: Sobald das Brot angeschnit­ten ist, strömt Luft in sein Inneres und durch­dringt die Masse aus Mehl, Salz und Wass­er, die durch die Hefe lock­er gewor­den ist und das Brot erst zu dem macht, was es ist. Die Luft lässt die weiche, fast noch feuchte Teigstruk­tur zuse­hends aus­trock­nen. Das Brot zieht sich langsam zusam­men, krümmt sich im Todeskampf nach innen, bis schliesslich der let­zte Tropfen Lebenssaft aus ihm gewichen ist und es im met­al­lenen Gestell mein­er Küche ver­dor­rt. Ich mei­de diesen Zus­tand, hartes Brot zu haben. Denn ist es erst ein­mal richtig hart, so ist es auch nicht mehr für all die Rezepte zu ver­wen­den, die den Brotresten eine zweite Chance geben: Fotzelschnit­ten mit Apfel­mus und Zimtzuck­er zum Beispiel, wofür die Scheiben vom nicht mehr frischen Brot zuerst in Milch getunkt und dann im verquirl­ten Ei gewen­det wer­den. Die Schnit­ten wer­den anschliessend in But­ter gebrat­en, ohne Geiz mit Zimtzuck­er bestreut und mit warmem Apfel­mus gegessen. Oder Apfel­rösti – ein Gericht, wofür das alte Brot in kleine Stücke geschnit­ten und in But­ter gebrat­en wird; zusam­men mit Apfelschnitzen, Sul­ta­ni­nen und Zimt. Zuhause lernte ich, dass Brot, welch­es nicht mehr frisch und knus­prig ist, durch einen kochkün­st­lerischen Umwand­lung­sprozess eine neue Wertschätzung erlan­gen kann. Obwohl die Aus­ge­burten dieser Umwand­lun­gen schein­bar nicht von jed­er­mann geschätzt wer­den. Deshalb gab es bei uns zuhause Fotzelschnit­ten und Co. auch nur dann, wenn Vater nicht zum Nacht­essen kam.

Wenn ich Brot kaufe, esse ich sel­ten den ganzen Brot­laib auf, bevor er zu trock­nen begin­nt. Ich habe also fast immer Brotreste. Diese toaste ich, ver­ar­beite sie zu oben genan­nten Gericht­en, brate Crôu­tons. Wenn das Brot trock­en, aber noch nicht zu hart ist, raf­fle ich es zu Panier­mehl. Reste zu ver­w­erten ist haushäl­ter­isch, der Recy­clinggedanke gefällt mir. Doch irgend­wann erstar­rt auch der let­zte Rest vom Brot. Bei uns zuhause wur­den diese Brot­fos­silien gesam­melt und beim Son­ntagss­pazier­gang am See den Enten und Schwä­nen ver­füt­tert. Mit­tler­weile lebe ich aber nicht mehr an einem See, samm­le solche Fos­silien aber noch immer. Weil ich aus irgendwelchem Grund Brot nicht ein­fach weg­w­er­fen kann. Erst dann, wenn es einen pelzi­gen Schim­mel trägt, kann ich Abschied nehmen.

Aber beste­ht eigentlich eine geregelte Art, wie altes Brot entsorgt wer­den sollte? Laut Bun­de­samt für Umwelt BAFU gibt es dies­bezüglich in der Schweiz keine Regelung. Oft­mals lande das Brot im Kom­post bei den organ­is­chen Abfällen oder dann im Hauskehricht, in dem eben­falls Essen­sreste entsorgt wer­den dür­fen. Pri­vat werde Brot gesam­melt, so zum Beispiel auf dem Land, wo Bauern das trock­ene Brot ihren Tieren ver­füt­tern. Prob­lema­tisch beim Ver­füt­tern von altem Brot sei allerd­ings, dass die Qual­ität des Fut­ters nicht gesichert sei, so das BAFU. Denn Brot kann schim­meln, und so kön­nten Tiere krank wer­den. Auch das Kom­postieren von Brot ist nicht ganz unbe­den­klich: Während die kleinen Brot­men­gen, die üblicher­weise im Pri­vathaushalt anfall­en, für den Kom­post unprob­lema­tisch sind, schädigt das Salz, das durch grosse Men­gen Brot in den Boden gelangt, die Pflanzen, erk­lärt das BAFU auf meine Anfrage.

Will man also wed­er Pflanzen schädi­gen noch Pferde und Kan­inchen an einem Schim­melpilz erkranken lassen, isst man das Brot am Besten auf. Gelingt einem das nicht, so hil­ft vielle­icht ein passendes Kochbuch. In einem Brock­en­haus fand ich ein solch­es mit dem Titel «Orig­inelle Brot­gerichte zum Ver­lieben» aus dem Jahre 1988. Her­aus­ge­ber ist JOWA AG Die Migros-Bäck­erei. Darin find­en sich viele Rezepte für süsse und pikante Bro­tumwand­lun­gen: Etwa Tor­ta di pane – eine Tessin­er Spezial­ität, Wal­lis­er Brot­gratin – für welch­es Wal­lis­er Roggen­brot mit Weis­s­wein beträufelt und mit Raclet­tekäse und Tomat­en über­back­en wird. Oder ein ein­fach­es Gericht namens Stram­mer Eidgenosse: Dafür bestre­icht man eine dikke Scheibe Brot mit Senf, brät eine Scheibe Fleis­chkäse und legt diese auf das Brot. Dann brät man ein Spiegelei und legt dieses auf den Fleis­chkäse. Das ganze würzt man und gar­niert es mit Essig­gurken. Ob ich mit dem Kochbuch Brotreste in Zukun­ft ver­mei­den kann, sei dahin gestellt. Aber vielle­icht ver­liebe ich mich dafür in den «Stram­men Eidgenossen».

Foto: Bar­bara Roel­li
ensuite, April 2010

Artikel online veröffentlicht: 17. Oktober 2018