Von Luca D’Alessandro — Düster elektronisch, chillig-sphärisch, trashig rockig: Das Wiener Kollektiv Sofa Surfers lässt sich nicht kategorisieren. Es beschreitet den Weg der Aufhebung popkultureller Grenzen zwischen Begriffen wie «Black Musik», «Dub Culture» und «Weissem Rock». Das Album «Blindside» steht kurz vor der Veröffentlichung. Werden es die Sofas für ihren Auftritt am Radio RaBe-Fest in der Berner Reitschule bereits mit im Gepäck führen? «Das weiss ich im Moment noch nicht», sagt Bandmitglied Wolfgang Schlögl gegenüber ensuite-kulturmagazin.
«Blindside» – das fünfte Album von den Sofa Surfers sollte gemäss Medieninformation am 26. Februar 2010 erscheinen. Am selben Tag stehen die sechs Jungs im Dachstock der Berner Reitschule auf der Bühne. Radio RaBe, das Berner Kulturradio, hat sie zum Fest geladen. «Die Sofa Surfers vereinen in sich nahezu alle Musikstile, die wir mit unserem Radio repräsentieren», sagt Radio RaBe-Musikredaktor Martin Schneider.
Ein Radio, eine Band – zwei ähnliche Geschichten Tatsächlich haben Radio RaBe und die Sofa Surfers eine ähnlich lange und ereignisreiche Geschichte: Beide sind sie 1996 gegründet worden, und beide haben sie sich nicht stereotypisieren lassen. Radio RaBe hat stets auf Vielfalt gesetzt, sich fortwährend in Form, Struktur und Erscheinung weiterentwickelt. Ein Rezept, mit dem sich das Lokalradio in den vergangenen vierzehn Jahren – trotz finanzieller Engpässe – nicht nur wacker gehalten hat, es ist zu einer ernstzunehmenden Alternative auf dem Platz Bern avanciert. Auch für die Sofa Surfers stand seit der Gründung die musikalische Weiterentwicklung im Mittelpunkt ihres Schaffens. Von ihrem Debut «Transit» an bis hin zu «Blindside» haben sie permanent die Möglichkeiten von Technologie einerseits und kollektivem Spiel andererseits ausgelotet. Die Band nimmt gerne Risiken auf sich und gestaltet sich in Arbeitsweise und Konzept immer wieder neu.
Film- und Theatermusiken Die Sofas haben sich längst gängigen Szenezwängen entzogen. Nebst ansprechenden Alben haben sie Film- und Theatermusiken geschaffen, Soloalben veröffentlicht und Kunstprojekte mitgestaltet. Diese Erfahrungen schlagen sich in «Blindside» nieder. Eine Platte, die in den letzten zwei Jahren im eigenen Proberaum in Wien entstanden und schrittweise mit Elementen aus dem breiten Ideenfundus von Wolfgang Frisch, Michael Holzgruber, Markus Kienzl, Wolfgang Schlögl und Mani Obeya angereichert worden ist. Sie ist reich an elektronisch-rockigen Tönen und Passagen, die sich nur mit viel Phantasie einem Genre zuordnen lassen. Oder wie Wolfgang Schlögl selbst sagt: «Blindside ist ein Abbild unserer Gesellschaft, die sich zum Teil nicht mehr selbst wiedererkennt, den Maximierungszwängen und dem Konsumdruck unterworfen ist.» Lässt sich daraus ein gewisser Frust ableiten? «Vielleicht.» Zumindest der Inhalt von «Blindside» verlangt beim Hören eine gewisse physische Interaktion ab: Headbangen, Springen und Mitschreien. Martin Schneider: «Ob die Holzbalken im Dachstock diesem Überschwang standhalten werden, wird sich am 26. Februar weisen.»
Gespräch mit Wolfgang Schlögl, dem Sofa Surfers-Gründermitglied:
Interview: Luca D›Alessandro
Wolfgang, die Veröffentlichung Eures achten Albums mit dem Titel «Blindside» steht kurz bevor: Fünf Jahre mussten die Fans darauf warten.
Ja, wir haben uns für die Realisierung Zeit genommen, die Ideen immer wieder überarbeitet und mit neuen Erfahrungen ergänzt. Übrigens ist es unser erstes Album unter eigenem Label. Von nun an backen wir unsere eigenen Brötchen.
Welche Botschaft steckt in «Blindside»?
Seit der Lancierung des Debüts 1997 haben wir stets versucht, die pop-kulturelle Entwicklung in Europa zu kommentieren. Unser Sänger Mani Obeya macht das sehr gut: Auf poetische Weise spricht er in seinen Texten von Wirtschaftskrise und gesellschaftlichen Frustrationen, wie sie sich aus den politischen Konstellationen des vergangenen Jahrzehnts ergeben haben. Es sind Dinge, die weltpolitische Ursachen haben und in unser Leben zurückstrahlen. «Blindside» ist gewissermassen die Abrissseite eines Hauses – das Gegenteil einer schönen Fassade.
Erfolgt die Kritik in Euren Liedern ausschliesslich auf einer textlichen Ebene?
Wir versuchen synästhetisch zu arbeiten. Die Klänge ergeben sich aus einem politischen Gedankengang heraus. Unsere Devise: Alles ist politisch.
Demnach ist Kultur für Euch auch politisch?
Absolut. In unserer Vergangenheit haben wir uns wiederholt mit Black Music befasst: ein Genre mit einer ausgeprägten sozio-politischen Konnotation. Wir wollen Musik nicht nur auf einer ästhetischen Ebene behandeln. Inhalte sind mindestens so wichtig.
Wie lässt sich eine politisch-kulturelle Botschaft klanglich abbilden?
In erster Linie geht es darum, mit Klängen zu arbeiten, die für eine bestimmte Epoche typisch sind. In unseren Arrangements sind diese dann meist nicht mehr erkennbar, weil wir sie bearbeiten und mit neuen Klängen zusammenmischen.
Welche Epochen sind Euch wichtig?
Sounds aus den 60ern und 80ern – diese Jahrzehnte mögen wir besonders. Ein Freund von uns hat eine zeitlich gut sortierte Plattensammlung, so können wir die Musik Jahr für Jahr durchstöbern und laufend neue Ent-deckungen machen.
Welche ist eine Eurer wichtigsten Entdeckungen?
Eine Referenz für mich ist die Neo-Psychodelik, wie sie die Black Music hervorgebracht hat. Diese kombinieren wir in unseren Jams mit neuen Stimmungen. So gehen wir an die Klänge heran. Wir arbeiten mit Sinneswahrnehmungen.
Könntest Du das präzisieren?
Wir sind nicht Musiker, die unseren Sänger quälen und fragen: Was möchtest Du mit deinem Text aussagen? Nein, so läuft das nicht. Er bringt uns seinen Text, und wir reflektieren ihn auf einer Besinnungsebene. Dazu bedarf es keiner Worte, die Musik verbindet uns.
Ist die Arbeit auf der Bühne reine Interpretation?
Das ist lustig: Wenn du einen Bandkollegen fragst, wird er vermutlich antworten, alles sei vorgezeichnet. Das stimmt natürlich nicht. Ich denke, für uns – die wir unsere Lieder immer wieder gespielt haben – mögen die Konzerte immer gleich klingen. Aber jede Veranstaltung ist anders. Wenn ich in einer Performance einen Ausflug in andere musikalische Gefilde mache, reagieren meine Bandkollegen unmittelbar, weil sie mich kennen und haargenau wissen, wie sie mir folgen können.
Euer Konzept bietet genügend Spielraum.
Genau. Ich sage das bewusst, denn wir haben – im Unterschied zu manchen Livebands – Elektronik und Bilder, die synchronisiert mitlaufen. Ein Jam muss mit diesen Faktoren zusammenspielen. Eine spontane Einlage hängt nicht nur vom Drummer oder Bassisten ab, sondern von der ganzen Technologie, die mitschwingt. Als Mitglied der Sofa Surfers musst deine Inspiration intuitiv regeln können.
Du hast das Stichwort «Technologie» genannt: Elektronik, Black Music und Rock – Ihr vereint all die Genres unter einem Dach. Wo fühlen sich die Sofa Surfers wirklich zuhause?
Ich war sowohl im Rock als auch im Techno zuhause, jetzt bin ich Familienvater, der in seinem Leben viel Musik gehört hat und sich keiner Szene zugehörig fühlt. Wir sind weder eine Band, die für ein Rockfestival die erste Wahl ist, noch werden wir für Elektronikevents aufgeboten; aber wir sind eine Band, die an ihrem eigenen Sound arbeitet. Da hat Rockmusik definitiv einen Platz, da das Genre auch eine Geschichte hat. Es ist interessant: Du bist auf diese Frage über die Technologie gekommen … ja, viele Journalisten tendieren dazu, Rock als Gegenteil von Elektronik zu betrachten. Ich bin damit nicht einverstanden: Rockmusik war schon immer der Träger von Technologie, denn hier wurde zum ersten Mal die Elektrogitarre eingeführt: eine technologische Revolution! Das Denken in Kategorien entspricht mir nicht.
Als Hörer bin ich aber auf eine Kategorisierung angewiesen. Ansonsten finde ich im Plattenladen meine Lieblingsmusik nicht. Wie begegnet Ihr Eurem Publikum?
Ich bin kein Businessman, sondern Musiker (lacht). Beim Musikmachen denken wir nicht oft an unser Publikum. Ich hoffe, das Publikum findet uns. Und besonders hoffe ich, dass unsere Musik immer noch mehr zählt, als eine gut gestaltete Myspace-Seite oder ein ausgeklügelter Businessplan.
Foto: Ingo Pertramer
ensuite, Februar 2010