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Schlachtplatte: War, Peace und Freundschaft

Von Fabi­enne Naegeli — Im Schlachthaus zwitschert «Action The­atre» von einem anderen Uni­ver­sum und «Vroom» dreht vielle­icht seine let­zte Runde : Natasha und Pierre, die eigentlich Audrey und Hen­ry heis­sen, haben sich im Inter­net ken­nen gel­ernt, und sind, wie ihre Namen ver­rat­en, Fans von Tol­stois «Krieg und Frieden». Pierre glaubt an den Welt­frieden, und schreibt ganz im Sinne von John Lennon und Yoko Ono ein Buch mit dem Titel: «Give Peace Anoth­er Chance». Im Gegen­satz zu ihm mag Natasha die Kriegsszenen in der Tol­stoi-Ver­fil­mung, und lang­weilt sich bei den friedlichen. Sie liebt Aben­teuer wie Fallschirm­sprin­gen oder Klet­tern im Himalaya-Gebirge. Die bei­den verabre­den sich zu einem Kanu-Trip, bei dem Pierre endlich sein inneres Kind find­en möchte. Mit fünf weit­eren Frauen machen sie sich auf den Weg. Doch auf­grund von Natashas für Ver­wirrung sor­gen­der Linkshändigkeit stürzen die Aben­teur­er einen Wasser­fall hin­unter. Durch diesen schreck­lichen Unfall, und indem sie einem weis­sen «Alice im Wunderland»-Kaninchen fol­gen, ger­at­en die zwei in eine tiefe, unterirdis­che Höh­le. Dort ent­deck­en sie nicht nur ess­bare Vam­pir-Fle­d­er­mäuse und einen von ein­er ver­schol­lenen Zivil­i­sa­tion zeu­gen­den, men­schlichen Knochen, son­dern auch ein sehr altes Manuskript, das «Buch von Dar­wina», das älter ist als das Alte Tes­ta­ment, der Koran, und die Vedas der Hin­dus, sozusagen die Ur-ur-ur-Bibel. Das Schrift­stück wurde von Dar­wina, der Ur-ur-ur-Göt­tin, in Englisch und Chi­ne­sisch ver­fasst, den zukün­fti­gen Welt­sprachen. Natasha und Pierre, der als Intellek­tueller das Buch natür­lich lesen kann, erfahren so über die wirk­liche Entste­hung der Welt, und ler­nen darin den ver­rück­ten, blutrün­sti­gen Alan ken­nen, der denkt, dass er der göt­tliche Sohn Dar­winas sei, und der seinen eige­nen Vater auf sadis­tis­che Weise getötet hat. Was wäre wohl geschehen, wenn das Buch ein­mal ans Tages­licht gekom­men wäre? Die Welt­geschichte wäre vielle­icht anders ver­laufen. Wahrschein­lich gäbe es keinen Jesus, keine Juden, Moslems oder Chris­ten, kein Hol­ly­wood, keine Bea­t­les und möglicher­weise hät­ten die Chi­ne­sen Ameri­ka ent­deckt. Verge­blich ver­sucht man unter­dessen Natasha und Pierre, die von den Medi­en bere­its zur «Sto­ry of the Week» gekürt wur­den, aus der Höh­le zu ret­ten. Während­dessen müssen die bei­den Verun­fall­ten fest­stellen, dass sie nicht alleine in der Höh­le sind, ihnen gar böse Kräfte ent­ge­gen­wirken, die das Manuskript und seine bei­den zufäl­li­gen Ent­deck­er zer­stören wollen, um eine Veröf­fentlichung zu ver­hin­dern. Wer­den Natasha und Pierre diesen Kampf über­leben? Kön­nen sie die bösen Kräfte besiegen, und wird endlich Frieden auf der Erde einkehren? Mit Sprach­witz und schwarzem Humor befasst sich das Lon­don­er Action The­atre in ihrer neusten Pro­duk­tion «Peace – The per­ma­nent War (Twit­ters from anoth­er Uni­verse)» mit Gewalt, Frieden, und der Möglichkeit eines anderen Weltver­laufs. Ein weit­eres High­light auf der herb­stlichen Schlacht­plat­te des Bern­er Schlachthaus The­aters, ist «Final Lap», das neue Stück von Vroom. Das 2002 gegrün­dete The­a­ter­duo, das nun erst­mals mit einem The­at­er­autor, mit Reto Fin­ger zusam­me­nar­beit­et, beschäftigt sich darin mit dem The­ma Fre­und­schaften und deren Gren­zen, das ger­ade im Zusam­men­hang mit der Weltwirtschaft­skrise, welche Werte wie Loy­al­ität, Hil­fs­bere­itschaft, Sol­i­dar­ität und Gemein­schafts­ge­fühl in Frage stellt, an Aktu­al­ität gewin­nt. Was ist ein Fre­und, und was erwarten wir von ihm? Anteil­nahme, Ver­bun­den­heit, Ver­lässlichkeit und Zunei­gung? Wie weit geht die Tol­er­anz einem Fre­und gegenüber, und was passiert, wenn Eigen­schaften zutage treten, die man nicht mehr akzep­tieren kann? Lässt man den Fre­und dann fall­en? Auss­chnit­thaft wird in «Final Lap» die Fre­und­schaft zweier Män­ner gezeigt, und auf ihre Wan­del­barkeit und Gren­zen hin unter­sucht. Die bei­den tre­f­fen sich regelmäs­sig am Mittwochabend in ihrem Hob­byraum, in dem sie eine Autorennbahn instal­liert haben. Sie erzählen einan­der in der ver­traut­en Atmo­sphäre aus ihrem Leben, tauschen Banal­itäten aus, bere­den emo­tionale Sit­u­a­tio­nen, lachen über Witze, und spie­len mit der Car­rera-Bahn. Die jahre­lange Beziehung der Män­ner mit ihren eigen­willi­gen Rit­ualen enthält trotz der Intim­ität viel Unaus­ge­sproch­enes, das aber durch eine per­fek­te Fas­sade und vir­tu­ose Rou­tine über lange Zeit ver­bor­gen bleibt. Durch die über­raschende Aufdeck­ung eines abgründi­gen Geheimniss­es gerät die Fre­und­schaft arg ins Schwanken. Die bei­den müssen sich in der Krise erst­mals eingeste­hen, dass sie ganz unter­schiedliche Def­i­n­i­tio­nen von Fre­und­schaft haben, und dass die ihre gar nicht dem entspricht, was sie in ihr alles sahen. Zweifel tauchen auf, Vor­würfe wer­den gemacht, Selb­stan­kla­gen erhoben und Ver­suche unter­nom­men, die Abende weit­er­hin wie bish­er zu ver­brin­gen. Doch sie müssen sich dem unauswe­ich­lichen Kon­flikt stellen. Was passiert mit der Fre­und­schaft der zwei Män­ner? Wird sie diese Belas­tung­sprobe beste­hen, oder drehen die bei­den ihre let­zten gemein­samen Run­den?

Foto: zVg.
ensuite, Okto­ber 2010

 

Artikel online veröffentlicht: 23. November 2018