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«Sanremo? Dafür hatte ich noch nie etwas übrig»

Von Sal­va­tore Pin­to und Luca D’Alessandro - Inter­view mit der ital­ienis­chen Schlager­sän­gerin Rita Pavone: «Diese Plat­te hätte ich bere­its vor fün­fzig Jahren machen sollen», sagt Rita Pavone und zeigt auf das Cover­bild ihres kür­zlich erschienen Album «Mas­ters». Es ist eine ital­ienisch gefärbte Hom­mage an die Grossen der Grossen der amerikanis­chen Jazz‑, Swing- und Pop­szene. Von ihnen fühlte sie sich schon immer inspiri­ert. Ihre Lei­den­schaft für diese Musik durfte sie allerd­ings nie ausleben. Zumin­d­est bis heute.

Rita Pavone, in let­zter Zeit hat man nicht viel von Ihnen gehört. Zulet­zt am Fes­ti­val von San­re­mo 2005.

Ich lebte zurück­ge­zo­gen und wid­mete mich meinem Pro­jekt «Mas­ters» …

… welch­es nun vor­liegt. Ist es Ihr per­sön­lich­es Mas­ter­al­bum?

Gewis­ser­massen. Mit «Mas­ters» habe ich mir ein Geschenk gegön­nt, welch­es charak­ter­is­tis­che Werke aus dem Reper­toire von Elvis Pres­ley, Eddy Cochran, Fats Domi­no, Bob­by Darin und Tony Ben­net enthält. Es hebt sich von jenen Stück­en ab, die in den sechziger und siebziger Jahren in Ital­ien für Aufmerk­samkeit sorgten, etwa «Buon­giorno Tris­tez­za» und «Vola Colom­ba». Eben­so hebt es sich von der Gesangstra­di­tion von Luciano Taioli, Nil­la Pizzi und Clau­dio Vil­la ab. Sie ste­hen für ein Schlager-Genre, dem auch ich ange­hörte. Tief in meinem Inneren spürte ich allerd­ings schon immer, dass ich etwas anderes aus­pro­bieren wollte.

Wieso haben Sie es nicht getan?

Mit den Labels kon­nte ich mich nicht eini­gen, ja, sie woll­ten das nicht. Mir ist bewusst, dass damals Bob­by Darin und Tony Ben­net zur Avant­garde gehörten. Ein entsprechen­des Pro­jekt hätte das Pub­likum über­fordert. Deshalb hörte ich mit Sin­gen auf und wid­mete mich mein­er Fam­i­lie. Nun habe ich allen Mut zusam­mengenom­men und einen weit­eren Anlauf gewagt: Entwed­er jet­zt oder nie! Denn jet­zt habe ich meine Stimme noch. Enri­co Rug­gieri, Fran­co Magli­ac­ci, Rita Werth­müller und Bon­zai Caru­so haben mich wesentlich unter­stützt. Enri­co Cre­mone­si stellte sich für die Arrange­ments zur Ver­fü­gung. Ich finde, die Arbeit ist gut gelun­gen, und ich bin stolz darauf.

Wie hat Ihr Mann Ted­dy Reno darauf reagiert?

(lacht) Ihre Frage zielt ver­mut­lich auf die Rolle von Ted­dy als früheren Pro­duzen­ten mein­er Lieder …

… genau.

Ich war ges­pan­nt auf seine Reak­tion, und es war grossar­tig zu sehen, wie er sich am Ende für dieses Pro­jekt begeis­tern kon­nte. Schliesslich ist er mit der Musik von Frank Sina­tra und Bing Cros­by aufgewach­sen. Das Album entspricht also genau seinem Gus­to. Stellen Sie sich vor: Als ich an den Kom­po­si­tio­nen arbeit­ete, kam er immer wieder in mein Büro und fragte mich, was ich denn tun würde. Er war sehr neugierig, doch ich hielt mich verdeckt: «Du wirst es schon früh genug sehen.» Ich wollte ver­mei­den, dass er mir dreinre­det. Dieses Baby wollte ich unbe­d­ingt alleine zur Welt brin­gen.

Wer­den Sie dieses Baby dem­nächst auch auf die Bühne brin­gen?

Zu Beginn hat­te ich lediglich zwei Konz­ert­dat­en vorge­se­hen, inzwis­chen hat sich eine ganze Tournee ergeben. Am 6. Mai ziehen wir los: Wir begin­nen in Mai­land, gehen weit­er nach Neapel, Bologna und Turin.

Sie beschränken sich auf Ital­ien.

Fürs Erste schon. Änderun­gen kann es natür­lich jed­erzeit geben.

«Mas­ters» ist ein eher exo­tis­ches Album für den ital­ienis­chen Musik­markt, wo die Pop­musik nach wie vor den Ton angibt. Schwim­men Sie bewusst gegen den Strom?

Wer sagt denn, dass man sich anpassen muss? Wer das Poten­zial hat, sich in mehreren Kat­e­gorien zu bewe­gen, sollte dies auch tun. Sofern ein Sänger oder eine Sän­gerin eine gute Stimme hat, soll er oder sie diese auch ein­set­zen kön­nen. Lei­der haben nicht alle diese Gabe in die Wiege gelegt bekom­men. Ich bin sehr glück­lich über dieses Geschenk und flex­i­bel genug, sowohl Rock’n’Roll als auch Bal­laden zu sin­gen. Meine Stimme macht bei­des mit.

Ärg­ert es Sie, wenn Sie heute noch als Sän­gerin von «Geghegè», «La Pap­pa Con Il Pomodoro» oder «La Par­ti­ta Di Pal­lone» etiket­tiert wer­den?

Das Lied «La Pap­pa Con Il Pomodoro», das wis­sen ver­mut­lich nicht alle, hätte lediglich ein Begleitlied für eine Komödie bleiben und gar nicht an die bre­ite Öffentlichkeit gelan­gen sollen. Plöt­zlich stand die Sin­gle in den Verkauf­s­re­galen, und prompt war ich in ein­er neuen Rolle gefan­gen. Es fol­gten erste Unstim­migkeit­en mit meinem Label. Natür­lich bin auch ich der Mei­n­ung, dass ein erfol­gver­sprechen­des Lied kom­merziell genutzt wer­den sollte. Aber ich wollte nicht, dass mich das Pub­likum mit diesem Lied in Verbindung bringt. Mir ging es um meine Glaub­würdigkeit. Einziger Wer­mut­stropfen: Die Melo­di­en für die Komödie stam­men von Nino Rota, dem Urhe­ber der Film­musik von Felli­nis «La Stra­da». Die Zusam­me­nar­beit mit ihm macht mich heute noch stolz. Mit «Geghegè» indes habe ich mich damals ausge­to­bt. «Date­mi Un Martel­lo» gehört übri­gens auch dazu.

«Mas­ters» hat also nichts mit der Rita Pavone von damals zu tun.

Nein. Ich wieder­hole: «Mas­ters» ste­ht für jene Welt, die ich in meinem Herzen stets bevorzugt habe. Eine Welt, die von Jazz, Rock und Blues geprägt ist. Mit «Mas­ters» nähere ich mich meinem Faible, der Rock­musik. Sie ste­ht für die echte Rita Pavone. Jene Rita Pavone mit ihren Kinder­liedern, wie sie in der vorigen Frage skizziert wurde, gibt es nicht mehr. Natür­lich werde ich im Rah­men der bevorste­hen­den Tournee das eine oder andere nos­tal­gis­che Lied aus meinem Reper­toire auftis­chen. Aber im Wesentlichen dür­fen Sie sich auf eine rock­ige Rita Pavone gefasst machen.

Vor etwas mehr als einen Monat hat das Fes­ti­val del­la Can­zone Ital­iana in San­re­mo stattge­fun­den. Was hal­ten Sie von dieser Ver­anstal­tung?

Das Fes­ti­val ist das let­zte übrig gebliebene ital­ienis­che Musik­fes­ti­val. In den Sechzigern war es üblich, dass zahlre­iche Sänger und Kom­pon­is­ten aus anderen Län­dern nach San­re­mo reis­ten, um sich inspiri­eren zu lassen. Nicht sel­ten kam es vor, dass in der Folge unsere Lieder im Aus­land kopiert wur­den.

Man hat man sich der Musi­ca Ital­iana regel­recht bedi­ent.

Oh ja. Nach jed­er Fes­ti­val-Aus­gabe gab es eine Rei­he von Cov­ers in den ver­schieden­sten Sprachen. Und manch­mal kam es sog­ar vor, dass die Lieder im Aus­land erfol­gre­ich­er waren als bei uns. Sowas gibt es heute nicht mehr. San­re­mo hat sich verän­dert. Alles ist irgend­wie ein­fach­er gewor­den.

Wie meinen Sie das?

Das Fes­ti­val dauert heute ganze fünf Tage. Die Jury hat die Möglichkeit, ein Lied mehrmals zu hören und zu beurteilen. In den Sechzigern hat­te ein Kün­stler nur ein­mal die Chance, sein Stück vorzu­tra­gen. Ver­mochte er die Jury in den ersten zwei Minuten nicht zu überzeu­gen, war er weg vom Fen­ster.

Glauben Sie, dass die Plat­ten­la­bels nach wie vor viel Ein­fluss auf das Fes­ti­val haben?

Es sind nicht die Labels, die das Sagen haben. Vielmehr ist es die Leitung. Fabio Fazio, der Mod­er­a­tor, hat ein gross­es Gewicht bei den Entschei­dun­gen. Er beurteilt, welch­es Lied zuge­lassen wird und welch­es nicht. Seine Triage ori­en­tiert sich an redak­tionellen Kri­te­rien, die ich respek­tiere. Er hat ein Gespür für eine aus­ge­wo­gene Mis­chung, aber auch für neue Ten­den­zen. Seinetwe­gen ist es möglich, dass die eine oder andere Inno­va­tion tat­säch­lich eine Chance auf Erfolg hat. Das Fes­ti­val spricht heute sowohl jün­gere als auch ältere Gen­er­a­tio­nen an. Bis­lang war es so, dass San­re­mo über­wiegend bei einem älteren Pub­likum Anklang fand, während die junge Gen­er­a­tion ihre Zeit in den Diskotheken und Bars ver­brachte und sich erst am Fes­ti­val­ende über die Ran­gliste informierte. Sie nah­men am Entschei­dung­sprozess nur bed­ingt teil.

Zurück zur eigentlichen Frage: Was bedeutet Ihnen San­re­mo?

Ich bin ehrlich: Für San­re­mo hat­te ich noch nie etwas übrig (lacht).

Trotz­dem haben Sie mit­gemacht.

Ja, ganze drei Male. Ein­mal habe ich das Finale erre­icht, zweimal bin ich bere­its am ersten Fes­ti­val­abend aus­geschieden, unter anderem mit dem wun­der­schö­nen Stück «Ami­ci Mai», welch­es in Lateinameri­ka auf Res­o­nanz stiess. In San­re­mo hat man das Stück lei­der nicht ver­standen, weil man dem Stück eine gewisse Aufmerk­samkeit schenken musste. Ich habe später erneut ver­sucht, mit meinen Stück­en bei San­re­mo aufzutreten, lei­der bekam ich aber nie die Möglichkeit, die richtige Rita Pavone vorzustellen. Schick­sal.

Jet­zt fordern Sie das Schick­sal her­aus und machen das, was Sie schon immer woll­ten.

Genau das ist es! Ich mache, was ich will. «Mas­ters» macht mich sehr stolz. Obwohl ich seit neun Jahren nicht mehr im Busi­ness bin, ist das Album bere­its auf Platz 26 der ital­ienis­chen Charts gelandet. Das motiviert mich. Rita is back und so soll es auch bleiben.

www.ritapavone.it

Foto: zVg.
ensuite, April 2014

Artikel online veröffentlicht: 12. Mai 2019