Von Morgane A. Ghilardi — Enthüllungen über Mensch, Tier und Umwelt im Dok: Die Wahrheit ist nicht leicht zu verdauen. Wir ignorieren sie, wir streiten sie ab, wir versuchen einen Spass daraus zu machen, bis wir sie vielleicht zu akzeptieren lernen. Dieses Verhalten kommt vor allem dann zum Vorschein, wenn die Wahrheit in Form harter Kritik und Ermahnung vermittelt wird. Wollte Al Gore mit «An Inconvenient Truth» (2006) doch nur ein Bewusstsein für unseren Umgang mit dem Planeten herstellen, erweist sich das globale Publikum dennoch als renitent. Die wissenschaftliche Basis ist zu wackelig; ergo darf ich mit meinem Offroader mit gutem Gewissen durch Zürich sausen. Globale Erwärmung bleibt ein abstraktes Konzept, dessen Auswirkungen von unseren Sinnen nicht leicht zu registrieren sind. Das Ignorieren von Prognosen und Graphen ist somit simpel.
Doch was, wenn es darum geht, was auf unserem Teller und schliesslich in unserem Magen landet? «Supersize Me» (2004) zeigt, dass Fakten, die sich auf die Ernährung und damit auf die Gesundheit beziehen, uns eher zu belasten wissen. Die Message ist klar: Fast Food kann uns töten. Keine allzu undenkbare Vorstellung, denn das Konsumieren eines McBurgers ist immer von einem schlechten Gewissen begleitet – trotz Heidi Klums verräterischer Turtelei mit dem McSalat.
Konsum ist das Stichwort, welches Dokumentarfilmer animiert, die globale Einstellung gegenüber der Produktion und dem Verzehr von Lebensmitteln zu ergründen. «We Feed the World – Essen Global» (2005) veranschaulicht, wie industrielle Interessen und Geldfluss im Bereich der Landwirtschaft ein Ungleichgewicht herstellen, das zu Welthunger, Umweltverschmutzung und Wasserknappheit führt. Antrieb Nummer eins ist die Bereitschaft des Konsumenten, sich nicht damit auseinanderzusetzen, woher die Früchte oder das Fleisch aus dem Supermarkt genau herkommen. So wird der Konsument zum Kind: «Woher kommt die Milch?» – «Aus der Migros».
Milch wird in «Earthlings» (2005) zu einem ernsteren Thema, als es sich die meisten Latte-Macchiato-Liebhaber hätten vorstellen können. Basis des Films ist das Konzept des Speziesismus – die Artenarroganz des Menschen gegenüber allen anderen Spezien der Erde – und die Missachtung des Empfindungsvermögens von Tieren. Mit Joaquin Phoenix’ durchdringenden Begleitkommentaren und Mobys Soundtrack präsentiert der Film Bilder extremer Härte, welche die Misshandlung von Tieren durch den Menschen in verschiedenen Bereichen darstellen, unter anderem in der Landwirtschaft. Ungewissheiten gibt es in diesem Film nicht. Sieht man eine vor Erschöpfung sterbende Milchkuh, einen bei lebendigem Leibe gehäuteten Fuchs oder die Massenvergasung von streunenden Hunden, weiss man, dass etwas schief läuft zwischen Mensch und Tier.
Schlussendlich richtet sich der Film jedoch nicht an die Gesamtheit der Menschen, sondern an den Zuschauer. Ignoranz, gegen welche die meisten Dokumentarfilmer Krieg führen, beginnt beim Individuum, das wählt, seine Gedanken nicht über seinen Teller hinaus driften zu lassen. Der Schinken zum Spiegelei und das Kalbsschnitzel am Mittag schmecken so gut – muss man denn wirklich an die Tortur und Angst, welche die Tiere erlitten, nachdenken? Vielleicht ist es einfacher, sich nicht mit Dokumentationen auseinanderzusetzen, da Bilder wie diejenigen in «Earthlings» vom Geist nicht als gestellt verworfen werden können. Es gibt mental keinen Ausweg. Man fühlt sich beschuldigt und blockt die Wahrheit als Folge eher ab.
Richard Linklaters «Fast Food Nation» (2006) bietet sich als satirische Abhandlung der Thematik Mensch, Fleisch und Konsum vielleicht besser an. Schockeffekte sind vielleicht eher gestellt, doch inhaltlich wird ebenso die Verschlossenheit gegenüber alltäglichem Grauen zur Schau gestellt.
Wieso muss der Inhalt aber in einer Hollywood-Verpackung präsentiert werden, um sich verkaufen zu können? Filme, die sich mit der kranken Beziehung zwischen Mensch und Natur auseinandersetzen, vermarkten sich nur dank anfänglichem Sensationswahn. Danach werden Filme wie «Earthlings» oder «Home» (2009) gratis auf dem Internet verfügbar, da sie der Logik des Verdrängens nach niemand kaufen will.
Es sei aber gesagt, dass, obwohl manche dieser Filme eine amerikazentrische Perspektive einnehmen, die dargestellten Problematiken zweifellos von globalem Ausmass sind. Eine Auseinandersetzung damit kommt der Menschheit und der Menschlichkeit entgegen.
Foto: zVg.
ensuite, November 2010