Von Konrad Pauli — Literarische Fragmente 7: In jungen Jahren gelang dem Zeichner Z. der Einstieg in die Kunstszene. Jahr für Jahr warb irgendwo ein Ausstellungsplakat für seine neuesten Werke, die freilich allem bisher von ihm Geschaffenen beinah aufs Haar glichen. Gleichwohl behaupteten Vernissageredner das Gegenteil, beschwörten mit unwiderstehlichen Worten die verblüffenden Entwicklungsstufen, die weiss nicht wohin und in welche Bezirke des künstlerischen Ausdrucks vorzudringen vermöchten. Also war dieser nicht nur vordergründig wahrnehmbare Wiederholungseffekt für des Künstlers Ruf keineswegs ein Nachteil — vielmehr wurden seine bildnerischen Strich-Sinfonien geradezu als sein Markenzeichen verstanden und gehandelt. Die Neugier richtete sich in der Folge bloss noch auf kleinste Unterschiede und Abweichungen zu vorangegangenen Arbeiten. Akribisch gestrichelte Gitter durcheilten die Bildfläche, fischgrätartig, sich bisweilen kreuzend. So regelmässig, dass die Ausgewogenheit, von aller Sprengkraft, allem Aufruhr befreit, dem Auge und Gemüt des Betrachters Stille und Gleichmut vorführten. Mit ungefährdeter handwerklicher Sicherheit, unbelastet von gleichwelcher Vision, durfte hier einer einzig auf die Ausdauer vertrauen; hielt er durch (und daran war niemals zu zweifeln), kam er, gehend am Stock der Beharrlichkeit und Sorgfalt, auf jeden Fall an ein (Bild)Ende — und der Weg war frei zum nächsten Muster.
Strikt hielt er sich viele Jahre lang an solche Strukturen — sie waren ihm Ein-und-Alles. Allmählich gewöhnte man sich daran, dass Z. in seinen neuen Arbeiten nichts Neues mehr unterzubringen wusste. Irgendwo blieb er stecken — und die Zeit ging über ihn hinweg. Aber unbeirrt (zumindest dem Anschein nach) tat er so, als bleibe sein Ansatz ein für allemal unangefochten, als käme er im Kreisherumgehen mit Sicherheit voran. Die Kunstwelt hatte genug von ihm, man hatte vergessen, dass er eine Zeitlang etwas galt und vom Erfolg ziemlich verwöhnt gewesen war. Nun magerte er ab, innerlich und äusserlich, ging seine Wege bald nur noch als Schatten seiner selbst. Sein Gesicht versteinerte sich, alle Lebendigkeit erlosch. Schliesslich klammerte er sich an seine Stricheleien wie an eine letzte Möglichkeit, nun als Diktat der Gewohnheit und dürftiger Ausgleich für ein nicht gelebtes Leben. Nahe am Abgrund, doch unfähig zur Selbstzerstörung, setzte er mit zusehends zittriger Hand Strich an Strich, produzierte bloss noch das Immergleiche, ja, was ihm zuvor geglückt war, gelang ihm nicht einmal mehr. In stummer Verzweiflung blieb er dennoch dabei, er wusste nicht, was anderes er sonst noch zu tun gehabt hätte.
Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2010